Klima und Stadtplanung der Zukunft: Die versiegelte Gesellschaft
Schaffen wir die Trendwende und lernen, mit dem Wasser zu leben? Nach der Flutkatastrophe eine Bestandsaufnahme von der Ahr und dem Rest der Welt.
Wie so oft sind es selbst erfahrene Bilder, die sich am stärksten von Katastrophen einprägen. Als ich am Ende sintflutartigen Starkregens den stark betroffenen Kreis Mettmann verließ, um mich in der Vulkaneifel zu entspannen, machte ich mich unwillkürlich zu einer Odyssee auf, die mir die wohlbekannten Landschaften als fremd und bedrohlich zurückspiegelte.
Kurz vor Neuwied weitete sich der Rhein auf die doppelte Breite und reichte plötzlich bis zu den Bahngleisen. Wer unbedingt wollte, konnte sich todesmutig durch das offene Zugfenster in die braunen Fluten stürzen. So hatte man sich die beliebte „Waterstad“ nicht vorgestellt.
Maria Laach, Ziel meiner achtstündigen Irrfahrt entlang des Rheins im ÖPNV, stellte sich gerade darauf ein, Flutopfer aus den benachbarten Ortschaften aufzunehmen, aus Bad Münstereifel, Nettersheim und dem benachbarten Ahrweiler. Die Benediktiner der Abtei Maria Laach beherbergten eine Rollstuhlfahrerin, die vom Dach ihres Hauses durch einen Helikopter gerettet wurde, und eine alte Frau mit Behinderung, die in den Fluten ihr Hab und Gut verlor. Den Benediktinern lag es fern, das an die große Glocke ihrer Abteikirche zu hängen, sie dachten nur an gelebte Gastfreundschaft.
Außerhalb von Ahr und Erft, außerhalb von Bächen wie der Düssel oder der Rurtalsperre waren die Auswirkungen noch erträglich. Dennoch gaben Experten wie der Biologe Wolfgang Büchs von der Uni Hildesheim zu bedenken, die Ahrtal-Fluten seien höher als jemals zuvor gemessene Werte gewesen.
Nürburgring statt Klimaschutz
Büchs benannte klar die Mängel: Besiedlung, Versieglung, Flurbereinigung und Flussbegradigungen haben die extremen Folgen des Starkregens begünstigt. Die politischen Fehlentscheidungen, die in der Region die Katastrophe nährten, sind bekannt: Der Nürburgring wurde unweit der Ahr zur „modernsten und sichersten Grand-Prix-Strecke der Welt“ ausgebaut.
Bis heute sind die Leute stolz auf das Prestigeprojekt in der Provinz. Bei so viel Begeisterung für den Motorsport überrascht es nicht, dass man rund um Ahrweiler und den Nürburgring auf öde Straßendörfer wie Mendig mit ihren typischen Flächenversiegelungen trifft, die für den Eifeler zum Naturgesetz wurden. Es scheint, über klimaresiliente Präventionsmaßnahmen hat hier noch niemand ernsthaft nachgedacht.
Doch das Problem ist keineswegs eifeltypisch, sondern globaler Art. Die Regionen, in denen die Zahl der von Hochwasser betroffenen Menschen in den nächsten 15 Jahren drastisch steigen wird, befinden sich weniger in den sogenannten unterentwickelten, sondern in den hochentwickelten Ländern mit guter Infrastruktur. Man denke nur an die erst kürzlich von Starkregen und Sturmfluten verwüsteten amerikanischen Ostküstenmetropolen New York und New Orleans. Auch der kürzlich vom Hurrikan „Ida“ hervorgerufene Starkregen war stärker als jemals zuvor.
Die größten Flutkatastrophen an der Ostküste waren alle in den letzten Jahren: 2012 der Hurrikan „Sandy“ in New York mit 285 Toten und 2005 „Katrina“ in New Orleans mit 1.836 Toten. Wenig ernüchternd sind die Extrapolationen, die Klimaforscher vor einiger Zeit in Science veröffentlichten: In den nächsten 15 Jahren rechnen sie für Deutschland mit 710.000 Flutopfern. Damit würde sich die Zahl der vom Hochwasser Betroffenen versiebenfachen.
Dämme alleine helfen wenig
Unmittelbar nach „Katrina“ war die Zeit noch nicht reif, die richtigen Lehren aus der Katastrophe zu ziehen. Man setzte weiter auf die alten Denkblockaden: Die US-Regierung steckte Milliarden Dollar in ein neues Deichprojekt für New Orleans. Das führte lediglich dazu, das Mississippidelta in ein Korsett endloser Dämme zu zwängen und New Orleans vom Meer abzuschotten. Wirksame Präventionsmaßnahmen waren das nicht.
Erst nach „Sandy“ stellte sich allmählich die klimapolitische Wende ein. Die Regierung verkündete das Wiederaufbauprogramm „Hurricane Sandy Rebuilding Strategy – Stronger Communities, a Resilient Region“. Die Amerikaner ließen sich dabei von holländischen Wasserexperten das niederländische „Room for the River“ erläutern. Das beinhaltet Flutungsräume an den Meeres- und Flussufern, ebenso riesige innerstädtische Becken, die unter normalen Bedingungen von Skatern genutzt werden können.
Die Amerikaner staunten damals über die „Rotterdam Waterstad 2035“, die Kanäle durch das Rotterdam südlich der Maas vorsieht. Zum ersten Mal hörten sie, es käme weniger darauf an, sich durch riesige Deiche zu schützen, als mit dem Wasser zu leben lernen. Das ist bekanntlich die probate niederländische Überlebensmaxime. Tatsächlich waren es Rotterdamer, die in New Jersey eine parkähnliche Überflutungszone mit weitläufigen Promenaden und Freizeitangeboten errichteten. Und es waren Dänen, die für Manhattan ein Zurückweichen der Stadt verordneten, um mehr Platz für Flutungszonen zu schaffen.
Wasser als Hauptgefahr
Trotz der zunehmenden Brandkatastrophen gilt weiterhin – wie die Science-Autoren und der Rotterdamer Wasserexperte Henk Ovink betonen –, dass nahezu 90 Prozent aller Umweltkatastrophen vom Wasser herrühren. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung warnt deswegen: „Nichtstun wäre gefährlich.“ Um die Sicherheit der Menschen weltweit zu gewährleisten, müssten so schnell wie möglich wirksame Anpassungen vor Ort gegen mehr Regen, Hochwasser und Fluten unternommen und der Ausstieg aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas forciert werden.
Immerhin, das NRW-Umweltministerium legte bereits im Oktober 2020 das Sofortprogramm „Klimaresilienz in Kommunen“ auf. Zahlreiche Kommunen waren offenbar nicht sonderlich an dem Programm interessiert. Womöglich haben sich einige, nach dem erneuten Förderangebot zur Klimawandelvorsorge von Ende August 2021, eines Besseren besonnen.
Dennoch stellt sich die Frage: Mit welchen Präventionsmaßnahmen wird man sich vor künftigen Hochwasserkatastrophen wappnen? Der erste Schritt war, nach der Sintflut im Ahrtal die Betroffenen durch eine Wiederaufbauhilfe von insgesamt 30 Milliarden Euro zu entschädigen. Es bleibt aber zweifelhaft, ob die erforderlichen Präventionsmaßnahmen in den Eifeldörfern, in denen der Autolobby quasi ein Naturrecht zukommt, zu vermitteln sind. Und trotzdem darf keine Zeit verloren werden, da uns die Katastrophen in immer kürzeren Abständen heimsuchen.
Für Nordrhein-Westfalen, wo der Anteil stark versiegelter Flächen in den letzten 30 Jahren um rund ein Drittel gestiegen ist, hat das klare Konsequenzen: Öffentliche Parkplätze und wenig befahrene Straßen müssten größtenteils entsiegelt werden, ebenso zahlreiche private Flächen, damit der Regen ins Grundwasser abfließen kann. Je mehr, desto besser.
Kommunen in der Pflicht
Da viele Schottergärten, Stellflächen, Garagen, asphaltierte Wege und wasserundurchlässige Terrassen in privater Hand sind, käme es darauf an, auch die Hauseigentümer im Rahmen des Sofortprogramms „Klimaresilienz“ finanziell einzubinden. Dabei geht es um flächendeckende Vorsorge, die von den Kommunen zu steuern wäre.
Wie das möglich ist, zeigt sich in Bochum, wo SPD und Grüne ein Förderprogramm zur Flächenentsieglung, Dach- und Fassadenbegrünung aufgelegt haben. Das ist der richtige Weg, denn zur Klimaresilienz gehört untrennbar die heute oft diskutierte Gebäuderesilienz. Was bedeutet, Gebäude ohne großen Aufwand an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Begrünte Dächer und Fassaden – wie es aktuell der Düsseldorfer Kö-Bogen II als Paradebeispiel für die Green City demonstriert – wirken wie ein Schwamm und vermögen 50 bis 80 Prozent der Niederschläge zu speichern. Das ist der große Vorteil gegenüber Asphalt und Beton, die lediglich die Hitze aufnehmen.
Bei allem sollte das stärkste Argument nicht vergessen werden: Entsiegelung wäre endlich ein wichtiger Schritt hin zur lebenswerten Stadt.
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