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Kinoempfehlungen für BerlinFilm mit ästhetischen Folgen

Das Metropolis Orchester Berlin feiert 100 Jahre „Der letzte Mann“, das Arsenal ist auf Tour, das Odeon Kino zeigt Ari Folmans „The Congress“.

Filmaufführung mit dem Metropolis Orchester Berlin Foto: MOB

B erühmt ist F.W. Murnaus „Der letzte Mann“ heute vor allem aufgrund einer technischen Errungenschaft mit ästhetischen Folgen: Dem dramatischen Stummfilm um einen von Emil Jannings verkörperten stolzen Hotelportier, den sein Arbeitgeber aufgrund fortschreitenden Alters zum Toilettenwärter degradiert, wird die Erfindung der sogenannten „entfesselten Kamera“ zugeschrieben.

Natürlich „erfanden“ Murnau und sein Kameramann Karl Freund nicht die erste Kamerafahrt der Geschichte, aber die bislang doch überwiegend starr positionierte Kamera wurde nun erkennbar mobil – zwar noch nicht auf Schienen und mit Kränen bewegt, doch mit allerlei Wägelchen und weiteren Hilfsmitteln auf eine Weise transportabel, dass sich deutliche Änderungen im Inszenierungsstil ergaben.

Einhundert Jahre ist das jetzt her, Grund genug für eine Jubiläumsaufführung mit dem Metropolis Orchester Berlin unter der Leitung von Burkhard Götze, das eine 2018 entstandene Filmkomposition von Richard Siedhoff zu Gehör bringen wird.Einleitende Worte spricht Volker Schlöndorff, durch den Abend führt Knut Elstermann.

Ein kurioses Detail in der zeitgenössischen Rezeption des Films ist übrigens das völlige inhaltliche Unverständnis der US-Amerikaner: Weil ein Toilettenwärter ihrer Ansicht nach viel mehr Trinkgeld kassierte als ein Portier, konnten sie das Drama des sozialen Abstiegs überhaupt nicht nachvollziehen (3. 1., 19.30 Uhr, Theater im Delphi).

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Das Kino Arsenal im Filmhaus im Sony Center ist Geschichte – aber das neue Kino im Kulturquartier silent green noch nicht gebaut. Für das Arsenal beginnt folglich ein Jahr der Wanderschaft, in dem das Kino einige seiner Programme als Gast in anderen Kinos präsentieren wird.

Los geht „Arsenal on Location“ bereits Anfang Januar mit der 15. Ausgabe von „Unknown Pleasures – American Independent Film Fest“, das dieses Jahr im Neuköllner Wolf Kino präsentiert wird. Inhaltlich hat sich nichts geändert, gezeigt wird amerikanisches Kino jenseits des Mainstreams, darunter auch eine ganze Reihe von vielversprechenden Debütfilmen.

Einer der interessantesten Filme stammt von der Künstlerin und Filmemacherin Madeleine Hunt-Ehrlich, die sich in ihren Werken vornehmlich mit dem Leben und den Erfahrungswelten schwarzer Frauen auseinandersetzt. „The Ballad of Suzanne Césaire“ widmet sich der 1915 auf Martinique geborenen afro-karibischen Autorin Suzanne Césaire, einer der Hauptprotagonistinnen der literarisch-politischen „Négritude“-Bewegung.

Sie beschwor in ihren Werken panafrikanische Ideen und unterhielt zugleich enge Beziehungen zu André Breton und dem Surrealismus. Der Film selbst kommt aber nicht als klassisches Biopic daher, sondern als ein Film-Essay, der die inszenierten Szenen aufbricht für Meta-Ebenen. Im Anschluss an die Vorführung gibt es ein Video-Gespräch mit Madeleine Hunt-Ehrlich (6.1., 18.30 Uhr, Wolf Kino).

Von Stanislaw Lems Roman „Der futurologische Kongress“ ist in Ari Folmans Adaption „The Congress“ (2013) nur die Grundidee übriggeblieben – und auch die kommt lediglich in der zweiten Hälfte des Films zum Tragen. Während in Lems Roman ein totalitäres Regime seine Bevölkerung unter Drogen setzt, um eine grimmige Realität auszublenden, geben sich bei Folman die Menschen ganz freiwillig den Verlockungen der Unterhaltungsindustrie hin: Anlass für einen halluzinogenen Animationstrip mit vielerlei Bezügen zur Geschichte des Zeichentrickfilms.

In der ersten Hälfte des Films hingegen brillieren Robin Wright (als Robin Wright), Harvey Keitel (als ihr Agent) und Danny Huston (als Studioboss) in einem Drama, das Fragen sowohl zur Zukunft der Digitalisierung als auch zur menschlichen Wahlfreiheit und zur Behandlung alternder Schauspielerinnen aufwirft (8.1., 20 Uhr, Odeon).

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Lars Penning
Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.
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