Kindermuseum: Der Tod als Picknick
Eine Ausstellung in der Parochialkirche will Kinder spielerisch an das Thema Tod heranführen. Denn Eltern wüssten oft nicht, was sie dem Nachwuchs auf seine Fragen zum Sterben antworten sollen.
Der Tod hat viele Gestalten. Er ist ein Männchen mit riesigen Händen, das den Mund aufreißt und "Aua!" schreit. Er hat einen Kopf, aber zwei Gesichter. Wer stirbt, wird zum Hund, zur Schlange. Oder zur Pflanze. "Wenn ich tot bin, dann essen mich die Insekten auf", sagt der sechsjährige Florin. Er findet das nicht weiter schlimm. "Ich liege auf dem Friedhof, und irgendwann wächst eine Blume." Mit einem Bleistift zeichnet er eine Blüte mit Stengel auf einen weißen Zettel und klemmt den zwischen die Bilder der anderen Kinder an die Wand. So ist bereits eine kleine Galerie von Jenseitsvorstellungen entstanden.
Was kommt nach dem Leben? Mit dieser wohl ältesten Frage der Menschheit, die aller Religion und Metaphysik zugrunde liegt, beschäftigt sich derzeit die Ausstellung "Erzähl mir was vom Tod" in der Parochialkirche in Mitte. Auf spielerische Art und Weise: Die Schau, präsentiert vom Familienzentrum FEZ, richtet sich an Kinder. Jeder Besucher bekommt einen Reisepass, mit dem er durch die Räume zieht, Aufgaben erfüllt - und sich so an das Thema herantastet.
Die Organisatoren glauben, mit der Ausstellung eine Leerstelle zu füllen. "Viele Eltern wissen oft nicht, was sie auf die Fragen ihrer Kinder zum Tod antworten sollen", berichtet Carsten Pohle, Leiter eines Bestattungsunternehmens, das die Schau unterstützt. Das Sterben werde häufig tabuisiert. Die Kuratorin Claudia Lorenz sagt: "Mit der Ausstellung wollen wir den Tod ins Leben zurückholen."
Zum Beispiel das Sterben des Großvaters. Was früher viele Kinder zu Hause miterlebten, ist als Fotoreihe im Zeitraffer zu besichtigen. Anfangs sitzt der Alte am Küchentisch. Dann liegt er im Bett, wird immer hagerer. Seine geschundenen Füße ragen unter der Decke hervor. Am Ende bleibt die leere Hälfte des Ehebetts. Ein Sinnbild des Verlusts.
Dass Leben und Sterben zusammengehören, führen weitere Fotos den Besuchern vor Augen. Porträtbilder zeigen immer dieselbe Person, aber in verschiedenen Lebensabschnitten. Der sanfte Blick des Kindes weicht dem ernsteren des Erwachsenen. Die Zeit zeichnet erst feine Linien in die Gesichter, später werden sie zu Furchen. Die Älteren haben eingefallene Wangen. Man sieht, wie die Menschen aufblühen und verwelken.
Was geschieht dann? Anders als die Kirche gibt die Ausstellung darauf keine Antwort, sondern erzählt verschiedene Geschichten vom Tod. Schöne, wie die vom "Dia de los muertos", einem mexikanischen Feiertag Anfang November. Die Mexikaner glauben, dass die Verstorbenen einmal im Jahr zu Besuch kommen. Sie ziehen dann auf die Friedhöfe, machen Musik und bauen die Lieblingsspeisen und -getränke der Toten auf den Gräbern auf. Die sollen sich nehmen können, was sie brauchen.
Eine tröstliche Vorstellung, die auch den Kindern in der Parochialkirche gefällt. Sie hocken vor einem nachgebauten, mit bunten Früchten und Totenköpfen beladenen mexikanischen Altar auf dem Teppich und lassen sich den Brauch erklären. Einige bekommen Appetit. "Dürfen wir was davon essen?", fragt ein Junge.
Doch der Tod ist nicht nur ein Picknick, sondern häufig auch Quelle der Angst. Die Ausstellungsmacher sparen das nicht ganz aus. In einem kurzen Film berichtet ein Junge vom Dasein in der Hölle. Da gebe es einen Teufel, Lava und ganz viel Blut. "Die Seele wird verbrannt, der Teufel zieht einen Hebel, pumm!" Die Sequenz bleibt unkommentiert stehen, ist aber eingebettet in weitere, versöhnlichere Aussagen. So wird deutlich: Die eine Wahrheit gibt es nicht.
Im ganz in Weiß gehaltenen "Paradiesgarten" liegt das 3.000 Jahre alte Skelett eines Mädchens zusammengekrümmt unter Plexiglas. Die Kinder kauern drum herum. Sie legen sich der Länge nach auf die Scheibe, vergleichen ihre eigene Größe mit der der Toten. Berührungsängste kommen so gar nicht erst auf.
Auch das benachbarte "Reich des Osiris" gefällt vielen gut. Der ägyptische Gott ist der Herrscher der Unterwelt. Vor ihm müssen sich die Toten verantworten, bevor sie ins Jenseits eintreten. Die Kinder schlüpfen immer wieder an der Waage der guten und schlechten Taten vorbei, hinein in einen dunklen Raum. Dort ertönt von oben eine Art göttliche Stimme, mit leicht sächsischem Akzent: "Stopp! Ihr seid mir noch zu jung fürs Jenseits. Lebt erst mal noch ein paar Jahrzehnte. Bis dann!"
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