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Klimakrise aus Sicht des Globalen SüdensLanger Schatten des Kolonialismus

Kommentar von Hans von Storch

Die Klimawissenschaft ist vor allem eine Wissenschaft des Westens. Sie ist zudem überwiegend männlich.

Überflutete Straßen nach heftigem Regen in der Hauptstadt Dhaka in Bangladesh Foto: Mohammad Ponir Hossain/reuters

V or einiger Zeit schrieb Imeh Ituen in der taz über Klimakrise und Rassismus. Ein bemerkenswertes und überfälliges Unterfangen, die Frage des Klimawandels beziehungsweise den Umgang damit vom Globalen Süden aus zu betrachten. Hauptpunkt dieses Beitrags war, dass die Kli­ma­bewegung vor allem eine Sache von Akteuren aus dem Westen wäre. Bemerkenswert war ihr Hinweis, dass das „Future“ in „Fridays for Future“ Ausdruck für das Übersehen der wirklichen Probleme des Globalen Südens sei – einfach, weil die Probleme dort eben schon seit Langem die Menschen belasten und es sich nicht zuallererst um ein Problem der Zukunft handelt. Interessant war auch, dass sie das Thema „Klima“ als Oberbegriff für jede Art von Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen dem reichen Westen und dem Globalen Süden verwendet (unter anderen Rassismus, Sexismus).

Für einen Klimaforscher wie mich, alt und männlich, war das überraschend und irritierend, aber doch auch angemessen. Diese breite Verwendung des Klimathemas, jenseits von Fragen des geophysikalischen Wandels und dessen Folgen, stellt einen wesentlichen Perspektivwechsel dar. Er mag auch erklären, warum behauptet wird, der Globale Süden habe seit Jahrzehnten mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Hier werden die Gefahren des „normalen“ Klimas mit den verschärften Gefahren des durch menschliche Eingriffe veränderten Klimas verwechselt. Tatsächlich gab es gerade in den Zeiten ohne Video und TV immer wieder schrecklichste Wetterkatastrophen, die die westliche Öffentlichkeit kaum berührten. Ein bedrückendes Beispiel ist ein Taifun in Bang­la­desch 1970, der mit dem Tod von bis zu einer halben Million Menschen einherging.

Aber ein Thema bleibt unerwähnt: der lange Schatten des Kolonialismus, wonach die Kolonialisten es besser wissen als die Indigenen. Es wird unkritisch übernommen, was im Westen behauptet wird. Ein Beispiel ist das Narrativ, wonach jedes Klima-/Wetter-Extremereignis eine Folge des Klimawandels sei. Aber bei dem besagten 1970er Taifun konnte keine Rede vom menschengemachten Klimawandel sein, und auch jetzt sind die Belege dafür, dass tropische Stürme schon jetzt schlimmer oder häufiger geworden sind, dürftig.

Ein prototypisches Ereignis war das Aufeinandertreffen von Al Gore mit der Premierministerin Hasina von Bangladesch auf dem World Economic Forum 2017. Es ging um ein neues Kohlekraftwerk. Al Gore meinte, das Recht zu haben, Frau Hasina belehren zu dürfen. Ein alter weißer Mann, der weiß, wo es langgeht, und eine Frau aus Bangladesch, von der er meinte, sie wisse es nicht. Bei dem Beispiel geht es nicht darum, ob das Kraftwerk nun gebaut werden sollte, ob es wesentlich für die Lebensqualität von vielen Menschen dort ist, sondern dass dieser Mann aus dem Westen sich anmaßte, der Premierministerin aus dem Süden Vorschriften machen zu dürfen.

Bild: Uni Hamburg
Hans von Storch

ist Klimaforscher und Mathematiker. Er ist Professor an der Universität Hamburg und der Ocean University of China sowie ehemaliger Leiter des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz­Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und Küstenforschung in Geesthacht.

Auch die Kritik, dass dieses oder jenes Land Umweltsünden zugunsten wirtschaftlicher Interessen begehen würde, hat – wenn im Westen formuliert – einen unangenehmen Beigeschmack, wenn man sich vergegenwärtigt, wie denn die Landschaften des Westens vor der „Kultivierung“ aussahen. Forderung nach einer Renaturierung der Kulturlandschaft Lüneburger Heide hört man selten.

Woher weiß der Globale Süden, wie der menschengemachte Klimawandel sich dort, im Globalen Süden, ausprägt, und wie man dagegen vorgehen kann oder gar muss? Er weiß es vor allem, weil der reiche Westen es ihm mitteilt. Es gibt zwar mehr und mehr Universitäten und Forschungsinstitute im Globalen Süden, aber das sind meist Abbilder dessen, was im Westen läuft. Die Leistungsträger werden im Westen ausgebildet, aber selten genug ernst genommen.

Wenn man sich die Liste der IPCC-Leitautoren ansieht, dann erkennt man, dass darauf geachtet wird, dass der Globale Süden auf allen Ebenen vertreten ist, aber unter dem Strich sind es doch recht wenige. Der reiche und kluge Westen ist überrepräsentiert, insbesondere was die dominanten Personen angeht. Der Globale Süden (mit wenigen Ausnahmen vor allem aus Indien und China) wird kaum gehört oder gar ernst genommen. Die Klimawissenschaft ist eine Wissenschaft des Westens. Sie ist zudem überwiegend männlich.

Umgang mit dem Klimawandel

Dies zeigt sich insbesondere in der Frage des Umgangs mit dem Klimawandel – in Anbetracht der oft geringen Emissionen und der schon lange andauernden Verletzlichkeit gegenüber gegenwärtigem und zukünftig möglichem Wetter und Klima ist in vielen Teilen des Globalen Südens eine deutlich größere Rolle der Anpassung angezeigt. Wiederum liefert Bangladesch ein Beispiel: Nach dem Taifun 1970 begann man den Küsten- und Bevölkerungsschutz in Bangladesch massiv zu verbessern, und nach einem weiteren schweren Sturm, 1990 mit fast 100.000 Opfern, ist es jetzt gelungen, durch geeignete Baumaßnahmen und Organisation die Fallzahlen massiv zu reduzieren.

Aber heute fragt der Westen kaum mehr, wie der Schutz vor den Ereignissen besser gemacht werden kann, sondern danach, wie man zukünftige Ereignisse durch Emissionsminderung und vielleicht Geoengineering vermeiden kann. Das Thema der Anpassung verblasst auf UN-Konferenzen regelmäßig vor dem Thema der Emissionsminderung. Aber selbst wenn das ambitiöse Pariser Ziel erreicht wird, wird sich an den Klimagefahren und ihren zwischenzeitlich erfolgten Verschärfungen und damit dem Anpassungsdruck nichts ändern.

Unter dem Strich bleibt: „Der Westen“ sollte sich zurückhalten und „dem Süden“ zutrauen, politisch wie wissenschaftlich eigene Positionen zu entwickeln, die sich an der Lage vor Ort orientieren. Dazu ist logistische, auch finanzielle Unterstützung konstruktiv. Aber der Versuch der inhaltlichen Steuerung stellt eine Fortsetzung des Kolonialismus dar.

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8 Kommentare

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  • Überbevölkerung, Vermüllung, Vergiftung des Trinkwassers durch Arsen und Chlorchemie, Raubbau an der (Rest)Natur, Verseuchung der Küstengewässer und und und...



    Das sind die wahren Umweltprobleme der Dritten Welt.

    Der westliche Elfenbeinturm und sein Klimagequatsche sind in der Dritten Welt unbekannt und interessieren niemanden.

    • @el presidente:

      Gibts dazu zitable Studien, oder ist das eine Meinungsäußerung?

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Das mit dem Klimawandel ist gegessen. Natürlich muss man den CO2 Ausstoß senken, aber wichtiger ist die Anpassung an die Veränderung, die kommen wird. Die USA und China werden ihren CO2 Ausstoß nicht senken, der Rest des Südens auch nicht.

    Also ich geh jetzt Feigen ernten.

  • australien gehört zu den grössten klimasündern unter den staaten der welt .es liegt aber wie schon sein name sagt im süden und gehört also nicht zum globalen norden-seiner kriminalgeschichte nach aus der es durch landraub und völkermord hervorgegangen ist aber zum westen.



    china -dessen kohlendioxidemissionen stark zugenommen haben aber bei einer pro kopf betrachtung noch weit unter denen der europäischen union und sehr weit unter denen der vereinigten staaten von amerika liegen liegt aus seiner sicht nicht im osten und auch nicht im westen sondern als das reich der mitte in ebendieser und genauso wie indien dessen kohlendioxidemissionen noch sehr niedrig sind auf der nordhalbkugel-auf der auch der grössere teil afrikas liegt,dass noch sehr wenig kohlendioxid verursacht.

    insofern machen die begriffe globaler norden und globaler süden keinen sinn

    es handelt sich beim menschengemachten klimawandel vielmehr um ein problem dass eine reiche minderheit der weltbevölkerung verursacht hat



    und weiterverursacht

    es kann nur gelöst werden wenn diese reiche minderheit gezwungen wird auf die interessen der mehrheit der menschheit rücksicht zu nehmen-wenn also an die stelle des neben mit und gegeneinanders von nationalstaaten die um kapital und arbeit konkurrieren -und sich so ihrer souveränität berauben-ein globaler demokratischer und sozialer bundesstaat tritt-in dem der primat der politik gilt-und in dem beim schutz der globalen öffentlichen güter weder auf kapitalinteressen noch auf kund*innen interessen oder arbeitnehmer*innen-interessen rücksicht genommen zu werden braucht

    • @satgurupseudologos:

      Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Der "Fußabdruck" (Energie, GHG, Land/Biodiversitätsverbrauch, ...) als nationaler Durchschnitt täuscht über mehr hinweg, als er aussagt:



      www.nature.com/art.../s41560-020-0579-8

      Wenn man den "Fußabdruck" aber auf so etwas wie die Gini-Verteilung projiziert, kriegt man schon eine gute Vorstellung, wie die Sache aussieht. Bei Energie ist es erwiesen; bei den anderen Größen gibt es wenig Grund zur Annahme, dass es krass anders ist.

      "Nord" und "Süd" ist aus einer Zeit, wo "Ost" für Mitteleuropäische Durchschnittsmenschen noch keine präsente Dimension war. Im Kalten Krieg, da funktionierte es ganz gut.

      Jetzt sind es die Anheizer und die auf-kleiner-Flamme-Kocher.



      Ziemlich übergreifend über Nationalitäten, Kulturen, Geographie hinweg. Ein kleiner Anteil der Individuen in so ziemlich jeder beliebigen Gesellschaft verbraucht pro Person das 5fache oder mehr von dem, was die Mehrheit verbraucht.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @satgurupseudologos:

      Oh, so einfach? Wer Kohle fördert, ist schuld? Ne, wer sie verbrennt und nutzt.

  • Ich finde es schon interessant, dass jemand, der in der Vergangenheit wohl auch als Klimaskeptiker aufgefallen ist (Buch: Lexikon der Ökoirrtümer u.a. Quellen), hier den kolonialen Zeigefinger erhebt und auf die Binse hinweist, dass es Naturkatastrophen größten Ausmaßes auch schon früher gab. Gegenmaßnahmen wie Küstenschutz als möglicher Ausweg aus der (wohl zu befürchteten) langfristigen Katastrophe bei steigenden Temperaturen und Wasserspiegel wird technisch eine richtige Herausforderung, die gerade der globale Süden schwer meistern kann.

    Natürlich stehen derzeit Ungerechtigkeiten anderer Art zwischen Nord und Süd (Menschenrechte/Arbeitsbedingungen/Handel) im Vordergrund und natürlich sind Forderung nach CO2- "Ausgleichskontigenten" der Länder des globalen Südens berechtigt.

    Aber die Diskussionen/Verhandlungen (davon abzugrenzen wäre noch "Versuch der inhaltlichen Steuerung") darüber sind doch keine Fortführung des Kolonialismus.

  • Natürlich ist es wichtig, beispielsweise den Bau eines Kraftwerkes sowohl unter Umweltschutzaspekten als auch unter dem Aspekt der Lebensumstände der Menschen dort - Recht auf ein lebenswertes Leben! - zu diskutieren. Aber dieses ständige Fokussieren auf den Überbringer der Botschaft und dessen Eigenschaften (Geschlecht, Hautfarbe, geografische Herkunft) statt auf die Botschaft selbst ist ziemlich albern. Meinung a ist falsch, denn der, der das sagt, ist schwul. Meinung b ist Unsinn, denn die, die das sagt, ist schwarz und weiblich. Meinung c ist undurchdacht, denn der, der das sagt, ist weiß und alt.



    Der Klimawandel und dessen Ursachen sind bei allen noch vorhandenen Unsicherheiten wissenschaftliche Tatsachen - und der Überbringer erst einmal egal.