Kinoempfehlungen für Berlin: Ganz normale Menschen

Das Kino Arsenal versucht, Wolfgang Neuss zu erklären. Das Babylon Mitte würdigt David Lynch, und in Potsdam eröffnet das Festival „Sehsüchte“.

„Genosse Münchhausen“, BRD 1961, Regie: Wolfgang Neuss Foto: Deutsche Kinemathek

Bauer Puste bearbeitet einen halben Morgen Land im Westen, Bauer Altmann die andere Hälfte für eine LPG im Osten, dazwischen ist Stacheldraht. Die veraltete Flächenangabe ist der Running Gag des Films und nur deshalb vorhanden, damit man sich immer wieder einen/ein schöneren/schöneres Morgen wünschen kann. Der Berliner Kabarettist Wolfgang Neuss drehte „Genosse Münchhausen“ kurz nach Errichtung der Mauer im Jahr 1962 – angeblich mit finanzieller Unterstützung von CDU-Politikern.

Doch wer Neuss kennt, weiß, dass dieser keine Parteipolitik betrieb, sondern eher ein Spezialist des hintergründigen Rundumschlags war. So bekommt in der Satire jeder sein Fett entsprechend weg, von den Planerfüllungsfetischisten im Osten bis zu dubiosen westlichen Geheimdienstlern.

Nach dem Geplänkel am Stacheldraht geht es für Puste als Aufklärungsflieger gen Osten, er springt über der UdSSR ab, schlägt sich in verschiedenen Berufen durch, findet dort auch bloß normale Menschen und landet als Kosmonaut einer verirrten Venusrakete schließlich wieder im Westen am Nacktbadestrand bei den Schönen und Reichen von Sylt.

Die Deutsche Kinemathek zeigt „Genosse Münchhausen“ in der Reihe „Filmspotting“ mit Favoriten der Mitarbeiter:innen; Olaf Saeger hält dazu eine Einführung und versucht, „Wolfgang Neuss zu erklären“ (24. 4., 19 Uhr, Kino Arsenal).

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Eine Retrospektive mit Filmen von David Lynch zeigt zurzeit das Babylon Mitte, darunter mit „The Straight Story“ (1999) eines seiner gelassensten Werke: die auf Tatsachen beruhende Geschichte des 73-jährigen Alvin Straight (Richard Farnsworth), der die 507 Kilometer von Iowa nach Wisconsin auf einem Aufsitz-Rasenmäher zurücklegt, um einen alten Streit mit seinem Bruder beizulegen.

Ruhig und mit lakonischem Witz nähert sich Lynch seinem dickköpfigen Protagonisten an, der in diesem Americana-Roadmovie gemächlich durch den mittleren Westen zuckelt, wo Erntemaschinen einsam ihre Runden auf goldenen Feldern drehen und sich nur sehr gelegentlich Erinnerungen an nationale und persönliche Traumata aufdrängen (22. 4., 22.30 Uhr, 24. 4., 20 Uhr, 26. 4., 22.45 Uhr, Babylon Mitte).

Im Filmmuseum Potsdam eröffnet mit „Sehsüchte“ das mittlerweile 52. Internationale Studierendenfilmfestival der heutigen Filmuniversität Konrad Wolf. Los geht’s mit dem Programm „Retrospektive I“, das drei kürzlich restaurierte Kurzfilme aus der Zeit von 1967 bis 1980 versammelt, darunter den Dokumentarfilm „Meiningen – Meiningen“, der den Arbeitsalltag von Mit­ar­bei­te­r:in­nen in einem Mitropa-Speisewagen beschreibt. Philip Meyer von der Filmuniversität moderiert (20. 4., 18 Uhr, Filmmuseum Potsdam).

Auch sehr schön (und vor allem sehr lustig): „Liberty“, eine Komödie von Leo McCarey mit Stan Laurel und Oliver Hardy, die hier bei der Flucht aus einem Gefängnis in der Eile ihre Hosen vertauschen.

Beim Versuch, diese wieder zu wechseln, werden sie immer wieder in kompromittierenden Situationen ertappt und landen schließlich auf einem Rohbau in schwindelerregender Höhe, wo ein in Ollies Hose geratener Krebs für Aufregung sorgt. Zu sehen beim Stummfilm um Mitternacht mit zwei weiteren Laurel & Hardy-Komödien; an der Orgel ist Anna Vavilkina zu hören, der Eintritt ist frei (22. 4., 23.59 Uhr, Babylon Mitte).

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Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

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