berliner szenen: Kleingeld klimpert
Reicht für Sesamringe
Fünf Stockwerke und zwei Nachtbusstationen bis zur Tankstelle an der Schlesischen Straße, gleich neben dem Klub der Visionäre, zu Fuß, nur um dann zu merken, dass das Portemonnaie in der Küche geblieben ist. Aber egal – das Kleingeld in den Hosentaschen hat bis jetzt noch fast immer gereicht. Links vorne sind zwei Mark. Was kriegt man schon für zwei Mark mitten in der Nacht? Zigaretten jedenfalls nicht. Bei Sindbad, dem 24-Stunden-Bäcker am Schlesischen Tor, wären das zwei Sesamringe, ein komplettes Frühstück. Und frisch müssten sie jetzt auch sein, denn zwischen zwei und drei Uhr morgens sorgt er immer für Nachschub. Oder man könnte eine der unzähligen türkischen Kekssorten, Kilopreis 15 Mark, ausprobieren, deren Namen man schon beim Rausgehen wieder vergessen hat. Also essen oder rauchen. Rechts vorne: eine Mark zehn. Macht zusammen also drei Mark zehn, was immerhin schon für widerliche Westpoint oder für einmal Kino im „Sojus“ in Mahrzahn reichen würde. Aber extra nach Marzahn, um sich gemeinsam mit der einheimischen Jugend einen veralteten Hollywoodstreifen anzusehen? Vielleicht in zwei oder drei Monaten, wenn sie dort einen von den Filmen zeigen, die man zwar sehen will, den vollen Preis aber nicht zahlen will. „Final Fantasy“ zum Beispiel. Links hinten: eine Mark neunzig. Macht jetzt fünf Mark. Uwe, Katholik, Keyboardspieler und Kettenraucher, würde jetzt glücklich mit einer Packung Cabinet würzig für 4,85 DM losziehen. Cabinet wären eigentlich gar nicht so schlecht, denn immerhin waren das die ersten Zigaretten, die ich jemals geraucht habe. Hinten rechts: eine Mark fünfzig, macht also sechs Mark fünfzig. Das reicht für Gauloises und Sesamring.
TOBIAS RECKLING
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