"Kirschgarten" im Centraltheater Leipzig: Utopien im Rückspiegel
Slapstick, Action und Chill-out: Bei Sebastian Hartmann am Centraltheater Leipzig, wird Tschechows "Kirschgarten" wieder zur Komödie.
Anton Tschechow beschwerte sich bei der Uraufführung seines "Kirschgartens" 1904 durch den Regie-Großmeister Stanislawski über dessen sentimentalistisch-psychologisierende Interpretation. Dass die Psychologie der Figuren regelmäßig die politische Dimension des Stücks verdrängt, ist häufig im deutschsprachigen Theater. Sebastian Hartmann, Intendant des Schauspiels Leipzig, erklärt diesem Psychologismus in seinem Haus den Krieg und setzt auf ein an Castorf geschultes Hau-drauf-Theater. Herausgekommen ist bei seiner Inszenierung des "Kirschgartens" ein über weite Strecken schwungvoller Abend.
Die alte adlige Gesellschaft stirbt ab, während das moderne 20. Jahrhundert mit dem Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit anbricht. 2009 ist auch das freilich schon wieder Geschichte: Aber dieser Rückblick auf eine Vergangenheit, in der Sozialismus als Utopie noch funktionierte, ist gewollt. Sieht Hartmann doch diese Inszenierung ebenso wie andere Projekte des Spielplans als Beitrag zum Gedenkdiskurs um 1989, der besonders in der "Heldenstadt" Leipzig gefeiert wird.
Die Bühne zeigt das Landhaus der Familie Ranjeskaja, als ob es einem Katalog für die mittlerweile finanzkrisengeschüttelten US-amerikanischen Einfamilienhäuser entsprungen ist (Bühne: Susanne Münzner). Denn bevor der Kapitalismus sich durchsetzen kann und damit auch dem ihm inhärenten Morgenrot des Sozialismus Bahn schafft, muss das Alte weichen. Das Kapital muss den Kirschgarten fressen und für Sommerdatschen parzellieren. Der ehemalige Leibeigene triumphiert als Kapitalist gegen den Adel, der sein Geld lieber in Paris durchgebracht hat, als in moderne Geldvermehrungsstrategien zu investieren. So weit die Fabel des Stücks. Dazwischen findet das Hartmannsche Theater statt.
Im Kirschgarten sitzen die Zuschauer, auf die immer dann gedeutet wird, wenn es ums Abhacken der Bäume geht. Zum Anfang des Stückes fährt die Spielgemeinschaft mit einem roten Lada Nova Junior in die Garage ein, um sich dann in hippiesker Chill-out-Manier dem gemeinsamen Singen zur Gitarre zu widmen. Dabei nehmen die Schauspieler ihre Rollen immer nur temporär an.
Im Vordergrund stehen, wie oft bei Hartmann, vom Stück losgelöste Spieleinlagen zwischen Action und Slapstick, die zum einen einen kryptischen Kommentar zum Stück darstellen, zum anderen sehr unterhaltsam sind. Im "Kirschgarten" geht dabei Maximilian Brauer allen voran, der sich im positiven Sinne als Rampensau durch das Stück schlägt und in großartigen Soli diverse Requisiten und vor allen Dingen sich selbst malträtiert. So scheitert er bereits ganz am Anfang minutenlang daran, die Haustür zu öffnen, und versenkt später gekonnt den Lada an der Rampe.
Diese Spielszenen tragen aber nicht durch den gesamten Abend. Hartmann schafft es besonders im zweiten Teil nicht, die Spannung konstant zu halten. Stockschlagduelle und Al-Capone-Schießereien vermögen auf Dauer nicht zu fesseln und es fehlen hier und da Ideen, die über den Krawall hinausgehen.
Erst am Ende zaubert Hartmann ein minimalistisch-dramaturgisches Ass aus dem Ärmel, wenn Holger Stockhaus beginnt, aus Tschechows "Erzählung eines Künstlers" zu rezitieren. Darin soll das Volk seine Ketten zerschlagen soll, statt sie weiter zu schmieden. Denn Tschechow setzte seine Hoffnung auf Maschinen, die dazu führen sollten, dass drei Stunden täglich Arbeit genug wären. Der Sinn des Lebens läge nicht in der Arbeit sondern im Streben nach Freuden des Geistes. Die Falle der Geschichte klappt zu, denn diese christlich-anarchisch angehauchte Utopie ist mehr Romantik denn aktuelle Option. Das Kettenrasseln erzeugt nur noch die heimelige Wärme des Vergangenen.
Bei Hartmann fällt der gesellschaftliche Umsturz oder die Revolution einfach aus. Ein Schelm, wer bei dieser Fabel auch an 1989 und seine Folgen denkt. Ein ohnehin absterbendes und insolventes System wird im "Kirschgarten" lediglich zum Ausverkauf freigegeben. Der Garten wird einverleibt, abgewickelt, parzelliert und weiterverkauft. Während die ehemals Unterdrückten das Ruder übernehmen, machen die ehemals Herrschenden sich geräuschlos aus dem Staub.
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