Kindesmisshandlung in Niedersachsen: Gekleidet in Müllsäcke

In Emsbüren soll eine Mutter ihren Sohn über Jahre misshandelt haben, obwohl die Familie in Kontakt mit dem Jugendamt stand.

Schild mit der Aufschrift Jugendamt

Hätte das Jugendamt früher eingreifen können? Das muss jetzt geklärt werden Foto: dpa

HANNOVER taz | Statt Kleidung soll der Jugendliche nur eine Unterhose, gelbe Säcke und einen Mundschutz getragen haben, als im Januar 2017 die Polizei in das Haus seiner Mutter im niedersächsischen Emsbüren kam, um sein Martyrium zu beenden. Der damals 16-Jährige soll in seinem Zimmer, in dem ihn seine Mutter nachts eingesperrt haben soll, keine Matratze, kein Kissen, keine Decke und kein Licht gehabt haben. Die Toilette der Familie habe er nicht mehr benutzen dürfen. Seine eigene Mutter soll ihn in der Familie isoliert und verprügelt haben, so berichtet das Magazin Der Spiegel.

Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat die Mutter wegen Misshandlung Schutzbefohlener und Freiheitsberaubung angeklagt. Auch ihr Lebensgefährte steht im Fokus, weil er nicht eingeschritten sei. Es geht um den Zeitraum zwischen 2015 und 2017. Es sei „einer der schwersten Fälle“ von Misshandlung, die es in diesem Bezirk bisher gegeben habe, sagt Christian Bagung, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Osnabrück. Die Details, die der Spiegel über den Fall veröffentlicht hat, will er nicht bestätigen.

Wann der Prozess beginnt, ist noch unklar – ebenso die Rolle des Jugendamtes in diesem Fall. Die Behörde hatte seit 2002 Kontakt zu der Familie. Verhindert haben die Mitarbeiter die Misshandlungen nicht. Erst ein Video, das die Schwester des Betroffenen heimlich gedreht und einem Freund gezeigt haben soll, brachte die Wende. Dessen Vater erstattete Anzeige. Nach der Berichterstattung prüft die Staatsanwaltschaft nun auch Ermittlungen gegen das Jugendamt, etwa wegen unterlassener Hilfeleistung. Bisher gebe es dafür aber „keinerlei Anhaltspunkte“, sagt Bagung.

Landkreis sieht keine Fehler

Das niedersächsische So­zialministerium antwortet auf die Anfrage der taz, ob das Jugendamt Lingen Fehler gemacht habe, nicht direkt. Es sei gut, dass durch das Ermittlungsverfahren die genauen Umstände geklärt und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen würden, sagt Sozialministerin Carola Reimann (SPD). „Was diesem jungen Mann aus Emsbüren angetan wurde, ist erschütternd.“ Der Landkreis Emsland müsse nun prüfen, wie die Zusammenarbeit der Beteiligten verbessert werden könne, sofern hier Defizite deutlich würden, sagt Reimann. Ihr Ministerium wolle prüfen, ob es bei den Jugendämtern Fortbildungsbedarf gebe.

Laut der niedersächsischen Landesschulbehörde stand die Schule des Jugendlichen „über einen längeren Zeitraum in Kontakt mit dem Jugendamt“. Es sei dabei um eine mögliche Vernachlässigung des Jungen gegangen. „Anzeichen von körperlicher Misshandlung hat die Schule nicht festgestellt“, sagt Sprecherin Bianca Schöneich. Es lägen keine Hinweise darauf vor, dass die Kommunikation mit dem Jugendamt ein Problem gewesen sein könnte.

Der Landkreis Emsland, zu dem das Jugendamt gehört, sieht keine Fehler in seinem Handeln. Es habe „zu keinem Zeitpunkt gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung“ gegeben, schreibt ein Pressesprecher der taz. 2015 habe es zwar einen anonymen Hinweis auf Vernachlässigung gegeben, der Junge habe bei einem Gespräch in der Schule aber alles glaubhaft in Abrede gestellt. „Auch ein anschließender Hausbesuch zeigte keinen Handlungsbedarf auf.“ Auch bei zwei mehrwöchigen stationären Aufenthalten des Jungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie habe es keine Hinweise gegeben. Es sei sogar über „elterliche Überfürsorge“ berichtet worden.

Die Grünen wollen den Fall nun mit einer Anfrage zum Thema im Landtag machen: „Wenn es einen Fehler im System gibt, dann müssen wir den korrigieren“, sagt Fraktionschefin Anja Piel.

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