Kirche wird Ausstellungsort: Eine Heimstatt für die Verfemten
Mit „Parabel“ hat Sammlerin Maike Bruhns den ersten Ort für Hamburger verfemte Kunst eröffnet. Die aktuelle Schau zeigt auch KZ-Häftlingszeichnungen.

Kunst als bloße Dekoration an der Wand ist ihre Sache nicht. Eher schätzt die Hamburger Kunsthistorikerin und -sammlerin Maike Bruhns, die kürzlich einen neuen Ausstellungsort schuf, Kunst, die Zeitgeschehen reflektiert. Die zum Beispiel die monströse Gewalt der NS-Zeit in Bilder setzt und die vorgebliche Amnesie der TäterInnengesellschaft Lügen straft. Denn KünstlerInnen – Kulturschaffende generell – sind in beginnenden Diktaturen oft als Erste von Berufsverbot, Haft und Flucht bedroht.
Über all das hat die TäterInnengesellschaft lange geschwiegen. Auch deshalb wurde die Rolle der Kunst in der NS-Zeit auch in Bruhns’ Heimatstadt Hamburg lange weder beachtet noch systematisch erforscht. Bemerkt hat sie das in den 1980er-Jahren während ihrer Doktorarbeit über die jüdischstämmige neosachliche Malerin Anita Rée, Mitgründerin der KünstlerInnenvereinigung „Hamburgische Sezession“. Die löste sich 1933 auf, um dem Ausschluss jüdischer Mitglieder zu entgehen. Im selben Jahr nahm sich Rée das Leben. Andere flohen oder gingen in die innere Emigration.
„Angesichts so vieler tragischer Schicksale fand ich es ungerecht, dass die Rolle Hamburger KünstlerInnen nicht erforscht war“, hat Maike Bruhns einmal gesagt. Überhaupt liege Hamburger Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts seit Jahrzehnten als marginalisiert in den Depots. Dabei sei sie hochwertig und eigenständig. In der Tat kann sich die 1940 nach Portugal geflohene Jüdin Gretchen Wohlwill durchaus mit Max Liebermann messen. Und der von den Nazis als „entartet“ diffamierte, 1933 nach Norwegen emigrierte Rolf Nesch kann Edvard Munch das Wasser reichen, wie eine Ausstellung 2019 in Hamburgs Kunsthalle bewies.
Dies im Blick, fing Maike Bruhns früh an, Hamburger Kunst zu sammeln – von Verfemten, Verfolgten, linken KünstlerInnen und ins Exil geflohenen. 3.500 Werke vom Ersten Weltkrieg bis heute fasst die Sammlung jetzt. 2001 gab Bruhns zudem das Grundlagenwerk „Kunst in der Krise. Hamburger Kunst im 'Dritten Reich. Künstlerlexikon Hamburg 1933–1945“ heraus.
„Im Abgrund:Terror, Gewalt und die Künste 1930 bis nach 2000“: Bis 12. 11., Parabel. Zentrum für Kunst in Hamburg, Fuhlsbüttler Straße 656; geöffnet Fr, 14–18 Uhr, Sa/So, 11–18 Uhr.
Auch die Ortlosigkeit Hamburger Kunst hat jetzt ein Ende. Nach fünfjähriger Suche hat Maike Bruhs die „Parabel. Zentrum für Kunst in Hamburg“ in der ehemaligen Nikodemus-Kirche im Stadtteil Ohlsdorf eröffnet. Wie die angrenzende Kita und das Gemeindehaus wurde die Kirche in den 1950er-Jahren im brutalistischen Stil gebaut. Das Kirchenschiff hat die Form einer umgedrehten Parabel, daher der bewusst mehrdeutige Name. Betrieben wird das Gelände von einer GmbH, die es in 99-jähriger Erbpacht von der Kirche übernahm. Den denkmalgerechten Umbau zum Ausstellungsort finanzierte Familie Bruhns. Unterstützung der Stadt habe es nicht gegeben, sagt die Sammlerin. Sponsoren seien willkommen.
Die Albträume hören nicht auf
Konkret soll das Gemeindehaus als Depot für die Sammlung dienen. Zudem sind Seminarräume, Bibliothek und Ausstellungsareal geplant. Die großen Präsentationen beherbergt drei- bis viermal jährlich das Kirchenschiff. Sie sollen Kunst aller Gattungen zeigen und gelegentlich auch aus Bruhns’ Sammlung bestückt werden.
Den Anfang machten Neuerwerbungen der Sammlung, es folgte die Schau „Dem Inferno entronnen – Kunst nach 1945 in Hamburg“. Die aktuelle Präsentation „Im Abgrund. Terror, Gewalt und die Künste 1930 bis nach 2000“ zum 80. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager ist aus Bruhns’ Sammlung sowie Leihgaben etwa des Altonaer Museums und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bestückt.
In kleinen Compartiments präsentiert sie chronologisch Werke von den 1920er-Jahren bis heute – eine eindrückliche künstlerische Zeugenschaft. Sie beginnt mit den blühenden wie elenden 1920er-Jahren – eine Ambivalenz, die in der morbiden Wirtshausszene Elfriede Lohse-Wächtlers aufscheint. Die Malerin wurde 1940 im Zuge der „Euthanasie“ von den Nazis ermordet. Mehrere Zuchthäuser und KZs überlebte die kommunistische Widerstandskämpferin Anita Suhr; ein gezeichneter „Zellenausblick“ auf kahle Bäume steht dafür. Und Gretchen Wohlwill malte ihren ersten Fluchtort vor der Emigration, das trostlos menschenleere Finkenwerder.
Wer nicht fliehen konnte, erlebte zum Beispiel dies: KZ-Häftlinge, die bei Fliegeralarm nicht in die Bunker dürfen. Der Arzt Bernhard Heyde, Ehemann der jüdischen Schauspielerin Ida Ehre, hat es aus dem Fenster beobachtet und 1944 gemalt. Das Bild bezeugt, dass auch dies vor aller Augen geschah – und unter Mithilfe all jener, die Häftlinge, die es dennoch versuchten, an der Bunkertür abwiesen.
Und die KünstlerInnen legen bis heute den Finger in die Wunde: Im einstigen Altarraum der Kirche prangen drei Kohlezeichnungen des 2021 verstorbenen Robert Schneider, der schon Ex-DDR-Industriebrachen, Schlachthöfe, die umweltzerstörenden Ölfelder Aserbaidschans malte. Die nun präsentierten Kohlezeichnungen zeigen riesige Stacheldraht-Pfosten im ehemaligen KZ Auschwitz, vor denen man sich klein fühlt wie wohl damals die Häftlinge. Und der einstige Schlafsaal, aufs architektonische Gerippe reduziert, zeigt keine Spuren von Leben. Bereit für den Neubezug von irgendwem, irgendwo auf der Welt?
Auch die Barackenreihe am sauber gefegten Weg steht für die Übertünchung von Lebensspuren. Noch dazu gezeichnet mit Kohle – Chiffre für die Asche der Krematorien. Aus ihr werden nun Bilder gemalt, die dem Versuch der Auslöschung trotzen. Ein außerordentlich kluger Umgang mit dem Material.
Anrühreneder Theresienstadt-Zyklus
Das mit Abstand Anrührendste – aber nicht Sentimentale, da zur Allgemeingültigkeit Verdichtete – sind neun Blätter aus Max Weiss’ Theresienstadt-Zyklus auf der Empore. In „Ankunft in Theresienstadt“ etwa steht eine Menschenmenge mit ordentlich aufgestellten Koffern in dem KZ, befehligt von zwei SS-Männern. Es ist die Verdichtung mehrerer Vorzeichnungen, auf denen es weit ungeordneter zuging.
Bis zur Beklemmung verdichtet ist auch der „Schlafraum“ mit halb verhungerten Männern in den Stockbetten und einem SS-Mann, der draußen vorm Fenster weitere Gefangene drangsaliert. Weiss muss während seiner Lagerhaft schwer traumatisiert worden sein. Die in dieser Zeit entstandenen Zeichnungen komponierte er erst Jahre nach der Befreiung zu diesem Zyklus. „Vermutlich“, sagt Maike Bruns, „weil die Albträume nicht aufhörten.“
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