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Kinotipps für BerlinDezente Neigung zur Moderne

Im Babylon feiert „Effigie – Das Gift und die Stadt“ Premiere. Das Arsenal würdigt noch einmal Amos Vogel, das Filmmuseum Potsdam die „Blutsauger“.

Suzan Anbeh als Giftmörderin Gesche Gottfried in „Effigie – Das Gift und die Stadt“ Foto: GeekFrog Media

D er jüdisch-österreichische Emigrant Amos Vogel gehörte zu den wichtigsten Kuratoren der Filmgeschichte: In seinem gemeinsam mit seiner Frau Marcia in New York betriebenen Filmclub Cinema 16, als Mitbegründer New York Filmfestivals, als Dozent für Filmwissenschaft und als Autor des einflussreichen Buchs „Film als subversive Kunst“ lenkte der 2012 verstorbene Vogel den Blick insbesondere auf experimentelle und dokumentarische Filme.

Zudem hatte er stets die jeweils jüngsten Entwicklungen in der Filmkunst im Auge: die französische Nouvelle Vague ebenso wie den deutschen Autorenfilmer Werner Herzog, für den er sich seit dessen Anfängen begeisterte. Die für das Kino Arsenal aus Anlass von Vogels 100. Geburtstage zusammengestellte Filmreihe „The gatekeepers exist to be overthrown“ geht mittlerweile in ihren dritten Teil.

Kurator Tobias Hering hält eine Einführung zur Auftaktveranstaltung mit vier experimentell-dokumentarischen Kurzfilmen, darunter Agnès Vardas „L’opéra mouffe“ (1958): ein kleines, sehr persönliches Porträt der Straße, in der sie lebte, und ihrer Bewohner – aus der Sicht einer schwangeren Frau, die Varda damals während der Dreharbeiten war (23. 1., 18 Uhr, Kino Arsenal 1).

Wie explizit saugen Kapitalisten eigentlich Blut? Das fragen sich im (ein wenig verfremdeten) Jahr 1928 nicht nur die Teilnehmer eines Marx-Lesekreises in den Ostseedünen. Und was bitte haben eine protestantische Fabrikantentochter mit dezenter Neigung zur Moderne, ihr persönlicher Assistent mit Biss-Spuren (chinesische Flöhe?) sowie ein falscher russischer Baron – der sich schnell als Exil-Schauspieler herausstellt, der auf Stalins Geheiß aus Eisensteins Revolutionsfilm „Oktober“ herausgeschnitten wurde – damit zu tun?

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Regisseur Julian Radlmaier vermengt diese Zutaten in „Blutsauger“ zu einer ironisch-distanzierten Vampirkomödie, die Theoriediskurs, wörtlich genommene marxsche Methapern und cinephiles Amüsement spielerisch zusammenfügt. Das Filmmuseum Potsdam zeigt den Film in seiner Reihe „Aktuelles Potsdamer Filmgespräch“, Regisseur Julian Radlmaier ist entsprechend vor Ort (25. 1., 19 Uhr, Filmmuseum Potsdam).

Die Aufklärung eines Serienmordes steht im Mittelpunkt des historischen Krimi- und Frauendramas „Effigie – Das Gift und die Stadt“: Zwischen 1813 und 1827 ermordete die Bremer Bürgerin Gesche Gottfried insgesamt 15 Menschen mit Arsen, darunter ihre Eltern, ihren Bruder, drei Kinder, zwei Ehemänner, einen Verlobten sowie mehrere Freun­d:in­nen und Nachbar:innen.

Ihr Motiv blieb letztlich im Dunkeln, man erklärte sich die Tötungen damals mit finanziellen Vorteilen, doch auf diverse Morde traf dieses Motiv eigentlich nicht zu. Gottfried war die letzte Person, die in Bremen öffentlich hingerichtet wurde.

Regisseur Udo Flohr stellt in seinem mit reichlich Zeit- und Lokalkolorit operierenden Drama Gesche Gottfried (Suzan Anbeh) die – nicht historische – Figur der Cato Böhmer (Elisa Thiemann) gegenüber, eine tüchtige junge Protokollantin des Untersuchungsrichters und Senators Droste, der seinerseits in allerlei politische Intrigen verwickelt ist.

Böhmer ist vergleichsweise privilegiert, Gottfried stammt ursprünglich aus ärmlichen Verhältnissen – aus diesen beiden Perspektiven blickt der Film auf eine von Männern dominierte Welt, in der Frauen es schwer haben und in der arrogante Dummheit, Gewohnheit und Vorurteile einer moderneren Gesellschaft im Wege stehen. Die Berliner Premiere am 20. Januar findet in Anwesenheit von Mitgliedern des Filmteams statt (20.-21. 1., 19.30 Uhr, 22. 1., 18 Uhr, 23. 1., 19.45 Uhr, Babylon Mitte).

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Lars Penning
Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.
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