Klimakompensation: Ablasshandel mit Ökosünden blüht

Das Geschäft mit der Klimakompensation ist ein Wachstumsmarkt. Doch wenn es zum Marketing-Argument wird, ist der Umwelt nicht immer gedient.

Auch der Papst fliegt nunmehr klimaneutral: Flugzeug vor dem Mond Bild: dpa

Im Vatikan kennen sie sich mit Ablasshandel aus. Vor einigen Wochen verkündete der katholische Zwergstaat, von nun an klimaneutral zu sein. Nicht dass man im Vatikan jetzt aufs Heizen verzichten würde - die CO2-Sünden soll ein neuer Wald ausgleichen. Ein ungarisches Unternehmen will so viele Bäume pflanzen, dass damit der gesamte CO2-Ausstoß des Vatikan absorbiert wird.

1. Verbrauch reduzieren!

Kompensation ist nur der zweite Schritt zur Klimaneutralität. Der erste heißt: selber CO2 einsparen - durch Ökostrom, Bahnfahren oder Wärmedämmung. Nur Emissionen, die sich nicht vermeiden lassen, sollten kompensiert werden.

2. Kompensationsprodukt wählen!

Die zuverlässigste Produktkategorie heißt CER, was für certified emissions reductions steht. Projekte in Entwicklungsländern reduzieren durch erneuerbare Energien oder größere Effizienz den CO2-Ausstoß und dürfen entsprechend viele CER-Zertifikate verkaufen. Weil diese Projekte nach den Regeln des UN-Klimasekretariats regelmäßig und aufwendig überwacht werden, sind CER-Zertifikate zwar zuverlässig, aber auch vergleichsweise teuer. VER, verified emissions reductions, folgen dem gleichen Prinzip wie die CER, werden aber nicht entsprechend kontrolliert und sind daher günstiger. VER-Projekte müssen nicht unbedingt schlechter sein. Der Markt für Zertifikate aus dem EU-Emissionshandel war in der aktuellen Handelsperiode ein Flop - zu viele Emissionsrechte waren auf dem Markt. Ob sich das in der zweiten Phase ab 2008 ändert, hängt davon ab, wie knapp das CO2 zugeteilt wird. Im besten Fall könnten dann Privatpersonen der Industrie Beine machen, indem sie ihr die CO2-Emissionsrechte wegkaufen.

3. Auf Qualität achten!

In der Fülle der Klimasiegel, die sich die Anbieter meist selbst geben, ragt der Gold Standard heraus, den Umweltorganisationen als Gütesiegel entwickelt haben. Ausgezeichnet werden nur Projekte, die zum Umbau in eine kohlenstofffreie Wirtschaft beitragen und die die lokale Bevölkerung einbeziehen.

Nicht nur der Vatikan - immer mehr Unternehmen entdecken den Reiz der "Klimaneutralität". Das Prinzip heißt Kompensation: Anstatt selbst auf CO2-Emissionen zu verzichten, bezahlt man jemand anderen für seinen Verzicht. Mit dem Geld wird dann, üblicherweise in Entwicklungsländern, CO2 vermieden, eingespart oder absorbiert. Klimaneutralität könnte zu einem der wichtigsten Marketing-Argumente der Zukunft werden. Wenn die Kundschaft klimabewusster wird, lassen sich Bücher, DVDs, Flüge, Konferenzen, Unternehmen, gar Autos unter diesem Label besser verkaufen. Nicht zuletzt deshalb wächst der Markt für freiwillige Klimakompensation rasant. Einheitliche Zahlen gibt es nicht. Für 2006 wird er jedoch auf mindestens 100 Millionen Euro geschätzt. Dieses Jahr dürfte es bereits ein Vielfaches davon sein.

Die Zahl der Anbieter steigt ständig: Sie sind gemeinnützig organisiert wie die Schweizer Stiftung MyClimate oder kommerziell wie die Berliner Climate Company. Sie kompensieren Flüge wie Atmosfair oder die Emissionen von ganzen Unternehmen wie die Allianz-Ausgründung 3C. Es ist ein Markt mit Licht und Schatten. Er zieht Menschen an, die mit Umweltschutz bislang wenig am Hut hatten: Sie verkaufen den Traum vom reinen Klimagewissen. Ihre Angebote erwecken den Eindruck, als könnten wir alle klimaneutral werden und trotzdem genauso fliegen, fahren oder einkaufen wie bisher.

Einer, der genau das eigentlich verhindern wollte, ist Dietrich Brockhagen, der Gründer der Organisation Atmosfair, die Emissionen aus dem Flugverkehr kompensiert. Brockhagen ist ein Pionier im Geschäft mit der Klimakompensation - und gleichzeitig einer der größten Kritiker seines eigenen Geschäftsmodells. Seine Gäste empfängt der 40-Jährige in T-Shirt und Sandalen, die Wände in seinem kleinen, voll gestellten Büro in Berlin-Mitte sind kahl und weiß. Das einzige, was nicht unbedingt zur Arbeit benötigt wird, ist eine kleine Palme in der Ecke. Was die Zahlen angeht, könnte man Atmosfair für einen boomenden Start-up halten: 500 Prozent Wachstum, mehr als eine Million Euro Umsatz.

Tatsächlich ist Atmosfair eine GmbH mit Gewissensbissen. Der Werbeflyer liest sich fast wie der Beipackzettel eines Medikaments. Risiko und Nebenwirkung der Medizin Klimakompensation: keine Verhaltensänderung beim Patienten. Atmosfair schreibt: "Jedes Flugticket finanziert das bestehende Transportsystem und gibt keinen Anreiz zu dessen umweltverträglichen Umbau. Deswegen ist Atmosfair ein wichtiger Beitrag zur Schadensbegrenzung - nicht mehr und nicht weniger." Um sicher zu gehen, hat Brockhagen, der aus der Umweltbewegung kommt, eine Studie anfertigen lassen. Er wollte wissen, ob sich das Angebot von Atmosfair "flugsteigernd" auf das Verhalten klimabewusster Menschen auswirkt. Das Ergebnis hat ihn beruhigt: Drei Viertel der Kunden würden eigentlich lieber verzichten, als zu kompensieren. Überzeugte Nichtflieger fliegen nicht auf einmal mehr, nur weil es Atmosfair gibt.

Das Wort "klimaneutral" ist bei Atmosfair ein Tabu. "Es klingt zu sehr nach: Problem gelöst", sagt Brockhagen. Er würde seinen Kunden das Wort nicht verbieten, "aber eigentlich ist es nicht richtig, weil es suggeriert, dass Fliegen dem Klima nicht schadet." Andere Unternehmen haben da weniger Skrupel. Zum Beispiel die Climate Company. Hinter ihr verbirgt sich Michael Kroehnert, 51 Jahre alt, kurze graue Haare, Anzug. Kroehnert residiert in einem großen Bürogebäude in Berlin-Charlottenburg, es riecht nach Ledersofa. An den Wänden hängen DIN-A4-große, bunt verzierte Pappzettel, die von weitem aussehen wie Siegerurkunden eines Kegelwettbewerbs. Schaut man genauer hin, kann man zum Beispiel einen roten Oldtimer-Flitzer erkennen, viel Kleingedrucktes und die Überschrift "Klima-Zertifikat". Das hat er an 110 Oldtimer-Fahrer verkauft, die daraufhin ihre Spritztour um Berlin "klimaneutral" nennen konnten.

Kroehnert war früher Marketingleiter eines kleinen Energieunternehmens. Damals ist er als Erster auf die Idee gekommen, den Leuten einen Farbfernseher zu schenken, wenn sie einen Stromvertrag für drei Jahre abschließen. Seitdem glaubt er, dass Kunden einen "anfassbaren Nutzen" wollen. Viel Geld verdient Kroehnert mit seiner Climate-Company bis jetzt noch nicht. Aber seine neueste Idee soll das ändern: die Klima-Vignette. Dafür arbeitet er mit einer Gruppe von Autohäusern zusammen, die große Stop-CO2-Schilder aufgestellt haben. Wer sich dort einen Mazda oder Suzuki kauft, bekommt die Klimakompensation von 15.000 Kilometern Autofahrt gleich mitgeliefert. Anfassen können die Kunden: eine Vignette für die Windschutzscheibe, ein Registrierungskärtchen mit Kalender fürs Portemonnaie, eine Urkunde für die Wohnzimmerwand.

Klimaschützer wie Karsten Smid von Greenpeace nennen das: den zweiten Schritt vor dem ersten machen: "Man muss doch erst ein sparsames Auto kaufen, danach kann man gerne noch kompensieren." Die wenigsten Umweltschützer halten Klimakompensation für grundsätzlich verwerflich, auch nicht, wenn damit Geld verdient wird. Die Grenze liegt dort, wo Kompensation kontraproduktiv wird, weil sie klimaschädliches Verhalten aufrechterhält.

Die Bostoner Tufts-Universität hat Anfang des Jahres 13 Anbieter untersucht und nur vier empfohlen: Atmosfair, MyClimate, die US-Firma NativeEnergy und ClimateFriendly aus Australien. Von anderen rät sie explizit ab. Die Gründe: zu hohe Verwaltungskosten, falsche CO2-Berechnungen, keine effizienten Projekte. Im britischen Umweltministerium charakterisiert man den Markt gar als "wilden Westen" und plant ein einheitliches System zur Emissionsberechnung samt Gütesiegel. Auch der Leiter der Klimaabteilung im Umweltbundesamt, Benno Hain, denkt darüber nach, ob es nicht externe Prüfungen für Kompensationsanbieter geben sollte.

Da ist zunächst die Frage, wie viel CO2 berechnet wird. Wer bei Easyjet einen Flug von Berlin nach Barcelona bucht und im Internet den "CO2-Ausgleich" anklickt, kann dort 124 Kilogramm CO2-Ausstoß für 2,39 Euro kompensieren. Die gleiche Angabe bei Atmosfair ergibt eine Klimawirkung von 400 Kilogramm CO2. Der Unterschied: Atmosfair berechnet nicht nur den Kerosin-Verbrauch, sondern auch die in CO2-Äquivalente umgerechnete Klimawirkung von Stickoxiden und Kondensstreifen. Auch Flugzeugtyp, Auslastung, Warteschleifen und Flughöhe werden einkalkuliert.

Selbst wenn der CO2-Ausstoß einheitlich berechnet würde, würden sich die Anbieter im Preis deutlich unterscheiden: Bei Atmosfair kostet die Tonne CO2 ungefähr 20 Euro, bei "Prima-Klima-weltweit" dagegen nur 10 Euro. Entscheidend dafür ist, was mit dem Geld passiert: Atmosfair investiert in teure Energieprojekte, die unter Beachtung hoher sozialer Standards Klimagase in Entwicklungsländern einsparen: zum Beispiel ein Solarküchen-Projekt in Indien oder eine Biogas-Anlage in Thailand. "Prima-Klima" lässt Bäume pflanzen, was weitaus billiger ist - und umstritten: Denn niemand kann garantieren, dass die Bäume auch in hundert Jahren noch stehen und CO2 binden.

Uneinheitliche Preise

Noch teurer als bei Atmosfair ist die Klimakompensation bei der Climate Company, aber das liegt an dem ganzen "Drumherum", wie Geschäftsinhaber Kroehnert erklärt. 59,90 Euro kostet das "Klima-Zertifikat" für eine Tonne kompensiertes CO2 hier. Auf einer gut versteckten Seite ihres Internetauftritts legt die Climate Company offen, wie dieser Preis zustande kommt: Ungefähr 16 Euro kostet ein sogenanntes VER-Zertifikat für eine Tonne Emissionsreduzierung bei einem Zwischenhändler. Der Rest geht drauf unter anderem für den Druck des "Klima-Zertifikats", Website, Versand, Verwaltung, Werbung, Steuer oder Gewinn. Nur 27 Prozent fließen in ein Projekt. Bei Atmosfair sind es 88 Prozent. "Rechnerisch mag das richtig sein", sagt Kroehnert. Aber er würde ja schließlich keine Tonne CO2 verkaufen, "sondern ein Klimageschenk", auf buntem Papier mit schönen Bildern.

Etwas günstiger als das "Klima-Zertifikat" verkauft Kroehnert die "Klima-Vignette" für Autofahrer. Das liegt unter anderem daran, dass 10 Prozent der CO2-Menge hierfür aus dem Europäischen Emissionshandel stammen. An der CO2-Börse kostet das Emissionsrecht für eine Tonne derzeit nur wenige Cent. Zumindest für die Zeit bis 2008 hatten die Regierungen der Industrie mehr Emissionsrechte geschenkt, als diese verbrauchen konnte. Alle Experten sind sich einig: Wer heute überschüssige Emissionsrechte erwirbt, kauft heiße Luft, dem Klima hilft das nicht. Als hauptamtlicher Emissionshändler weiß Kroehnert das. Aber als Marketing-Fachmann weiß er auch: "Die Leute wollen auch das Gefühl haben, zu Hause CO2 einzusparen."

Einfach zu Hause einsparen - das versucht auch Atmosfair-Chef Brockhagen seinen Kunden klarzumachen. Aber Brockhagen verzichtet dafür auf Einnahmen für seine Projekte. Neulich rief der Chef einer Druckerei bei ihm an, weil er klimaneutrale Bücher drucken wollte. Er riet ihm, sich effizientere Maschinen zu kaufen und sie mit CO2-freiem Ökostrom zu betreiben. Brockhagen sagt: "Es ist doch besser, das Problem an der Wurzel zu packen, als das Geld nach Indien zu geben."

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