Kleinkrieg: Naturschützer stehen im Regen
Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander will den Naturschutz am Dümmer See in die Hände von Jägern, Seglern und Campingplatzbesitzern legen. Die waren bisher eher als Gegner des Naturschutzes aufgefallen.
Vor einer Dekade war die Dümmerniederung eine schadstoffverseuchte Kloake. Heute ist die Gegend um Niedersachsens zweitgrößten See ein von der EU prämiertes Schutzgebiet, wo sich neben Fuchs und Hase so seltene Tierarten wie Moorfrosch, Distelfalter und Ziegenmelker Gute Nacht sagen. Stören tut eigentlich nur der Mensch, der sich an den Grenzen des Biotops einen bizarren Kleinkrieg liefert. Feindbild einiger einflussreicher Ureinwohner ist der Naturschutzring Dümmer e. V., der im Auftrag der Landesregierung den Naturschutz überwacht. Jetzt sollen die Ökos mithilfe des Umweltministeriums gedeckelt werden. In Bereitschaft steht ein Konkurrenzverein, in dem Jäger, Segelsportler und Campingplatzbetreiber den Ton angeben.
Die Gelegenheit ist günstig. Der Kooperationsvertrag des Naturschutzrings mit dem Land läuft Ende 2009 aus. Und das werde auch höchste Zeit, sagt Jürgen Hage. Hage ist Polizist, Vizebürgermeister der Gemeinde Hüde und Freidemokrat. Obendrein gehört er zum Vorstand der Natur- und Umweltschutzvereinigung Dümmer e. V. (NUVD). Das ist jener Verein, der den Kooperationsvertrag übernehmen will. Für den Naturschutzring hat er nur Verachtung übrig. "Die sind alle nicht von hier und machen nichts außer Vögel zählen und Leute quälen."
Die Folterinstrumente sind schnell aufgezählt. Da wäre das Verbot, den See im Winter mit Segelbooten oder Surfbrettern zu befahren, das Verbot, Kormorane abzuschießen und das Verschrecken potentieller Urlauber. Die Tourismus-Information Dümmerland weiß davon allerdings nichts. Dort heißt es, die Besucherzahlen seien seit Jahren "gut" und "konstant".
Lage: Der Dümmer See, auch Dümmer genannt, liegt im Landkreis Diepholz zwischen Osnabrück und Bremen
Größe: Der Dümmer See ist der zweitgrößte See in Niedersachsen nach dem Steinhuder Meer, seine Wasserfläche beträgt 13,5 Quadratkilometer
Tiefe: Trotz seiner Größe ist der See höchstens 1,50 Meter tief
Wasserzufuhr: Der See wird von mehreren Armen der Hunte durchflossen
Aber das ficht Hage und seine Mitstreiter nicht an. Die meisten sind wie Hage altgediente Mitglieder der Interessengemeinschaft Dümmer, einer Versammlung wohlhabender Hobby-Jäger und -Segler, die gegen den Naturschutzring einen "pathologischen Hass" entwickelt haben. Der sei, sagt Dieter Tornow, Naturschutzbeauftragter des Landkreises Diepholz, über Jahrzehnte gewachsen. Was vor allem daran liege, das der NUVD gar nicht wisse und wissen wolle, "wie kompliziert Naturschutz eigentlich ist". Wenn es nach ihm ginge, würde man den Vertrag mit dem Naturschutzring anstandslos verlängern. Die vier Mitarbeiter hätten für ein "entspanntes, produktives Verhältnis am Dümmer zwischen Naturschutz und Landwirtschaft" gesorgt.
Aber dafür ist es zu spät. Mittlerweile ist der Vorgang bei Hages Parteifreund, Umweltminister Hans-Heinrich Sander, gelandet, der das Problem gewohnt hemdsärmlig anging. Im August ließ er den Naturschutzring zu einem "Fachgespräch" einbestellen. Ebenso deren bis dato namenlose Widersacher. Als der Protesttrupp im Ministerium aufschlug, firmierte er plötzlich unter dem Rubrum NUVD. Ob die Vereinigung vor oder erst nach dem Termin oder gar auf Anregung des Umweltministerium geschmiedet wurde, ist umstritten. Hage gibt das Gründungsdatum vage mit "im Sommer" an. Das Diepholzer Kreisblatt schreibt "August". An die Öffentlichkeit trat die NUVD im September.
Im Vereinsregister suchte man die NUVD allerdings noch im Oktober vergeblich. Damit war die Vereinigung gar nicht geschäftsfähig, als Sander mit ihnen verhandelte. Sander-Sprecherin Jutta Kremer-Heye weist jeden Verdacht auf Kungelei weit von sich. Beide hätten "ihre Konzepte eingereicht", und nun rede man über eine Zusammenarbeit", lautet der offizielle Kommentar. Gestern mussten die verfeindeten Parteien gemeinsam im Umweltministerium antreten. "Das kann nicht gut gehen", prophezeite Hage tags zuvor. Da sei es ihm schon lieber, "das Geld für den Naturschutz einzufrieren".
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