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Klaus Wenzel über Schulreform"An globale Standards angleichen"

Der Präsident des bayerischen Lehrerverbandes BLLV, Klaus Wenzel, favorisiert die sechsjährige Grundschule. Reformbegeisterung sieht er jedoch nicht.

Klaus Wenzel: "Man sollte eine schulpolitische Diskussion vermeiden und stattdessen eine pädagogische Diskussion führen." Bild: archiv
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Herr Wenzel, wie verfolgt man in München den Hamburger Schulkampf?

Klaus Wenzel: Das elektrisiert uns. Hier passiert etwas, was Auswirkungen haben kann auf andere Bundesländer. Und zwar deshalb, weil es in Hamburg längst nicht mehr um eine schulpolitische Auseinandersetzung geht, sondern um ein gesellschaftspolitisches Thema von höchster Brisanz. Die Gruppe der Privilegierten möchte nicht, dass zu viele Kinder zu viele Bildungsangebote bekommen und zu lange in einem Klassenzimmer sitzen. Auf den Punkt gebracht: Das Professorentöchterchen soll nicht lange neben dem Sohn des Hartz-IV-Empfängers auf einer Schulbank sitzen. Letztendlich geht es darum, wer welchen Anspruch auf Bildung hat - und wer nicht.

Jetzt stimmen die Hamburger per Volksentscheid ab. Falls die Schulreform daran scheitert, spüren Sie dann die Auswirkungen bis Bayern?

Klaus Wenzel

60, ist Präsident des mit rund 55.000 Mitgliedern größten bayerischen Lehrerverbandes BLLV. 2009 besuchte er mit Kollegen Hamburg und informierte sich, wie die Schulreform umgesetzt wird.

Ja. Dann ändert sich über längere Zeit nichts. Wir denken aber, dass es höchste Zeit ist, uns an globale Standards anzugleichen, das heißt, Kinder länger gemeinsam lernen zu lassen. Doch wenn das in Hamburg scheitert, wird uns in Bayern hämisch entgegengehalten werden: Ja, die haben es doch in Hamburg ausprobiert. Die Eltern wollen es einfach nicht.

Und falls die Hamburger zugunsten der Primarschule entscheiden, gerät die Regierung in Bayern unter Druck?

Sie wird nicht wirklich unter Druck geraten. Weil die CSU schulpolitisch gesehen nach wie vor die Alleinregierung hat. Aber es würde ein gewisser Legitimationsdruck entstehen angesichts dessen, dass die sechsjährige Primarschule unter einer CDU-Regierung verwirklicht wird. Dann wird es auch bei uns heißen: Wieso soll man es nicht wenigstens mal probieren.

Käme es in Bayern zum Volksentscheid über diese Frage - wie würden die Eltern entscheiden?

Es gäbe ganz ähnliche Reflexe. Die Etablierten würden sich zusammenschließen und scheinheilig argumentieren: "Wir wollen lernen", wie die Hamburger Initiative sich zynisch nennt. Vor allem in den Großstädten käme es zu riesigen Aktionen. Da würden die gleichen Schlachten geschlagen wie in den 60er-Jahren, als Bayern ganz zaghaft begann, einige Gesamtschulen einzuführen. Die sind alle gescheitert, weil sie politisch nicht gewünscht waren.

Das heißt, in Bayern gibt es keine Mehrheit für eine längere Grundschulzeit?

So ist es. Es gibt keine gesellschaftliche Mehrheit.

Warum nicht? Viele Eltern sind doch unzufrieden mit dem Druck, der in der vierten Klasse aufgebaut wird.

Ich komme mit vielen Eltern und Lehrern zusammen, die sagen, es ist doch Schwachsinn, nach der vierten Klasse zu trennen. Es gibt eine deutliche Unzufriedenheit. Aber wenn es zu politischen Entscheidungen kommt, dann sind die Eltern doch noch so konservativ, am bestehenden Schulsystem festzuhalten. Viele sagen, wir sind schon zufrieden, wenn es kleinere Klassen gäbe.

Wie vermeidet man, dass sich die etablierten Eltern sofort zusammenschließen, sobald die Schulstruktur infrage gestellt wird?

Man sollte eine schulpolitische Diskussion vermeiden und stattdessen eine pädagogische Diskussion führen.

Genau das hat die Bildungssenatorin Christa Goetsch in Hamburg ja versucht.

Aber man muss im Vorfeld, und das hat Frau Goetsch wahrscheinlich unterschätzt, Verbündete aus allen Lagern suchen. Dies bereiten wir zurzeit in Bayern vor. Ich hatte einige sehr interessante Gespräche mit Vertretern konservativer Kreise, die nicht sofort dem linken Spektrum zugeordnet werden. Der Bauernverband hat zum Beispiel Interesse an einer längeren gemeinsamen Grundschulzeit, weil dadurch die wohnortnahe Schule auf dem Land länger garantiert wäre. Der Bund der Katholischen Jugend fordert eine neunjährige gemeinsame Schulzeit. Wir versuchen über solche eher konservativen Kräfte einen gesellschaftlichen Diskurs anzuregen. Aber davon sind wir noch weit entfernt.

Wann kommt es Ihrer Meinung nach zum Schulkampf in Bayern?

Ich will überhaupt keinen Schulkampf. Ich möchte, dass wir heute beginnen eine schulpolitische Evolution vorzubereiten. Kämpfe und Revolutionen haben in der Schulpolitik nichts zu suchen.

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7 Kommentare

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  • B
    Bulgi

    @Spielberg

    PISA ist eine quantitative Studie, die Schulleistung von 15 jährigen SchülerInnen in den Bereichen Mathe, Deutsch und Naturwissenschaften europaweit messen will. Betrachtet man die Sache genauer, ist quantitative Forschung die das Ziel hat "Menschliche Qualitäten", wie Lernprozesse anhand von standardisierten Tests zu erheben bedeutungslos, da im Fachkauderwelsch gesprochen, metrische Skalenniveaus angenommen werden, wo keine Metrik existiert.

    In anderen Worten: Die PISA-Studie (wie auch alle anderen Schulleistungsstudien und vorallem auch schulische Notengebung!) hat keine Aussagekraft. Es gibt keine eindeutige Korrelation zwischen PISA-Ergebnis und Schulsystem. Der Anspruch auf internationale Vergleichbarkeit der Studienergebnisse ist darüberhiaus äußerst fragwürdig, da Lebenskontexte und Umfelder der SchülerInnen und LehrerInnen in einer Schule bspw. in Lissabon völlig anders sind wie die in der finnischen Provinz. Die Schulstudiengläubigkeit, die eher einer Wettkampfmentalität entspringt als dem Bedürfnis Bildungssysteme tatsächlich verbessern zu wollen nimmt in unserer Das-Perfekte-Dinner-Bewertungsgesellschaft immer pathogenere Züge an.

    LehrerInnen und ProfessorInnen werden mittlerweile von SchülerInnen und StudentInnen öffentlich bewertet! Ohnehin deuten gute PISA-Werte lediglich auf eine gute PISA-Vorbereitung hin. Die PISA Tests zeigen nur das was die PISA Tests beinhalten. Und das sind angenommene Parameter.

    Im Allgemeinen funktioniert quantitative Forschung folgendermaßen: Ein angenommenes empirisches Relativ wird in ein angenommenes numerisches Relativ überführt. Dies findet völlig willkürlich statt. Empirie und Operationalisierung lassen sehr viel Platz für Spekulationen. Quantitative Bildungsforschung ist also in hohem Maße spekulativ! Liessmann, der in seinem Buch "Unbildung" sich dem Dilemma sehr aufschlussreich annimmt, spricht in diesem Zusammenhang von einem normativen Druck, der von solchen Studien ausgeht. PISA ist eine primitive Steuerungsmaßnahme um Lehrpläne der OECD Ideologen durchzudrücken. Ökonomisierung, Wettrenn- und Siegermentalität werden hier kultiviert. Ein weiteres Problem ist die "performative Selbstimmunisierung" der Studien. Wer Entscheidungsträger innerhalb des Bildungssystems ist, kann sich diesen Tests nicht entziehen, da er/sie sonst Gefahr läuft eigene Inkompetenz verstecken zu wollen. In meinen Augen wird die PISA-Studie maßlos überschätzt und hat keine Aussage.

  • KF
    Komitee für internationale kleinschreibung

    Unglaublich mutig und fortschrittlich von lehrerverbandspräsident Wenzel, eine sechsjährige grundschule zu favorisieren! Eine bayerische kulturrevolution, hurra!

     

    Mal im ernst, erkennt er denn wirklich nicht, dass er mit seinem vorschlag um lichtjahre hinter den standards etwa Skandinaviens zurückliegt?? Sogar schwellenländer wie Ecuador habe ein bei weitem progressiveres und menschenwürdigeres schulsystem - sowohl strukturell als auch inhaltlich - entwickelt als es im land der kleinstaaterei und politischer sandkastenspiele nach wie vor der fall ist, weil man dort weiß, worauf fortschritt und entwicklung basieren.

     

    Gesamtdiagnose zum geistig-humanistischen zustand der deutschen lehrerInnnenschaft: Realitätsverlust. Autodestruktive tendenzen. Ausgeprägte kritikresistenz. Zivilisationsverweigerndes verhalten.

     

    Gute nacht fürderhin, Herr Oberlehrer!

  • S
    Sonja

    Ich wünsche Ihnen in Bayern gutes Gelingen ohne solche Kämpfe wie hier in Hamburg. Die Kinder leiden am meisten an der derzeitigen Unsicherheit, dabei gibt es viele leise Stimmen für das längere gemeinsame Lernen.

     

    Übrigens, bezieht sich globaler Standard nicht nur auf die USA sondern darauf, dass in kaum einem Land der ganzen Welt die Kinder so früh wie in Deutschland getrennt wird, so auch in fast allen Nachbarländern von Deutschland.

     

    Natürlich kann man das bisherige System überleben und Abi machen etc. Aber Schule darf und soll auch Spaß machen. Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass es vielen Kindern Spaß macht, außer an den Schulen, die sich ganz besonders um jedes einzelne Kind kümmern. Und darum geht es im Grunde genommen: Alle Kinder ernst zu nehmen, sie wertzuschätzen und nicht so bald wie möglich auszusortieren, abzuschieben.

     

    Und ja, Kinder entwickeln sich. Das habe ich selbst erlebt. Im alten System durfte man nach einer 4 allerdings nicht ohne weiteres eine 2 bekommen, weil sonst die Lehrer in Erklärungsschwierigkeiten gekommen wären. Sehr motivierend für die Kinder...

  • BI
    Bildung in der BRD keine Spur mehr

    Und eine Stunde Nawi statt je einer Stunde Biologie, Chemie und Physik? Zum Ausgleich noch zwei Stunden Religion obendrauf?

     

    Als Abschluss des Studiums gibt es den Drecks-Bachelor, den niemand will? Oder eine "Master"? Absolut lachhaft.

     

    Wieviele globale Standards aus den VSA müssen wir denn noch akzeptieren?

  • S
    Spielberg

    Bayern ist schon seit langer Zeit bei den Schulleistungen Spitze.

     

    Im internationalen Vergleich liegt Bayern laut PISA-Test nach Finnland und Korea auf dem dritten Platz.

     

    Die PISA-Bundesländer-Vergleichsstudie sieht Bayern außerdem in der Kombination von exzellentem Leistungsniveau und sozialer Ausgeglichenheit im Bildungssystem auf dem ersten Platz unter den westlichen Bundesländern.

     

    Dass es die sechsjährige Grundschule ist, durch die Bayern endgültig den Bildungs-Weltcup erringt, ist ein gewagter Tipp.

     

    Ebenso, dass es die Gesamtschulen gewesen wären.

     

    Auch Kinder von Hartz-IV-Empfängern, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, haben ein Recht auf ein Gymnasium mit Niveau.

  • C
    cba

    In Brandenburg hat sich gezeigt, dass sich der Anteil der Kinder aus bildungsfernen Schichten am Gymnasium sogar noch verringert, wenn man die 6-jährige Grundschule einführt.

    Die Gesamtschule hat nicht nur in Bayern (wo sie wirklich nie gewollt und gefördert wurde), sondern auch in anderen Bundesländern (wo man sie wollte und entsprechend ausstattete) in fast allen Studien miese Ergebnisse geliefert.

    Ich verstehe nicht, warum trotzdem immer wieder versucht wird, diesen Quatsch einzuführen. Glaubt ernsthaft jemand, dass der Schüler, der in Klasse 4 schlechte Noten schreibt, auf einmal, zwei Jahre später, gute schreiben wird?

    Wenn man WIRKLICH etwas für die Kinder aus bildungsfernen Schichten tun möchte, muss man Geld in die Hand nehmen und die letzten zwei Kindergartenjahre kostenlos und verpflichtend machen. Dort muss dann intensiv versucht werden, Sprachdefizite auszugleichen und die Kinder auch in anderen Bereichen zu fördern, damit sie nicht schon in der ersten Klasse den Eindruck haben, sie seien diejenigen, die nie was kapieren.

  • P
    Pedersolli

    Ich habe da gerade globale Standards gelesen.

    Seit wann gibt es denn sowas?