Kindermuseum in Berlin: Großes für kleine Monster
Das MACHmit! Museum für Kinder in Prenzlauer Berg feiert seinen 30. Geburtstag. Es ist eines der ersten Museen seiner Art.
Uta Rinklebe steht in einem dicken roten Industrierohr, wie man es – wenn auch in blasseren Farben – zur Ableitung des Grundwassers aus Berliner Baustellen in die Spree kennt. Hier, im MACHmit! Museum für Kinder im Stadtteil Prenzlauer Berg, dürfen Kinder durch das aufgesägte Rohr schlüpfen, um sich am anderen Ende inmitten überdimensionierter Stoffheidelbeeren wie Elsa Beskows geschrumpfter „Lasse im Blaubeerland“ zu fühlen. „Eigentlich gehen die meisten Geschichten von Kindern erst los, wenn die Eltern zu Hause bleiben, verschwinden, arbeiten gehen oder sogar sterben“, sagt Museumsleiterin Rinklebe über den Raum mit den Heidelbeeren und den angrenzenden Raum, wo sich alles um den Tod dreht.
„Bücher sind Lebensmittel“ heißt diese Ausstellung im MACHmit! Museum, das am 7. Oktober seinen 30. Geburtstag feiert. Wie immer an diesem großartig lebendigen Ort mit wechselnden Ausstellungen geht es auch bei „Bücher sind Lebensmittel“ nicht einfach nur darum, Kinder an ein Thema „heranzuführen“. Es geht darum, sie interaktiv hineinzuziehen, sie zu berühren, und dass sie sich berühren lassen. Es geht darum, sie zu ermuntern, sich Themen anzueignen – oder dass sie sogar damit anfangen, diese selbst in die Hand zu nehmen und weiterzuentwickeln. Schon lange bevor Prinzipien wie Augenhöhe in aller Munde waren, wurden sie hier täglich in größter Selbstverständlichkeit gelebt.
So handelt die aktuelle Ausstellung von Abenteuer, Grusel, Liebe und Verlust: Die Kinder können ein Reim-Labor besuchen, sich von der Kunst des Tagebuchschreibens anstecken lassen oder Monsterkino spielen: Die meisten der Monster, die Nadia Budde gestaltet hat, eine der bekanntesten Berliner Kinderbuchillustratorinnen und -autorinnen, befassen sich übrigens mit den UN-Kinderrechten, die immer wieder im Museum eine Rolle spielen. Und wer am Ende genug hat von den vielen Büchern, der geht wie immer im MACHmit! Museum zur Entspannung zum berühmten, sieben Meter hohen Kletterregal und weiter an riesige Basteltische mit großen Schubladenschränken voller Materialien, um den Input zu verdauen.
Sie lässt sich viel von Kindern sagen
Das Museum befindet sich in der Eliaskirche in der Senefelder Straße 5, Öffnungszeiten Do. und Fr. 14 bis 18 Uhr, Sa. und So. 10 bis 18 Uhr. Eintritt 7, ermäßigt 3,50 Euro.
Die Party startet am 7. Oktober um 15 Uhr mit einem kleinen Festakt, danach gibt es ein Familienfest mit offenem Ende. Der Eintritt ist frei. Es gibt Bastelangebote, ein Puppenspiel und eine musikalische Lesung. (sm)
Uta Rinklebe, geboren 1967, hat als Kinderkrankenschwester gearbeitet, Europäische Ethnologie und Kulturwissenschaften studiert, bevor sie 2008 zum MACHmit! Museum kam und 2015 dessen Leitung übernahm. Wenn sie durch die aktuelle Ausstellung führt, spürt man sofort, wie sehr sie sich für Kinder und deren Bedürfnisse interessiert – wie viel sie sich auch von ihnen sagen lässt. Sie weist auf eine Ecke hin, in der ein Kind für das Museum Bücher über dunkelhäutige Mädchen zusammengestellt hat, und auf eine andere Ecke, in der Kinder Fotos ihrer Kuscheltiere auf Reisen präsentieren. Frei nach Kinderbuchhelden wie Winnie Puuh, der irgendwann ohne seinen menschlichen Freund Christopher Robin auskommen muss.
Später, im Büro, wird Rinklebe berichten, dass das Museum nicht nur für, sondern auch von und mit Kindern gemacht ist. Seit vielen Jahren arbeitet es mit einem Kinderrat zusammen, mit 12 Kindern der Schulklassen drei bis sechs, der regelmäßig zusammenkommt und das Museum bei der Entwicklung neuer Ausstellungen, zu Schwerpunktthemen und zu Werkstätten berät oder ergänzende Programme mitentscheidet. „Da entstehen viele Ideen“, sagt sie, „aber es kommt auch harte Kritik.“ Vieles, was Erwachsene zum Beispiel als lustig empfinden, komme oft gar nicht an bei Kindern. „Da wurden wir schon ab und zu ganz schön auseinandergenommen“, fügt sie an und grinst.
Das MACHmit! Museum ist eines von fünf Kindermuseen in Berlin. Es war eines der ersten seiner Art, nicht nur in Berlin, sondern auch bundesweit. Gegründet wurde es 1992 in einem Bauwagen. Erst 2003 erfolgte nach Zwischenstationen in einem Bezirksamt, einer Grundschule und einer Ladenwohnung um die Ecke der Umzug in die Eliaskirche, die bis heute von jedem Punkt des Museums erkennbar ist – sei es durch Details wie die Kassettendecke, die Spitzbogenportale, ein altes Glasmosaik.
Die Geschichte ist wichtig
Auch anderswo im Museum wird deutlich, dass Uta Rinklebe die Geschichte des Ortes, an dem sie arbeitet, wichtig ist. Überm Cafébereich befindet sich eine alte Leuchtreklame. Sie stammt von der Kollwitz-Buchhandlung vier Häuser weiter, die 2013 aufgegeben hat. Rinklebe hat die Reklame nicht nur gefunden, sondern auch in einer Glasbläserei renovieren lassen. Das Museum soll fest verwurzelt bleiben im Kiez, findet sie.
Dazu gehört auch, viele politische Projekte zu machen. Derzeit sammeln Kinder zum zweiten Mal bereits Mutgeschichten von Zeitzeugen aus der DDR. „Wir haben den sozialen Wandel in Prenzlauer Berg alle nicht kommen sehen“, gibt Rinklebe zu. „Aber erstens haben wir Besuchende aus ganz Berlin, zweitens sind auch hier nicht alle wohlhabend und drittens sind auch Menschen, die Geld haben, bedürftig, nur halt anders bedürftig“, sagt sie. Die Eltern der Kinder im Kiez arbeiteten oft sehr viel und sehr hart und seien oft sehr erschöpft. Besonders die in Kindermuseen weit verbreiteten Konzepte „Learning by Doing“ und „Hands on“ – also das Ausprobieren und Begreifen durch Greifen – komme gut an bei einer Klientel, die oft viel zu viel Zeit vorm Bildschirm verbringt. „Zu denen passt dieses etwas altmodische Museum ganz gut“, sagt sie.
Es sind andere Probleme als die Veränderung ihrer Klientel, die Uta Rinklebe wirklich Sorgen machen. Denn anders als etwa die Kinderwelt des Jüdischen Museums „Anoha“ kann das Museum als gGmbH mit seinen 12 festen Mitarbeitenden sowie FSJler*innen und Ehrenamtlichen nicht eintrittsfrei werden. Es finanziert sich zu mehr als zwei Dritteln aus Eintrittsgeldern.
Schwitzen und Frieren
Trotz Förderung vom Bezirk Pankow und des Berliner Senats, Projektförderungen und Spenden ist die Finanzierung nicht einfacher geworden. Denn bis 2019 stiegen die Besuchendenzahlen kontinuierlich auf 80.000 jährlich. Dann aber stoppte die Pandemie diesen schönen Trend. Das Museum braucht dringen feste Förderung, sagt sie und macht dabei zum ersten Mal an diesem Nachmittag ein durchaus ernstes Gesicht.
Doch kaum, als sie über die Zukunftspläne spricht, fangen Uta Rinklebes Augen wieder an zu leuchten. Die nächste Ausstellung trägt den Arbeitstitel „Schwitzen und Frieren“, verrät sie. „Die Idee dazu gab es schon lang vor der Energiekrise“, fügt sie an. Schon damals seien ihr Geschichten zuhauf eingefallen, die man da erzählen kann. „Jetzt freuen wir uns erst recht auf die Ausstellung im Sommer.“
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