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Kleine Parteien bei der Berlin-WahlEhrenwert, aber sinnlos

Erik Peter
Essay von Erik Peter

Wer am 26. September für eine Kleinpartei votiert, verschenkt seine Stimme – und könnte einem konservativen Senat zur Mehrheit verhelfen.

Die Klimaliste will hoch hinaus: Plakataktion in Berlin Foto: Stefan Zeitz/imago

S o viele Wäh­le­r*in­nen wie nie zuvor werden womöglich ihre Stimme bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus verschenken. Rote Schleife drum und ab an eine der kleinen Parteien, die die 5-Prozent-Hürde absehbar nicht überspringen werden. Diese Stimme ist vielleicht ein Ausdruck des guten Gefühls, auf der richtigen Seite zu stehen; es ist eine Stimme des kleinsten Übels, womöglich auch des Protests. All das ist so ehrenwert und demokratisch, wie es sinnlos ist.

Wer am Ende diese Stadt regiert – darüber entscheiden die Wäh­le­r*in­nen etwa von Volt oder Klimaliste nicht mit. Indirekt aber tun sie es doch. Und wahrscheinlich für eine Konstellation, die ihren politischen Vorstellungen fern liegt.

Die großen Umfrage-Institute weisen kleine Parteien erst aus, wenn sie – bei aller Fehlertoleranz – Zustimmungswerte von 3 Prozentpunkten erzielen. Nur ein einziges Institut, Insa, sieht bisher mit den Freien Wählern eine der nicht im Parlament vertretenen Parteien bei dieser Schwelle. Aber auch 3 Prozent sind noch weit entfernt von einem Einzug ins Abgeordnetenhaus. Alle anderen Kleinstparteien sind aktuell unter ferner liefen einzuordnen.

Gleichwohl ist der Run auf die Orchideenparteien ungebrochen, Bedeutungslosigkeit scheint chic. Bei Infratest dimap liegt der graue Balken für die „Sonstigen“ mit 10 Prozent höher als der gelbe der FDP; bei der jüngsten Civey-Umfrage überholen die Kleinen mit zusammen 12 Prozent sogar die AfD. Bleibt es dabei, wäre es fast ein Rekord: Nur 1954 stimmten in Berlin prozentual mehr Menschen für Parteien, die nicht ins Parlament einzogen. Womöglich wird dieser Spitzenwert von 12,2 Prozent doch noch gebrochen: Laut Infratest gewinnen die kleinen Parteien „erst im Laufe des Wahlkampfs an Sichtbarkeit“.

Im bedeutungslosen Ameisenrennen können sich dabei fünf Parteien Hoffnungen machen, die größte zu werden.

Sieht man von den bürgerlich-konservativen Freien Wählern ab und mit Abstrichen von der Querdenkerpartei Die Basis, sind es vor allem Parteien, die – zu Recht oder nicht – eher ein linkes bis linksliberales Spektrum ansprechen wollen. Im bedeutungslosen Ameisenrennen können sich dabei fünf Parteien Hoffnungen machen, die größte zu werden.

Die Partei holte 2016 fast zwei Prozent

Neue Umfrage

Gut eine Woche vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus deutet eine neue Umfrage auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und Grünen. In dem am Donnerstagabend vom ZDF veröffentlichten „Politbarometer Extra“ der Forschungsgruppe Wahlen liegt die SPD bei 21 Prozent, die Grünen kommen auf 20 Prozent. Auf Platz drei folgt die CDU mit 17 Prozent. Auf die Linke entfallen 12, auf die AfD 9 und auf die FDP 8 Prozent. Die anderen Parteien erreichen zusammen 13 Prozent, darunter ist aber keine Partei, die wenigstens drei Prozent bekäme.

Die Forschungsgruppe Wahlen betont, dass ihre Projektionswerte keine Prognose für den Wahlausgang am 26. September darstellen. Zudem wüssten 38 Prozent der Wahlberechtigten noch nicht sicher, ob und wen sie wählen wollen. (dpa)

Erstens „Die Partei“ um den kandidierenden Politpromi Martin Sonneborn, die bei der Abgeordnetenhauswahl vor fünf Jahren mit knapp 2 Prozent das Ameisenrennen gewann und zumindest bei Wahlkreisprognose.de vor einem Jahr einmal bei 4,5 Prozent lag. Zweitens die Tierschutzpartei, beliebt in jeder Schulumfrage und bei der letzten Wahl mit 1,87 Prozent auf Platz zwei. Drittens die erstmals kandidierende paneuropäische Volt-Partei, die zuletzt bei der hessischen Kommunalwahl Achtungserfolge erzielte. Zudem die Klimaliste, hervorgegangen aus der Volksinitiative Klimanotstand Berlin, die als einzige konsequent das 1,5-Grad-Ziel bis 2030 programmatisch verfolgt.

Und schließlich, mit Außenseiterchancen, die Piraten, die vor zehn Jahren mit knapp 9 Prozent ins Parlament einzogen, vor fünf Jahren aber bereits auf 1,73 Prozent zusammengeschmolzen waren. Zusammengenommen dürften die Parteien, die eher links, liberal und ökologisch tickende Wäh­le­r*in­nen ansprechen, damit mindestens 7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.

Dieser Stimmenanteil könnte reichen, um einem Wahlsieg der konservativ tickenden SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey und ihrer drohenden Wunschkoalition mit CDU und FDP noch etwas entgegenzusetzen – doch dafür müssten sich die Wäh­le­r*in­nen stattdessen für Grüne oder Linke entscheiden. Wer nicht in erster Linie das Signal setzen möchte, mit den etablierten Parteien unzufrieden zu sein, sondern will, dass Klima- und Mie­te­r*in­nen­schutz zukünftig Priorität haben, kommt an beiden Parteien nicht vorbei. Das mag man ernüchternd finden, aber ausblenden sollte man es nicht.

Die kleinen Parteien können Leerstellen besetzen, radikaler sein, Themen von außen auf die Agenda bringen.

Heißt das im Umkehrschluss, dass das festgefahrene Parteiengefüge niemals durchgelüftet werden wird? Nicht unbedingt. Nur müsste es einer der kleinen Parteien eben gelingen, bereits vor der Wahl so aufzufallen, dass ein Einzug wahrscheinlich wird. Solange die 5-Prozent-Sperrklausel nicht deutlich abgesenkt wird, gelingt das aber nur wenigen – und in diesem Jahr offensichtlich niemandem.

Gerecht ist das nicht, denn es sagt nichts über das inhaltliche Angebot der Kleinen aus. Sie können Leerstellen besetzen, radikaler sein als das Bestehende, Themen von außen setzen. Ein Blick auf das Angebot lohnt also durchaus. Doch spätestens in der Wahlkabine muss man sich entscheiden.

Und da gilt: Eine Stimme für die Klimaliste ist eine Stimme für Giffeys autogerechte Stadt, eine Stimme für Die Partei eine für einen Senat, der sich – auch bei einem positiven Volksentscheid – der Enteignung der Wohnungskonzerne versuchen wird, entgegenzustellen. Es stimmt: Die Wäh­le­r*in­nen haben es in der Hand.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Sehr geehrter Herr Peter,



    Vielen Dank für Ihre interessante Darstellung.



    Das Risiko einer rot-schwarz-gelben Koalition schätzen Sie meines Erachtens aber zu hoch ein. Die von Ihnen genannten 21% für die SPD, die 17% für die CDU und die 8% für die FTP ergeben in der Summe lediglich 46%. 21% für die SPD, 20% für die Grünen und 12% für die Linke ergeben dagegen 53%. Eine solche Koalition ist daher wesentlich wahrscheinlicher.



    Ihre Abhandlung finde ich jedoch noch aus einem weiteren Grund, den ich viel schwerwiegender einschätze, geradezu unverantwortlich. Sie suggerieren den Menschen, die eine kleine Partei wählen wollen, dass ihre Stimme verschwendet sei, und begründen dies mit ihrer Beispielrechnung die, wie oben gezeigt, gar nicht das prophezeite Szenario ergeben kann. An den Mehrheitsverhältnissen würde sich auch nichts ändern, wenn die Wähler von kleinen Parteien die großen Parteien wählen würden. Denn die Analysen bezüglich der Wählerwanderung zeigen, dass die Wählerinnen von kleinen Parteien zu gleichen Teilen aus allen Richtungen strömen.



    Die kleinen Parteien sind für das Wahlergebnis der großen Parteien insofern sehr wichtig, als diese sich bei den kleinen Parteien abschauen, auf welche Inhalte es den ambitionierten Wählerinnen – unter denen die Wechselwählerinnen zu finden sind –ankommt. Durch Ihre nachgeplapperte Behauptung der Mathematiker – die jedoch als recht engstirnig betrachtet werden kann – schaden sie insgesamt der politischen Themenbildung und damit der ganzen Wahl. Darüber hinaus verhindert diese Argumentationsstrategie die so dringend notwendigen Entwicklungen beziehungsweise Veränderungen.



    Insbesondere die im Foto erwähnte und bezüglich ihrer Bedeutung auf einer Metaebene angesiedelte Klimaliste, hätte Dank der Vorreiterpositionen bei den Wahlen in BW und SA für das Abgeordnetenhaus gute Chancen, wenn nicht Quotenangsthasen solche sozialwissenschaftlich falschen Behauptungen in die Welt setzten.

  • Ein ziemlich trauriger Kommentar. Menschen die eine ernshafte Alternative wählen wollen, werden hier als Verantwortliche für schlechte Politik identifiziert.

    Ich sehe es anders. Wenn 2-3% ihr Kreuz bei einer grünen Alternative machen, wird es die Grünen massiv verletzen und hoffent lich dafür sorgen, dass sie in Zukunft eben vom CDU- Kurs abweicht. Die Grünen sind schlicht und ergreifend nicht grün und von daher für viele Menschen nicht wählbar.

    Das kleinere Übel... Immer wieder erschreckend zu sehen, welche Argumente auch gut gebildete Menschen verwenden, wenn es um die Wahl einer etablierten Partei geht. Ich finde es eher als ausgesprochen urdemokratisches und aufklärerisches Verhalten, wenn jemand sich auch mit den kleineren auseinandersetzt und schaut, wer wirklich programmatisch am nächsten steht.

    "Eine Stimme für die Klimaliste ist eine Stimme für Giffeys autogerechte Stadt" Das macht mich schlichtweg wütend. Ein Stimme für eine radikale Klimapartei, ist eine Stimme für eine Klimapartei. Punkt. Diese Argumentation kotzt mich wirklich an. Das es eine Klimaliste gibt, ist ganz allein die Schuld am Vollversagen der Grünen in nahezu allen Regierungskonstellationen, insbesondere denen mit CDU Beteiligung.

  • Ich wähle SPD, finde aber nicht dass es sinnlos ist eine Partei zu wählen die es voraussichtlich nicht ins Parlament schafft. Immerhin hilft man schon mit 0,5 % seiner Partei bei der weiteren Finanzierung. Und damit die eigene Idee weiter zu propagieren was ohne Mittel schwierig ist.

  • Korrektur: Nicht 1954, sondern 2006 gab es den höchsten Anteil der sonstigen Parteien: 13,8 Prozent.



    de.wikipedia.org/w...us_von_Berlin_2006

  • Diesen Kommentar habe ich schon mal gelesen - vor rund vierzig Jahren. Damals warnte die SPD davor, "diese chancenlosen, naiven Grünen" zu wählen. Ups :) Ansonsten: Wem es egal ist, ob der Pariser Vertrag und die 1,5-Grad-Grenze eingehalten wird, der kann natürlich zum Abgeordnetenhaus auch die Grünen, die Linke, die SPD oder sonstwen wählen. Wem das nicht egal ist, der hat weniger Wahl, da es nur eine Partei gibt, die das Ziel ernsthaft verfolgt, wie der Autor ja sogar selbst eingesteht.

    Kommentar gekürzt. Bitte bleiben Sie sachlich.

    Die Moderation

  • Würden die Parteien aus dem linken Lager zu überzeugen wissen und nicht ständig durch gegenseitige Anfeindungen, interne Querelen, realitätsferne Koalitionsvorraussetzungen etc auffalen, würden sie auch stärker gewählt werden.

    Der Höhenflug der SPD hat in erster Linie mit der Personalie Scholz und ganz viel mit dem"kleineren" Die Linke hat jahrelang alles dafür getan, um ihre Koalitionsunfähigkeit unter Beweis zu stellen und die Grünen haben so heftig mit er Union geflirtet, dass sie für die eigene Basis kaum noch wählbar sind.

    Nur deshalb gibts soviele Kleinstparteien. Und "verschenkt" haben die etablierten ihre Stimmen dann schon selbst.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Ich verstehe sehr gut, dass Menschen diesen Wahlbetrug der etablierten Parteien an den Bürgern nicht mehr mitmachen wollen.



    Dennoch sollten alle zur Wahl gehen. Also warum dann nicht die Grauen, die Tierschutzpartei oder auch das Team Todenhöfer wählen? www.teamtodenhoefer.de/ > 25.09.21 Washington Platz Berlin , 16:00 Uhr.

    Das dies sinnlos sei, wollen wir doch mal sehen!