Klage gegen AKW-Abrissgenehmigung: Atompolitik kommt ohne Prozess weg

Im Streit um den Abriss des AKW Unterweser einigen sich Kläger, Politik und der Atomkonzern auf einen Kompromiss – weil eine Klage unbearbeitet ist.

Bürgerinitiative "Arbeitskreis Wesermarsch"

Die Anti-AKW-Kämpfer*innen von der Bürgerinitiative „Arbeitskreis Wesermarsch“ Foto: Jan Zier

Rodenkirchen taz | Die Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen in der Wesermarsch ziehen ihre seit 2018 laufende Klage gegen die Abrissgenehmigung des abgeschalteten Atommeilers Esenshamm an der Unterweser zurück.

Der Grund: Sie haben sich mit dem Betreiberkonzern PreussenElektra und dem niedersächsischen Umweltministerium auf einen Kompromiss geeinigt. Und zwar deshalb, weil auch nach vier Jahren nicht absehbar war, wann das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg überhaupt einmal über ihre Klage verhandeln würde. Also hat nun mit Hilfe einer Güterichterin ein Mediationsverfahren stattgefunden. Dem Ergebnis dieser Verhandlungen stimmen der Kläger Paul Bremer und die Bürgerinitiative (BI) „Arbeitskreis Wesermarsch“, die ihn unterstützt, nun zu – damit aber wird die Klage hinfällig.

Der Atommeiler an der Unterweser wurde 1978 in Betrieb genommen und nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 abgeschaltet. Bis dahin hielt er einen „Weltrekord“, wie PreussenElektra stolz verkündet: 305 Milliarden Kilowattstunden Strom wurden hier produziert. So viel hatte bis dahin kein anderer Atommeiler auf der Welt jemals erzeugt. Die Kosten für den Rückbau belaufen sich auf schätzungsweise 1,2 Milliarden Euro. Der Abriss des Kraftwerks soll erst 2032 beginnen, obwohl die Genehmigung zum schrittweisen Abbau schon 2018 erteilt wurde.

Und genau gegen die haben die Atomkraft­geg­ne­r*in­nen schon damals Klage eingereicht. Zwar ist das Kraftwerk mit seiner Abschaltung vom Radar der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verschwunden – „doch viele Probleme beginnen erst jetzt“, sagt Paul Bremer: „Der Rückbau ist eine potentielle Gefahr. Viele Schadstoffe werden dann frei.“

Viel strahlender Abfall

Insgesamt hat die Bürgerinitiative 20 Punkte aufgelistet, mit denen sie bei der Rückbaugenehmigung nicht einverstanden war. Dabei geht es unter anderem um kontaminierten Bauschutt und Schadstoffe, die in die Umwelt gelangen. Allein aus dem besonders strahlungs­sensiblen Bereich des AKW fallen bei dessen Abbau 193.000 Tonnen Abfall an, zwei Prozent davon sind radioaktiv und müssen bis zu einer Endlagerung in einem Zwischenlager aufbewahrt werden. In Esenshamm sind laut der BI zurzeit 40 Castoren eingelagert. Jeder davon enthalte etwa so viel Strahlung wie sechs Hiroshima- und sechs Nagasaki-Atombomben zusammen.

Besondere Gefahr sehen die Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen im fehlenden Schutz des Atommeilers bei Sturmfluten

Nun hat sich PreussenElektra verpflichtet, deutlich niedrigere Grenzwerte für radioaktive Stoffe einzuhalten. Sei liegen um 46 beziehungsweise 71 Prozent unter dem, was heute zulässig ist. „Ob eine Klage auch zu diesem Ergebnis gekommen wäre, ist unklar“, sagt ein Sprecher der BI. Sie bewertet dieses Verhandlungsergebnis als „positiv“ – eine Kontrolle der Einhaltung dieser Zusage des AKW-Betreibers finde aber „nur bedingt“ statt, weil die niedrigeren Grenzwerte zunächst nur im Betriebshandbuch stünden und PreussenElektra sich „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ selbst verpflichtet.

Besondere Gefahr sehen die Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen im fehlenden Schutz des Atommeilers bei zunehmenden Sturmfluten – die Deiche seien zu niedrig. Schon 2004 wurde eine Deichhöhe von 7,81 Metern von einem Gutachter der Uni Hannover für nötig befunden, zum Schutz vor Extremwettern. Der Bremische Deichverband hält Deichhöhen von 8 bis 8,5 Metern für erforderlich.

Doch in unmittelbarer Nähe des AKW gibt es zwei Stellen, an denen der Deich nur 6,5 beziehungsweise 7,3 Meter hoch ist. Ein Wissenschaftler hatte bei der Planung des Zwischenlagers in Esenshamm empfohlen, dieses auf eine Höhe von 8 Metern zu bauen. „Was natürlich nicht gemacht wurde“, wie die BI bemerkt, die eine unverzügliche Neuberechnung der nötigen Deichhöhen und vor allem besseren Hochwasserschutz fordert.

Die BI denkt über eine neue Klage nach

Der Vergleich mit der Politik und dem AKW-Betreiber sieht nun lediglich vor, dass es noch in diesem Jahr ein „Fachgespräch“ zum Thema Deichschutz geben wird. „Das ist eine Goodwill-Veranstaltung“, sagt die BI. Was das am Ende für die Deiche rund um das AKW bedeutet, bleibt völlig offen.

Nicht durchsetzen konnte sich die BI in den Güteverhandlungen auch dort, wo es um die Kontrolle der Umgebung des AKW auf verschiedene Strahlungs- und Schadstoffarten geht – insbesondere in der Weser und an ihren Ufern. Die Überwachung sei „vollständig und abdeckend“, heißt es in dem Kompromisspapier. Die BI sieht das anders, hat es aber trotzdem unterschrieben.

Sie denkt nun über eine neue, rein wasserrechtliche Klage nach – wenn sich genügend Spen­de­r*in­nen finden, die die Prozesskosten mit finanzieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.