Kleiderkammer und Bürokratie: Das Glück in Prenzlau
Sekine Flämig verließ ihr Land und fand ein neues Zuhause in Prenzlau. Dort ist sie Ausländerbeauftragte – und sieht manche Geflüchtete kritisch.
Eine Plattenbauwohnung im fünften Stock verbinden nicht viele mit dem Wort Glück. Für Flämig war es das. Sie war 2015 mit ihren Kindern aus Albanien geflohen, vor ihrem Mann, der Familie, dem patriarchalen Zwang.
Sie kam nach Deutschland, weil sie gehört hatte, dass sie dort Schutz bekommt. Erst 40 Tage im Heim in Eisenhüttenstadt, dann gleich eine eigene Wohnung in Prenzlau in der Uckermark in Brandenburg. So ein Glück.
Sie hat braune Haare und eine braune Brille. Und braune Augen. Ihr Deutsch ist so lala. Manchmal fehlen ihr Worte, ein Mangel, den sie durch expressive Gesten ausgleicht. Sie spricht besser Italienisch als Deutsch. Sie war 13 Jahre in Italien, bei Rom und in Rimini, und hat als Hilfsköchin, Altenpflegerin, Fabrikarbeiterin Geld verdient. 2014 wollte ihr Mann zurück nach Albanien. Sie floh vor der Enge und familiären Gewalt.
Nicht anheimelnd, aber irgendwie Heimat
In Prenzlau engagierte sie sich in der Kleiderkammer für Geflüchtete, die die Stadt 2015 eingerichtet hatte. Jetzt ist sie ehrenamtliche Ausländerbeauftragte und kümmert sich um die kleinen Dinge, die für Geflüchtete so wichtig sind. Einen Brief der Verwaltung, ein Schulproblem. Jeden Mittwoch ist Frauenfrühstück, freitags Erzählcafe. Reden ist wichtig, auf Deutsch. „Wir haben alle ähnliche Geschichten. Wir haben alle unser Land verlassen“, sagt sie.
Sie hat Asyl beantragt. Die Härtefallkommission des Landes Brandenburg unterstützte ihren Antrag, Innenminister Schröter (SPD) lehnte ab. Das ist nicht mehr so schlimm. Sie hat inzwischen einen Deutschen geheiratet.
Prenzlau hat nichts Anheimelndes. Die Artillerie der Roten Armee hat 1945 die historische Innenstadt pulverisiert. Frau Flämig, wie finden Sie Prenzlau? „Sehr gut. Ich fühle mich, als wäre ich hier geboren und aufgewachsen. Die Leute sind freundlich zu mir.“
Sie hat einen Job in einer Bürgerstiftung; nur für ein Jahr, aber immerhin. Ihr Sohn ist dreizehn. Er geht auf das Gymnasium, spricht Deutsch, Italienisch und Albanisch und war Klassensprecher. „Mir persönlich gefällt in Prenzlau alles“, sagt sie.
Kein Gefühl von Unsicherheit
Laut dem Verein Opferperspektive ist Prenzlau der gefährlichste Ort in Brandenburg für MigrantInnen. 2018 notierte die Polizei 13 gewaltsame Attacken auf Geflüchtete. Flämig kennt die Zahlen. „Die Opferperspektive war oft bei uns“, sagt sie. Aber Prenzlau fühlt sich für sie anders an. Sie macht gerade den Deutschkurs B2. Eine Muslima in dem Kurs war neulich in Polen und wurde auf der Straße wegen ihres Kopftuchs angestarrt. „Das passiert in Prenzlau nicht“, sagt sie.
Sie ärgert sich vielmehr über Geflüchtete, einzelne Geflüchtete. „Manche glauben: Ich brauche nicht arbeiten, ich bekomme auch so Geld. Es gibt welche, die eine Wohnung im vierten Stock ablehnen, weil ihnen das Treppensteigen zu lästig ist. Manche Geflüchtete denken: Deutschland ist gratis. Das regt mich auf.“
Neulich war sie im Bahnhof. Ein junger schwarzer Migrant hörte laut Musik auf seinem Handy. Keiner der Wartenden protestierte. Sekine setzte sich neben ihn und sagte: „Kannst du bitte dein Handy leiser machen?“
Der Zwanzigjährige antwortete: „Scheißdeutsche.“ Flämig hat Luft geholt und gesagt: „Junge, ich bin wie du. Ich bin aus Albanien.“ Er hat die Musik ausgemacht. Prenzlau ist klein. Man trifft sich, ob man will oder nicht. Neulich hat sie den jungen Mann auf der Straße getroffen. Er hat genickt und gesagt: „Hallo Schwester.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren