Kinotipp der Woche: Neue Indies aus den USA
Das Festival „Unknown Pleasures“ im Kino Arsenal bietet eine Reihe von ausgesucht dringlichen amerikanischen Produktionen.
Auch genug von zu viel Netflix glotzen über Weihnachten und Neujahr? Die zweite Staffel von „Emily in Paris“ schon durch, dieser quietschebunten und eigentlich wirklich schrecklichen Serie, von der man trotzdem so wenig lassen kann, wie von billigen Lebkuchen, auch wenn man weiß, dass beides einem nicht gut tut?
Dann bietet einem die inzwischen bereits zwölfte Ausgabe des „Unknown Pleasures“-Filmfestival im Arsenal ein gutes Detoxing, zumindest was das Audiovisuelle betrifft. Die ausgesucht dringlichen amerikanischen Independent-Produktionen, die hier noch bis zum 19. Januar gezeigt werden, sind das perfekte Kontrastprogramm zu Emily und ihren seichten Abenteuern in Paris.
Hier werden Filme gezeigt, die auch mal mit praktisch null Budget auskommen oder maximal so viel kosten wie eines dieser grotesken Outfits, mit denen Emily in ihrer Agentur herumspaziert. Etwa „The Gifts of time“ von Alfred Guzzetti, der schon seit fast 50 Jahren Experimentalfilme und Dokumentationen dreht und der weiß, dass er mit seinen Sachen ohnehin kein Geld verdienen kann.
Ganz normale Menschen
Oder wie wäre es, anstatt dem ständigen und fast schon hysterischen Overacting aus „Emily“ einfach mal wieder ganz normale Menschen auf der Leinwand erleben zu dürfen? Hier bietet sich ganz gut „Down with the King“von Diego Ongaro an, der von einem Rapper in der Lebenskrise erzählt und in dem auch ein echter Rapper (der große Freddie Gibbs) die Hauptrolle spielt. Und in dem auch sonst vor allem Laiendarsteller zu sehen sind.
Unknown Pleasures #12 – American Independent Film Fest: bis zum 19. Januar im Kino Arsenal
Von den Themen her geht es bei den „Unknown Pleasures“ sowieso um weit mehr, als bloß darum, ob einem dieser oder jener Fummel besser steht. „The Sleeping Negro“ von Skinner Myers beispielsweise ist der bestmögliche „Black Lives Matter“-Streifen, den man sich gerade so vorstellen kann. Myers selbst spielt in seinem Debütfilm die Hauptrolle, einen Schwarzen Mann, dessen Namen man nicht erfährt.
Und von Beginn an, schon als die ersten Verse des wieder schwer in Mode gekommenen BLM-Vordenkers James Baldwin gedroppt werden, ist klar, dass man hier ein Werk zu sehen bekommt, das sich die Critical-Whiteness-Anhänger immer gewünscht haben. Auch wenn – aber das sei wirklich nur ganz am Rande gesagt – die Netflix-Serie „Dear White People“ zu dem Thema tatsächlich auch so einiges zu sagen weiß.
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Man erlebt hier diesen Schwarzen Mann in den USA, dem es eigentlich ganz gut zu gehen scheint. Schicke Bude, im Job respektiert, hübsche Freundin, alles scheint zu passen. Allerdings ist sein Chef natürlich ein Weißer – scheint anders ja nicht möglich zu sein, nicht nur in den USA.
Der schleimt sich bei ihm ein, schenkt ihm scheinbar einfach mal so ein handsigniertes Buch von besagtem James Baldwin – den lesen Schwarze ja schließlich so gerne – und trägt ihm auf, krumme Deals zu machen. Deren Opfer, so stellt sich am Ende des Films heraus und das ist jetzt eigentlich kein richtiger Spoiler: natürlich arme Schwarze.
Der Konflikt eskaliert
Es ist sicherlich alles arg lehrbuch- und auch holzschnittartig in diesem Film. Hier die Diskussion mit dem besten Freund, der meint: Diskriminierung Schwarzer, das sei ja wohl eher vorbei. Dann der Streit mit der Freundin, einer Weißen. Privilegien Weißer, auch das gebe es doch eigentlich gar nicht, sagt diese. Der Konflikt eskaliert und dann fällt es tatsächlich, das N-Wort.
Sämtliche BLM-Themen werden heruntergerasselt. Wer bislang in einer Höhle lebte und von Black Lives Matter nichts gehört hatte, weiß nach „The Sleeping Negro“ über deren Anliegen bestens Bescheid. Ein Film wie ein Seminar also. Einerseits. Denn andererseits fesselt er und zieht einen wirklich rein in sein Thema.
Weil er eine unglaubliche Energie entfaltet. Weil man spürt, dass Myers große Wut in sich haben muss, ein Anliegen hat, weil man merkt, hier will jemand unbedingt etwas loswerden. Und die eingestreuten drastischen Szenen, in denen der Schwarze ohne Namen sein Schicksal mit seinen Vorfahren, den gefühlt ebenfalls namenlosen Sklaven in den USA, verknüpft sieht, macht den Film noch stärker.
Die US-Indies, die bei „Unknown Pleasures“ gezeigt werden, stammen aus den letzten Jahren. Aber da wir es hier ja mit einem richtigen Festival zu tun haben, gibt es auch eine kleine Werkschau. Eine Hommage an die weitgehend vergessene Regisseurin Joan Micklin Silver, die erst vor zwei Jahren gestorben ist. Und von dieser sind auch ein paar abgehangenere Filme zu sehen. Darunter „Between The Lines“ (1977) und „Crossing Delancey (1988).
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