Kita hetzt Inkassobüro auf Mutter: In der Schuldenfalle
Eine Mutter von drei Kindern aus Schnelsen soll fast 480 Euro an "Folgekosten" für Kita-Schulden zahlen. Daran verdient eine Inkasso-Firma. Kita-Träger: "Tut uns leid".
Wenig Geld zu haben, kann teuer kommen. Die Mutter Julienne Srougbo soll nach jetzigem Stand bis zu 984 Euro für alte Schulden aus dem Jahr 2010 bei der städtischen Kita-Vereinigung bezahlen. Davon ginge ein Teil an die Anwaltskanzlei „Mumme & Partner“. Die vereinbart Ratenzahlungen mit Folgekosten, für die im Zweifel neue Ratenzahlungen vereinbart werden müssen.
„Die Familien kommen so nur schwer aus ihren Schulden raus“, kritisiert Sozialberaterin Ulla Kutter-Christoph. Werde eine Rate nicht pünktlich überwiesen, weil das Konto im Minus ist, entstünden hohe Mahnkosten. Für eine soziale Einrichtung der Stadt, in deren Aufsichtsrat der Sozialsenator sitzt, sei so ein Vorgehen „nicht angemessen“.
Srougbos Geschichte beginnt im Juni 2010. Die gebürtige Togolesin besuchte einen Intensiv-Deutschkurs und brauchte für ihre damals drei, fünf und sieben Jahre alten Kinder einen Kita-Platz. Doch die 117 Euro, die sie laut Kita-Gutschein zahlen sollte, seien „zu teuer“ gewesen, sagt sie. Frau Srougbo war auf Arbeitssuche, ihr Mann verdiente in zwei Jobs nur rund 1.400 Euro.
„Es hieß bei der Kita, ich bekomme einen ermäßigten Gutschein“, sagt Srougbo. Auf den habe sie Monate gewartet. Ihr sei klar gewesen, dass sie der Kita Geld schulde, deshalb habe sie schließlich als Abschlag 150 Euro bar bezahlt und, nachdem der neue Gutschein da war, auch den ermäßigten Beitrag von 55 Euro.
Den nächsten Teil der Geschichte hat die taz bereits im Oktober berichtet, ohne den Namen zu nennen: Die Kita-Vereinigung forderte 338 Euro und übergab diese Forderung im Mai 2011 an „Mumme & Partner“. Die Kanzlei schlug Srougbo eine Ratenvereinbarung über 395 Euro vor, in der Zinsen und „Rechtsverfolgungskosten“ bereits aufgeführt waren. Srougbo zahlte 13 Raten à 30 Euro und dachte, sie habe die Summe bezahlt.
Doch sie hatte das Kleingedruckte übersehen, wonach die „Nachberechnung ausgelöster Kosten“ möglich sei. Im September erhielt sie Post, die sie an weitere Zahlung erinnerte. 202 Euro stünden noch für Zinsen und „bisherige Rechtsverfolgungskosten“ aus. Wie sich herausstellte, kostete allein die Kontoführung im Monat vier Euro, die Zinsen 20 Euro, ein Mahnverfahren 69, ein Ratenvergleich 80 Euro.
Die taz fragte seinerzeit Vereinigungs-Chefin Franziska Larrá nach dem Sinn des Vorgehens. Die erklärte, es sei zu teuer, für die Schuldeneintreibung eigenes Personal vorzuhalten. Man sei aber geduldig mit den Eltern, führe viele Gespräche und warte ein halbes Jahr, bevor die Sache an das Anwaltsbüro gehe.
Doch inzwischen erhielt Srougbo neue Post mit einer zweiten Geldforderung des Kita-Trägers: 276,74 Euro soll sie „sofort“ zahlen, weil sie der Kita noch mehr Gebühren schulde. In der Summe enthalten sind über 40 Euro an Anwaltskosten.
Srougbo suchte Rat beim Kinder- und Familienzentrum Schnelsen-Süd, das dem Fall nachging. „Über diese zweite Forderung hat die Vereinigung nicht vorher mit Frau Srougbo gesprochen“, sagt die dortige Beraterin Kutter-Christoph. „Das ging gleich an die Inkassofirma.“
Die Beraterin telefonierte direkt mit dem Anwaltsbüro, bat um Kulanz und eine „Festschreibung“ der Forderung, sprich einen Verzicht auf Zinsen, damit die Ratenzahlungen ein Ende finden. Nach Rücksprache mit der „Vereinigung“ bieten die Anwälte nun an, beide Forderungen in Höhe von zusammen 434 Euro festzuschreiben. Die dafür angebotenen zwei Ratenzahlungen kosten aber wieder Geld. Bleibt es bei den dafür bekannten Sätzen von 80 Euro, müsste die Mutter zu den schon bezahlten 390 noch 594 Euro zahlen. „Ein Entgegenkommen“, sagt Kutter-Christoph, „sieht anders aus.“
„Der Vorgang tut uns leid“, sagt Vereinigungs-Chefin Larrá. Zur zweiten Forderung komme es, weil die Sozialbehörde rückwirkend für Juni und Juli 2010 die teureren Gutscheine abrechne und nicht die auf 55 Euro ermäßigten. Das habe man nicht gewusst, als 2011 die erste Ratenzahlung vereinbart wurde.
Es gebe bei der Vereinigung im Monat etwa 250 säumige Eltern. Das sei ein „Massengeschäft“, auf das man nur Einfluss habe, wenn sich „die einzelnen Eltern an uns wenden“, so Larrá. Sie nehme den Fall zum Anlass, zu prüfen, ob es „von den Gebühren her bessere Angebote“ gibt.
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