Kino Amy J. Bergs Dokumentarfilm „Janis: Little Girl Blue“ über die Rockikone Janis Joplin vermeidet alle falsche Ehrfurcht: Blick zurück ohne Nostalgie
von Fabian Tietke
Seit Jahren gibt es immer wieder Pläne zu einem großen Janis-Joplin-Biopic. Der letzte Versuch stammte von Jean-Marc Vallee (“Dallas Buyers Club“), das Projekt trug den Arbeitstitel „Get It While You Can“. Wie so viele Anläufe zuvor wurde auch Vallees Film unter den Aktenbergen diverser Rechtsstreits begraben. Dass das vielleicht gar kein Unglück ist, zeigt Amy J. Bergs Dokumentarfilm „Janis: Little Girl Blue“.
Nicht wenige Musikdokumentationen nähern sich den Dargestellten mit einer fatalen Mischung aus ehrfurchtsvoller Erstarrung und retrospektiver Nostalgie – und bleiben verlässlich an der Oberfläche hängen. Nicht so „Janis: Little Girl Blue“. Von der ersten Minute an weiß man, dass jede Nostalgie fehl am Platze wäre, dass man es seinem ärgsten Feind nicht an den Hals wünschen würde, in den 1950ern Jahren in Port Arthur, Texas, als Außenseiter aufgewachsen zu sein. Andere haben im Kampf um die Aufhebung der Segregation Schlimmeres erlebt, aber als Teenager von seinen Mitschülern gemobbt zu werden, weil man sich für die Integration ausspricht, ist kein Vergnügen.
Einnehmende Offenheit
Nostalgie kommt bei den Bildern aus Janis Joplins Jugend ganz sicher nicht auf. Sollte es im Laufe des Filmprojekts je Anflüge von ehrfurchtsvoller Erstarrung gegeben haben, sind sie schon im Schnitt von der überraschenden, einnehmenden Offenheit, die Janis Joplin in den Interviewausschnitten zeigt, davongefegt worden. „Janis: Little Girl Blue“ folgt dem Aufstieg Janis Joplins von den Anfängen in der Musikszene in Austin und dem Wechsel in die musikalische Gegenkultur von San Francisco Anfang der 1960er Jahre. Die Bilder aus jener Zeit zeigen, dass Janis Joplin sich dort sichtlich aufgenommen und akzeptiert fühlte. Es folgen Auftritte in immer größeren Hallen.
Erfreulich viel Raum räumt der Film dem Auftritt beim Monterey Pop ein, einem der mittlerweile etwas vergessenen wichtigen Festivals der musikalischen Gegenkultur vor Woodstock. Wie viele andere beäugten auch Janis Joplin und ihre Band Big Brother and the Holding Company mit Misstrauen, dass das Festival von D. A. Pennebaker mit immerhin neun „maschinengewehrartigen Kameras“ gefilmt wurde. Die Band weigert sich zunächst, sich filmen zu lassen, lässt sich dann aber überzeugen und wird bei einem zweiten Auftritt doch noch von den ungeliebten Filmmenschen aus Los Angeles aufgenommen.
Zwischen alldem die immer wiederkehrenden Zusammenbrüche mit heftigem Drogengebrauch. Schon nach dem ersten Aufenthalt in San Francisco scheinen sich die Familie und offenbar auch Janis Joplin selbst im Klaren gewesen zu sein, wie groß die Versuchung ist; dass eine Rückkehr in die musikalische Gegenkultur San Franciscos für sie auch eine Rückkehr in die Sucht bedeuten würde.
Ohnehin zeigt der Film in den Gesprächen mit Familienangehörigen, Wegbegleitern, Bandmitgliedern und ehemaligen Partnerinnen und Partnern, vor allem aber in den Amateurfilmen und den Aufzeichnungen von Interviews und Auftritten eine ausgesprochen selbstreflektierte Frau. In einem Interviewausschnitt von Ende der 1960er Jahre spricht Janis Joplin mit erkennbarer Begeisterung davon, was Billie Holiday, Aretha Franklin und Otis Redding mit nur zwei Tönen können, um dann resigniert festzustellen, dass sie einstweilen nur eine Powerstimme habe. Die Subtilität stelle sich dann ja vielleicht später ein.
Die rückblickende Besserwisserei, die in keiner rückblickenden Dokumentation gänzlich fehlen wird, ist in „Janis“ erfreulich rar. Es überwiegen Erinnerungen an Momente, die die Berichtenden ebenso berührt haben wie Janis Joplin. Das gilt neben den Gesprächen mit Janis Joplins jüngeren Geschwistern vor allem für eine Reihe von Interviews, die der Talkshowhost Dick Cavett mit Janis Joplin im Verlauf ihrer Karriere führte. Die Bilder aus diesen Interviews wirken eher wie das Wiedertreffen alter Freunde und nicht wie Auftritte in einer Talkshow. In einem rückblickenden Gespräch zeigt sich auch Cavett noch immer überrascht, dass es auf Anhieb eine Vertrautheit zwischen ihnen gab.
Im Abspann sprechen Musikerinnen von heute wie Pink und Melissa Etheridge (beide in früheren Biopic-Projekten im Gespräch als Janis-Darstellerinnen) über die Bedeutung, die es hatte, dass eine Frau wie Janis Joplin in der männerdominierten Musikwelt der 1960er Jahre die Bühne erobert hat. Mit welcher Offenheit und Nahbarkeit sie das tat, das zu zeigen, ist die große Stärke von Amy J. Bergs „Janis: Little Girl Blue“.
„Janis: Little Girl Blue“. Regie: Amy J. Berg. USA 2014, 107 Min.
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