piwik no script img
taz logo

Kleinbauern gegen billige Butter

Bauern aus dem Allgäu begehren auf gegen die EU-Agrarpolitik, die nur Großbauern nutzt. Mit Protesten in Supermärkten gegen das Preisdumping  ■ Aus Kempten Klaus Wittmann

Anfang der fünfziger Jahre war die Welt noch in Ordnung, da hat man, um einen Handwerker eine Stunde bezahlen zu können, 10 Liter Milch verkaufen müssen, heute muß der Bauer 120 Liter verkaufen. Und die Butter ist heute billiger als Schuhcreme – ein industrielles Abfallprodukt.“ Reiner Weizenegger weiß wovon er spricht. Der Bauer aus dem Unterallgäuer Ort Legau leidet wie so viele kleine Landwirte unter dem drastischen Preisverfall von Lebensmitteln.

Vor allem Bauern in Bayern und Schleswig-Holstein begehren auf. Sie wollen sich nicht länger mit einer europäischen Subventionspolitik abfinden, die fast ausschließlich Großbetriebe bevorzugt und kleine bäuerliche Strukturen zerstört. Als kurz vor Weihnachten der EU-Agrarkommissar Franz Fischler im Allgäu weilte, waren die Sitzplätze in der Turn- und Festhalle von Aichstetten im württembergischen Teil des Allgäus bis auf den letzten Platz gefüllt. Statt der erwarteten 500 Bauern kamen über 800, nicht zuletzt, um dem EU-Kommissar aus Österreich einmal so richtig die Meinung zu sagen. Vom „Abzockersystem Brüssel“ war da die Rede, davon, daß so mancher landwirtschaftliche Großbetrieb Subventionen einstreicht, die wiederum dazu führen, daß der zu erwirtschaftende Preis für hochwertige Lebensmittel immer weiter heruntersubventioniert werde. Als der Bundesvorsitzende der ABL, der Arbeitsgemeinschaft Bäuerlicher Landwirtschaft, Friedrich- Wilhelm Graefe zu Baringdorf ans Rednerpult trat, nahm er gleich einmal einen Bauernfunktionär aus Ostdeutschland aufs Korn. „Der BBV-Präsident von Sachsen- Anhalt hat einen Betrieb, in dem verarbeitet er 14,6 Millionen Kilo Milch. 4.000 Kühe werden rund um die Uhr gemolken. Das ist so eine LPG-Nachfolgeorganisation.“ Und solche Betriebe hätten Millionen aus Brüssel abgemolken. Entweder sei so ein Großbetrieb wettbewerbsfähig oder nicht, sagte Baringdorf, aber Subventionen dürfe es für solche Betriebsgrößen einfach nicht geben. Damit hatte der bündnisgrüne Europaabgeordnete und Vizepräsident im Agrarausschuß des Europaparlaments gleich den richtigen Ton getroffen in einer Region, in der ein Bauer mit über 50 Kühen schon als „Großagrarier“ gilt.

Seit einiger Zeit sind im Allgäu und in Schleswig-Holstein junge Landwirte, meist Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft, in der losen Vereinigung „Bundschuh“ aktiv. „Krisenstab“ nennen sie sich, und den Bundschuh führen sie als Zeichen des Widerstands im Briefkopf. Einer von ihnen ist der Reiner Weizenegger. Er beschreibt, auf welche Weise sich die „Bundschuh“- Bauern gegen die Dumpingpreise wehren: „Man muß sehr kurzfristig, am besten am Abend zuvor, 50 bis 100 Leute zusammentrommeln, die dann in regelmäßigen Abständen in einen Supermarkt gehen und an der Kasse mit Pfennigstücken ihre Einkäufe bezahlen – am besten Milchprodukte. Da kommt es dann sehr schnell zum Stau, und die kapieren, daß wir gegen das Verschleudern unserer hochwertigen Lebensmittel zu Dumpingpreisen sind.“ Einige Male schon haben Allgäuer Bauern so ganz gehörig für Aufsehen gesorgt. Parallel dazu wurden bei unterschiedlichsten Veranstaltungen Funktionäre des Bauernverbandes und (CSU-)Politiker ausgepfiffen, bis sie ihr eigenes Wort nicht mehr verstanden. Bei einer Rede verließen auf einen Schlag zwei-, dreihundert Bauern den Saal. Unverhohlen wird damit gedroht, bei der nächsten Wahl der alleinregierenden CSU mit Hilfe der Freien Wähler oder anderer Gruppierungen einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Das Gerede vom Weltmarkt und der Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb wollen die Bauern nicht mehr hören, denn das ginge zu Lasten der Qualität. So war zunächst auch die Zustimmung groß, als EU-Kommissar Franz Fischler die Kleinstrukturen der bäuerlichen Landwirtschaft hochleben ließ. „Ich sage immer: Der Markt vor der Haustüre ist der, den man einem Bauern am wenigsten wegnehmen kann. Der Binnenmarkt wird auch in Zukunft der wichtigste Markt sein.“

Die Worte des österreichischen Redners konnten allerdings kaum überzeugen. Der Widerspruch aus dem Saal begann mit einer Bäuerin, die sich höflich bedankte „beim Herrn Dr. Fischler“, daß er den Weg ins Allgäu gefunden habe, die dann aber so richtig vom Leder zog. „Danke für die vorweihnachtliche Märchenstunde“, meinte sie: „Die Todgeweihten grüßen dich!“ Und dann warf sie unter dem Beifall der gut 800 Anwesenden dem EU-Kommissar vor, nur „Lippenbekenntnisse“ abzugeben. Besonders ein Satz von Franz Fischler hatte viele der anwesenden Bauern verärgert, der nämlich, daß die Strukturen in Mittelengland besser seien als in den USA. Der Biobauer und grüne Landtagsabgeordnete Adi Sprinkart erklärte, was das im Klartext bedeutet: „Er hätte sagen können, in Mittelengland hat man größere Strukturen als in Amerika. Aber wenn ich diese Großstrukturen als die Besseren bezeichne, heißt das, wir wollen in Europa auch solche Strukturen. Und das wiederum bedeutet, daß wir nicht bei diesen kleinbäuerlichen Betrieben, wie wir sie im Allgäu haben, bleiben wollen, sondern daß es immer mehr hingeht zum Großbetrieb wie in England und Holland.“ Selbstkritisch merkte der Biobauer an, daß die Bauern sich auf sich selbst und ihre Leistungsfähigkeit besinnen müßten, was noch viel zuwenig geschehe. Die Landwirte dürften es sich nicht zu leicht machen und alles einfach auf die Verbraucher schieben. Es gebe nämlich sehr wohl eine ganze Reihe von Leuten, die bereit seien, mehr für ihre Lebensmittel zu bezahlen, wenn sie denn auch überzeugt davon seien, bessere Qualität zu erhalten.

Auch von der Idee des EU- Kommissars Fischler, es müsse eine Entlohnung für bäuerliche Umweltleistungen geben, war kaum einer begeistert. Auch der aus dem Unterallgäu nach Aichstetten gekommenen Obmann des Bayrischen Bauernverbands (BBV) Meinrad Bernhard (CSU) argwöhnte, die Subventionen würden nur Neidgefühle beim Verbraucher wecken. Viel lieber möchten die Landwirte eine angemessene Entlohnung für ihre Produkte. Die „Krisenstab-Bauern“ ließen keinen Zweifel daran, daß sie sich mit weiteren „Einkaufsaktionen“ Gehör verschaffen werde. Und schließlich sind dieses Jahr Wahlen, in Bayern wie im Bund.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen