Klimanotstand-Städte im Norden: Symbolpolitik oder nicht?
Mehrere Städte in Schleswig-Holstein haben den Klimanotstand ausgerufen. Doch KritikerInnen vermissen konkrete Maßnahmen.
Da gibt es Weiher, auf denen früher die Kinder Schlittschuh liefen, und die seit Jahren nicht mehr zufrieren. Bäche, die im vergangenen Sommer austrockneten. Weniger Schmetterlinge und Mücken, die über den Blüten des Schmetterlingsgartens schweben. Nichts davon ist allein schon ein Beweis, aber die Sorge um das Klima wächst. Bad Segeberg hat sich vor einigen Wochen zum Klimanotstandsgebiet ernannt. Auch andere Städte in Schleswig-Holstein sind diesen Schritt gegangen. In diesen Kommunen sollen politische Entscheidungen nun immer auch Umwelt- und Klimaschutz mitberücksichtigen.
In Bad Segeberg kam der Anstoß weder aus der Stadtverwaltung noch aus dem Rat, sondern von der Straße: „Wir haben den Antrag im Netz gesehen und sind damit ins Rathaus gegangen“, berichtet Lennart Stahl.
Der 17-jährige Gymnasiast gehört wie die 16-jährige Luna Rothenburg zur Segeberger Fridays-for-Future-Gruppe. In der Kleinstadt fand wohl der erste Schülerprotest nach Greta Thunbergs Vorbild in Deutschland statt: „Zwei, drei Leute haben im Dezember angefangen“, sagt Rothenburg. Sie selbst ist seit einigen Monaten dabei, gestreikt wird auch in den Ferien. Anfangs seien sie nicht richtig ernst genommen worden, sagt Stahl. Dass die Stadtpolitik nun ihrem Aufruf folgte und mit Mehrheit den Klimanotstand ausgerufen hat, sei ein Erfolg, wenn auch eingeschränkt: „Es sind keine konkreten Forderungen damit verbunden“, bedauern die fff-AktivistInnen.
Welche Ideen haben Vereine und EinzelkämpferInnen, aber auch Gemeinden und Städte, um Klimawandel und Umweltproblemen im Norden zu begegnen? Die taz.nord stellt das Ringen um die Zukunft in loser Folge vor.
„Der Titel Klimanotstandstand ist mehr als Symbolpolitik“, sagt Jessica Kordouni. Sie gehört der Ratsfraktion der Grünen im Kieler Stadtrat an und hat dort dafür gekämpft, dass die Landeshauptstadt den Notstand ausruft. Aktuell setze Kiel zu stark auf das Auto und fossile Brennstoffe. „Wir wollen, dass der Wandel stattfindet.“
Weder das Ziel noch das Bekenntnis sind neu: Kiel ist seit 1995 „Klimaschutzstadt“, hat sich damit verpflichtet, „bis 2050 den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen um mindestens 95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren“. So hat die Stadt unter anderem Green-IT im Rechenzentrum des Abfallwirtschaftsbetriebs eingeführt – eine Maßnahme, die im Jahr 43 Tonnen CO2 einspart und für die Kiel 2018 einen Preis des Bundesumweltministeriums erhielt.
Weit gebracht hat Kiel das aber nicht: Die Stadt steht hinter Stuttgart, Darmstadt und München auf Platz vier der am meisten mit Stickstoffdioxid belasteten Städten Deutschlands. Was also ändert sich durch die Ausrufung des Notstands? Viel, hofft Jessica Kordouni: „Die Verwaltung hat den Auftrag, das Thema voranzubringen.“ Es gehe um kleinere Maßnahmen, etwa mehr Geld für Radwege, aber auch um das große Ganze, zusammengefasst in einem „Masterplan Klimaschutz“. Demnächst sollen „Bürgerwerkstätten“ stattfinden, bei denen Ideen gesammelt werden. „Das hat etwas angestoßen“, sagt Kordouni.
Benno Stracke von der Initiative „Kreuzfahrt nirgendwo“ sieht das anders: „Aus unserer Sicht passen die kürzlich erklärten verstärkten Ambitionen zum Klimaschutz und der wachsende Kreuzfahrttourismus gar nicht zusammen.“ Als Beispiel nennt der Aktivist den Bau des neuen Terminals: „Das zeigt uns nur noch einmal, dass kein Verlass auf die Politik ist und gesellschaftlicher Wandel von unten kommen muss.“
Das Versprechen, sich für mehr Klimaschutz einzusetzen, bleibt für Stracke „scheinheilig und heuchlerisch“, wenn nicht gleichzeitig die Reedereien dazu verpflichten würden, zumindest zu jeder Tageszeit Landstrom abzunehmen. Aus Sicht der Kreuzfahrt-GegnerInnen ist das eine Minimalforderung, die zumindest den Ausstoß von Abgas und Feinstaub verringert, solange die Schiffe im Hafen liegen.
Auch in Lübeck ist Umweltschutz schon lange ein Thema: Die Hansestadt ist seit 1992 Mitglied im „Klima-Bündnis mit indigenen Völkern der Regenwälder“ und hat eine „Klimaschutzleitstelle“ eingerichtet, in der sich BürgerInnen etwa über energetische Sanierung informieren können.
„Hübsche Lippenbekenntnisse“
Für Sebastian Kai Ising von der Lübecker Linken sind das nur „hübsche Lippenbekenntnisse“. Seine Fraktion hatte als erste das Bekenntnis zum Klimanotstand beantragt, schließlich stimmte eine breite Mehrheit der Ratsversammlung zu. Dennoch ist Ising unzufrieden: „Alle konkreten Forderungen sind weg.“ Linke und Grüne hatten einen Katalog vorgelegt, von der Umstellung der städtischen Lichtmittel auf LED über Radwege bis hin zur Erarbeitung „visionärer Projekte“. „Alles weggestimmt“, bedauert Ising.
In Bad Segeberg wünschen sich die Friday-for-Future-AktivistInnen Luna Rothenburg und Lennart Stahl, dass ihre Gemeinde mutig vorangeht: Solaranlagen auf allen städtischen Gebäuden, mehr Radwege sowieso, ein Buskonzept auch für das Umland. Nabu-Mitglied Kröger bleibt kleinteiliger: Die Straßenlaternen sollten auf LED umgestellt werden. Und eine neue Baumschutzsatzung müsse her: „Viele Leute rufen uns an, wenn bei den Nachbarn Bäume abgesägt werden – ohne Satzung gibt es kein Mittel dagegen.“ Ob und wann die Stadt sich dieser Vorschläge annimmt, ist zweifelhaft. Aber Kröger bleibt dabei, dass der Titel „Klimanotstandsstadt“ sinnvoll ist: „Ja, es ist Symbolpolitik, aber eine wichtige.“
Es ist fraglich, ob noch viele Klimanotstandsstädte folgen werden: In Bad Bramstedt sprach sich ausgerechnet der Grüne Gilbert Sieckmann-Joucken dagegen aus. Der Begriff sei „abgedroschen, jede Kommune macht das schon“, zitiert die Segeberger Zeitung. Wenn schon ein Titel, dann ein positiver, wie „Klima-Leuchtturm“.
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