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Kinoveteran über seine Geschichte„Ich habe viele Krisen gesehen“

Produzent, Regisseur, Drehbuchautor: Werner Grassmann war all das. Aber am treuesten war sein Herz dem Abaton-Kino, das er vor 50 Jahren mitgründete.

Foto: Miguel Ferraz
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Herr Grassmann, ich las, dass Sie gelegentlich am Einlass stehen und die KinozuschauerInnen begrüßen. Was tun Sie zu Coronazeiten stattdessen?

Werner Grassmann: Ich liebe das Kino sehr und auch wenn wir derzeit keine Filme zeigen können, gehe ich trotzdem dahin, erst in mein Büro und dann im Kino nach dem Rechten schauen. Es ist ja nicht so, dass das Abaton vollkommen geschlossen wäre. Nur die Leinwand bleibt gerade dunkel. Ich habe ja drei Söhne, zwei davon sind hier Geschäftsführer.

Also eine Art Familienunternehmen?

Ja, wir sind alle mit dem Kino verbunden. Ohne meine Frau würde es das Abaton nicht geben, sie hat die Familie zusammengehalten. Ich war hoch verschuldet und das Kino warf wenig Geld ab. Sie ist Kunsterzieherin und ist dann, weil es für das Butterbrot nicht gelangt hat, in den Schuldienst gegangen und war drei Tage in der Woche Kunsterzieherin.

Dann ist nur ein Sohn aus dem Familienbetrieb ausgeschert?

Der dritte Sohn ist Arzt, aber auch er ist eng mit dem Kino verbunden. Als er studierte, hatte ich, wie gesagt, wenig Geld und konnte ihn nicht unterstützen. Er hat im Kino gejobbt und war elf Jahre lang Vorführer. Er saß im Vorführraum und hat für sein Medizinstudium gebüffelt. Heute ist er ein erfolgreicher Arzt, aber ins Kino geht er immer noch gerne.

Gibt es manchmal in der Familie Diskussionen, ob ein Film gut ist?

Natürlich, wir diskutieren oft. Wenn einer dann sagt: Nee, das ist doch kein Abaton-Film, dann ist das so ziemlich die härteste Kritik, die es gibt.

Im Interview: Werner Grassmann

94, hat 1970 gemeinsam mit Winfried Fedder das Hamburger Abaton-Kino gegründet. Außerdem ist er Regisseur und Filmproduzent. „Hinter der Leinwand“, seine Autobiographie“, ist 2010 bei Edition Nautilus in Hamburg erschienen.

Sie haben einmal den Begriff „Brotfilm“ benutzt, für Filme, die Geld in die Kasse bringen. Ist Ihr Motto: So wenig Brotfilm wie möglich?

Stimmt und stimmt auch nicht. Erstens gibt es nicht so viele Brotfilme, die auch ins Abaton passen. Radau-Filme, die vor allem in den großen Innenstadt-Kinos laufen, zeigen wir nicht. Aber es gibt auch Ausnahmen, manchmal machen ja auch berühmte Arthouse-Regisseure Remmidemmi-Filme, Sam Mendes zum Beispiel. Dessen Bond-Film haben wir gezeigt. Das Publikum macht das schon mit.

Sie haben das Abaton-Kino einmal gegründet, um Ihre und die Filme Ihrer Freunde zeigen zu können. Ist diese Rechnung aufgegangen?

Gezeigt habe ich die, aber damit konnte man kein vollständiges Programm gestalten. So viele Filme hätten meine Freunde und ich niemals produzieren können. Wir hatten in den Anfangsjahren ja nur einen Kinosaal, das Große Kino, aber selbst unter diesen Umständen bedeuteten drei Vorstellungen am Tag, dass man 21 Filme pro Woche brauchte. Denn damals war es noch nicht üblich, eine Woche lang immer nur einen einzigen Film zu spielen. Als avantgardistisches Kino dudelt man nicht einfach die Filme durch, um abends eine volle Kasse zu haben.

Wie meinen Sie das?

Meine Freunde von der Hamburger Filmkoop zeigten ihre Experimentalfilme, die ein breites Publikum nicht interessierten, es waren eben Kunstfilme. Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass das Abaton-Schiff untergehen wird, wenn keine Leute kommen. Dann habe ich mich entschlossen, nicht mehr ganz so puristisch zu sein. Im Abaton wurden von da an Filme zeigt, die einen breiteren Geschmack getroffen haben. Die nannte ich Brotfilme. Kunstfilme gab es natürlich trotzdem noch. Im Prinzip ist das bis heute so geblieben. Die Mischung machts.

Waren Sie enttäuscht, dass die Leute kein Interesse an den Kunstfilmen hatten?

Es gibt zwar eine ganze Reihe von filminteressierten Hamburgern, aber eben nicht genug, um ein ganzes Kino am Leben zu erhalten. Da habe ich gedacht: Bevor ich die Underground-Filme gar nicht zeige, nehme ich noch etwas anderes hinzu. Das hat dann sehr gut funktioniert.

Sie sind Regisseur, Produzent, Kinobetreiber. Gibt es da so etwas wie einen Haupt- und einen Nebenberuf?

Kinobetreiber bin ich ja nun seit mehr als 50 Jahren. Aber ich habe eben immer auch noch andere Dinge gemacht. Ich habe keinen geradlinigen Lebenslauf. Wenn ich ein tolles Drehbuch bekomme, dann drehe ich eben den Film; wenn ich einen Verleger finde, der sagt, Grassmann, du musst mal dein Leben aufschreiben, ich würde das gerne als Buch rausbringen, dann setze ich mich hin und schreibe ein Buch. Ich bin ein Wellenreiter: Immer wenn eine attraktive Welle kommt, nehme ich die. Ich habe in den 50er-Jahren für die Tagesschau gearbeitet, war Filmregisseur, Produzent, habe sogar mal den Bundesfilmpreis für einen Kurzfilm gewonnen.

Auf der Internetseite des Abaton steht angesichts von Covid-19: „Der Letzte macht das Licht aus.“ Macht die Erfahrung des Fast-Scheiterns gelassener bei der nächsten Krise?

Ich habe schon so viele Krisen gesehen. In den Anfangsjahren waren wir eigentlich schon pleite, aber dann kam im letzten Augenblick ein Dokumentarfilm über Jimi Hendrix, den wollten die Leute so kurz nach seinem Tod sehen. Die Kasse war voll, ich konnte zur Sparkasse gehen und die Stromrechnung bezahlen. Oder die witzigen, anarchistischen Filme mit den Marx Brothers; die wollte niemand zeigen – wir schon, weil es einfach Spaß gemacht hat. Ich habe die Filme damals eigenhändig in Wien abgeholt, hin und zurück mit der Eisenbahn, auf Zoll und so konnte ich keine Rücksicht nehmen. Wir haben damit richtig Geld gebaggert. Das zeigt: Irgendwie geht es immer weiter, man darf nur nicht aufgeben.

Fast hätten Sie einen Film mit dem unglaublichen Schauspieler Michel Piccoli gedreht.

Piccoli spielte am Thalia-Theater in einem Stück über den Tod, da bin ich hingegangen und habe ihn gefragt: Er sprach sehr schlecht Englisch und ich sehr schlecht Französisch, aber wir haben uns immerhin anschließend getroffen. Da habe ich Piccoli von dem Filmprojekt erzählt, es ging darum, wie die Bauern eines Dorfes von einem Wirt reingelegt werden. Piccoli wollte diesen schmierigen Dorfwirt gerne spielen.

Und wie ging es weiter?

Ich bin zur Hamburger Filmförderung gegangen, dort hat man mir für das Drehbuch 50.000 Mark gegeben. Aber das reichte nicht, immerhin war Piccoli ein Weltstar. Am Ende ist das Projekt zerfluselt.

Hatten Sie je genug von Film?

Nein, aber es gab auch anderes. In meinen Erinnerungen „Hinter der Leinwand“ geht es erst ab Seite 162 bis zum Ende auf Seite 250 um Film, vorher war alles Mögliche.

Wenn man mit Ihnen spricht, denkt man, es müssten 250 Seiten Film sein.

Ich bin eben ein guter Geschichtenerzähler. Einmal ging im Kino der Projektor kaputt. Im Saal ging das Licht an, die Leute wurden unruhig. „Wie geht es weiter“, fragten sie. Da habe ich mich vor die Leinwand gestellt und den Film zu Ende erzählt. Dann war ich fertig, da sagt der Filmvorführer: „Ich glaube, es funktioniert wieder“, und es ging weiter. Als der Film dann zu Ende war, haben die Leute gesagt: „Was Sie erzählt haben, war viel schöner.“

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