Kinofilm „David Copperfield“: Die wahren Helden der Geschichte
Armando Iannucci hat „David Copperfield“ mit viel Humor und ungewohnter Besetzung verfilmt. Der Brite erzählt den Stoff straff und episodenartig.
Ob er am Ende als der Held seiner eigenen Lebensgeschichte dastehen wird, oder ob andere diesen Platz einnehmen werden, fragt sich David Copperfield im ersten Satz des Romans, der seinen Namen trägt. Auf den Leser des 21. Jahrhunderts wirkt das wie viktorianische Geziererei, schließlich steht der Name im Titel, und die Person, die sich so nennt, erzählt als „Ich“ – wessen Geschichte soll das sonst sein?
Der Brite Armando Iannucci lässt seine Kinoadaption damit beginnen: Sein Held, gespielt von dem einstigen „Slumdog Millionär“ Dev Patel, spricht den Satz als Auftakt eines Vortrags, den er vor den Rängen eines Theaters hält. Allerdings haben Kameraschwenks über das Publikum hinweg etwas offenbart, das dem Satz eine andere Wendung gibt: Im radikalen Bruch mit der Tradition, dass die Kostüme in Kostümfilmen mehrheitlich den weißen Menschen vorbehalten sind, befinden sich hier Hautfarbtöne aller Schattierungen.
„David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück“. Regie: Armando Iannucci. Mit: Dev Patel, Hugh Laurie u.a. Großbritannien/USA 2019, 119 Min.
Wer jetzt schreit: „Historisch unkorrekt!“ – hat nie länger über den ersten Romansatz nachgedacht und was er bedeutet, sowohl für die Geschichte von Copperfield als auch für die des 19. Jahrhunderts, die Dickens einfangen wollte.
Das „farbenblinde“ Casting dient noch zu etwas anderem als der höheren historischen Gerechtigkeit: Es ist eine Einladung, der Fantasie und damit auch dem Humor mehr Raum zu geben für eine Erzählung, die oft durch die Elendsmotive des Frühindustrialismus mit Kinderarbeit, Schuldenturm und unüberwindbaren Klassengegensätzen niedergedrückt wird.
Spurt zur Geburt
So nimmt bei Iannucci im flotten Tempo David Copperfields Erzählung ihren Lauf – buchstäblich sieht man in der nächsten Szene Menschen rennen, die rechtzeitig zu Davids Geburt bei seiner Mutter sein wollen, darunter Tante Betsey (Tilda Swinton), die wieder kehrtmacht, als sie erfährt, dass statt der von ihr gewünschten Nichte ein Neffe auf die Welt kam.
Die Sache mit den Hautfarben wirbelt die Besetzung im Folgenden so durcheinander, dass daraus kein bloßer Gag wird, sondern eine Schärfung der einzelnen Persönlichkeiten. Die schwarze Nikki Amuka-Bird als hochmütige Mutter des blassweißen Holladri Steerforth (Aneurin Barnard)? Die mangelnde genealogische Konsequenz hebt ihre Arroganz umso deutlicher hervor.
Iannucci und sein Koautor Simon Blackwell haben den Roman auf Episoden verdichtet, die dem Film etwas ungewohnt Sketchartiges verleihen. Statt mit dem langen Atem des Bildungsromans wird in Form einer Nummernrevue erzählt, und das macht sichtbar, was im Stoff angelegt war: Dass die wahren Helden dieser Geschichte die Nebenfiguren sind, die auftauchen, verschwinden und wiederkehren.
Eine Karriere erschreiben
Charaktere wie Pegotty (Daisy May Cooper), die Kinderfrau mit den groben Fingern und schiefen Sprachbildern. Oder Mr Micawber (Peter Capaldi), der ewige Schnorrer, der unerschütterlich an die nächste Chance glaubt. Besagte Tante Betsey, die hinter einer starren Fassade große Güte versteckt, und ihr Mr Dick (Hugh Laurie), dessen manifester Wahnsinn David mit Drachensteigen erfolgreich therapiert. Und der schmierige Uriah Heep (Ben Whishaw), der jede Raumtemperatur absenkt.
Sie sind mal beteiligt an Copperfields Auf- und Abstieg und mal dessen „Kollateralschaden“. Aber schlussendlich, Iannucci illustriert das, indem er die ihnen zugesprochenen Zitate als handgeschriebene Notizen im Blick behält, sind sie das Fundament, auf das Copperfield seine Karriere gründet: das Schreiben.
Selten hat man die Erkenntnis, dass „David Copperfield“ der „autobiografischste“ der Romane von Dickens sei, so spielerisch umgesetzt gesehen: Am Ende übergibt Copperfield Mr Micawber einen Tantiemenscheck – der den alten Trickster sichtlich wieder auf Ideen bringt.
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