: Kino zum Heulen und Davonlaufen
■ In Gillian Armstrongs Film kämpfen Betty und ihre Schwestern mit schweren Zeiten
Man zählt die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Im Süden der USA tobt der Bürgerkrieg, doch in Concord, Massachusetts, ist davon wenig zu spüren. Die Kamera schwenkt über das idyllische Städtchen, das, obwohl tief verschneit, eine wohlige Wärme ausstrahlt. Dann führt sie uns in das Haus der March-Familie, und die Wärme wird fast erstickend. Es ist Heiligabend. Mutter March (Susan Sarandon) feiert mit ihren vier Töchtern das Weihnachtsfest. Alle lachen, sind glücklich, ein Herz und eine Seele. Zum Davonlaufen.
Aber es lohnt sich sitzenzubleiben. Regisseurin Gillian Armstrong trägt nur in dieser Anfangsszene so dick auf. Später bringen die Belastungen des Krieges und das Erwachen erotischer Bedürfnisse bei den Mädchen unvermeidlich Trübungen der Idylle mit sich, wenn auch immer nur vorübergehend. Es kommt zu Eifersüchteleien unter den Schwestern, die aber immer geschlichtet werden können. Dann stehen härtere Bewährungsproben an: Es wird geliebt, geheiratet und gestorben, wie es sich für eine ordentliche Familiengeschichte gehört. Die von der wunderbaren Susan Sarandon geflochtenen Familienbande erweisen sich jedoch stets als reißfest. Zum Heulen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht übrigens nicht Betty (Claire Dane), sondern Jo (Winona Ryder), die zweitälteste Schwester, der zum Schluß der lang ersehnte Durchbruch als Schriftstellerin gelingt. „Little Women“ betitelt sie das Manuskript, das ihr scheinbar ohne Anstrengung aus der Feder geflossen ist. So heißt auch der Film im Original, ebenso wie die Literaturvorlage von Louisa May Alcott, 1868 erstmals veröffentlicht, in der diese ihre eigenen Kindheitserfahrungen verarbeitet hat. Das Buch findet noch heute Leserinnen und, seltener, Leser. Von den männlichen Schauspielern soll es nur Gabriel Byrne gekannt haben.
Nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera waren die wichtigsten Positionen - Drehbuch, Regie, Produktion - weiblich besetzt. So etwas muß heutzutage offenbar immer noch gerechtfertigt werden. Produzentin Denise Di Novi erklärt jedenfalls: „Ich glaube, es ist wichtig, sich zu erinnern, daß Männer unerläßlicher Bestandteil von Little Women sind. Louisa May Alcott war ihrer Zeit weit voraus, als sie beschrieb, wie Jungen und Mädchen die besten Freunde sein und eine gleichwertige Beziehung zueinander haben können. Alle Männer in der Geschichte sind klug, nett, freundlich und hilfsbereit, zugleich aber auch stark und männlich.“ Wie beruhigend.
Hans-Arthur Marsiske
Herzzerreißende Idylle: Weihnachten im Hause March
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