piwik no script img

Die WahrheitKinder sind unser ganzes Kapital

Im defizitären Berlin dürfen sich jetzt sämtliche Schulformen von großen Firmen sponsern lassen. Nicht nur die Schulsenatorin ist begeistert.

Die neue Heckler&Koch-Grundschule in Berlin Foto: dpa

Platsch! Ein Plastikbecher mit Mineralwasser klatscht an die Fassade der ehemaligen Ossietzky-Grundschule. Es spritzt ein bisschen – bei der Hitze eine willkommene Erfrischung für die Gäste. „… ist es mir eine besondere Ehre, diese Schule auf den Namen Heckler-&-Koch-Grundschule zu taufen“, ruft Katharina Günther-Wünsch, Senatorin für Bildung, Jugend, Familie, Senioren und Restaufgaben, die den Becher geworfen hat. Berlin muss sparen, daher gibt es heute nur Selters statt Sekt.

Seit Juni 2025 dürfen sich Schulen von Firmen sponsern lassen und tragen gegen viel Geld deren Namen. „Diese frisch umbenannt Grundschule ist sozusagen die Speerspitze des Pilotprojekts ‚$chule 2030‘ “, verkündet die Senatorin. „Wir brauchen in der Hauptstadt ein Bildungssystem, das sich selbst trägt und nicht auf staatliche Hilfe angewiesen ist.“

„Die geplanten und zum Teil bereits umgesetzten Einsparungen im Bildungswesen werden nicht reichen“, ergänzt Kai Wegner, der das Mikrofon zu sich herangezogen hat. Er ist der Lebensgefährte von Günther-Wünsch und nebenbei auch noch Regierender Bürgermeister. Die beiden haben sich bei der Arbeit kennen und lieben gelernt, Kollegen sprechen vom süßesten Paar seit Erich und Margot Honecker.

Katharina Günther-Wünsch nimmt das Mikro wieder. „Kinder sind unsere Zukunft – das ist ein schöner Poesiealbumspruch. Aber seien wir ehrlich: Kinder sind vor allem ihre eigene Zukunft. Und da müssen sie natürlich lernen, für sich selbst und ihre Bedürfnisse zu sorgen. Kurz: Geld verdienen.“

Backen vor dem Unterricht

Neben dem eigentlichen Unterricht übernimmt daher jede Klasse Aufgaben wie in einem richtigen wirtschaftlichen Betrieb. Die 1b zum Beispiel hat ein kleines Café mit 40 Plätzen eröffnet, als Filiale einer beliebten Caféhauskette. Die heißen Getränke werden von den Lehrkräften zubereitet, doch auch Eltern werden zu ehrenamtlicher Hilfe herangezogen. Bedient werden die Gäste von den Kindern. Die backen auch begeistert die Kuchen und Törtchen morgens vor dem Unterricht ab drei Uhr. Denn so ist es Brauch.

„Das Backen macht den Kleinen großen Spaß“, sagt die neu eingesetzte Schulleiterin und gelernte Betriebswirtin Uta Merkenbach. „Und uns helfen die Einnahmen des Cafébetriebs, seit die Landesregierung uns die Zuschüsse gestrichen hat.“

„Gestrichen ist so ein böses Wort“, mischt sich Kai Wegner ein. „Natürlich werden alle staatlichen Schulen finanziell unterstützt … das geht ja auch gar nicht anders, bis das Gesetz in zwei Monaten geändert wird. Aber die Stadt hat nun mal kein Geld, und da beträgt der Zuschuss im Moment null Euro, da bekommen die Bildungseinrichtungen monatlich einen Beleg drüber. Und das eigentliche Kapital der Stadt ist ja nicht das Geld – sondern das sind die Menschen.“ Mit leuchtenden Augen ergänzt Katharina Günther-Wünsch: „Die Kinder sind unser Kapital.“

Der Cafébetrieb an der Heckler-&-Koch-Grundschule ist natürlich nur ein Anfang. Wer für Mama und Papa Kerzenhalter aus Holz anmalen kann, kann die auch in großer Stückzahl herstellen, um sie an Ikea zu liefern. Wieso Legosteine sortieren, wenn kleine Schrauben oder Nägel der Größe und Länge nach sortiert werden müssen und dann zurück an den nächsten Baumarkt gehen. Höhere Klassen, gerade in den Integrierten Sekundarschulen (ISS), müssen kleine technische Geräte zusammenbauen – wer weiß, wie lange Handys noch in China hergestellt werden können. Tütenkleben im Knast war gestern, das ist heute etwas für den Werkunterricht. Diese Beispiele und noch viel mehr stammen aus einer langen Günther-Wünsch-Liste.

Gewinne für die Landeskasse

Schulhöfe können demnach jetzt nachmittags als Parkplätze vermietet werden. Die Einnahmen kommen den Schulen zugute. Zumindest indirekt, denn eine landeseigene GmbH kümmert sich um die Gewinne. Die Gelder fließen in die Landeskasse und werden dann neu verteilt. „Nicht, dass das Geld unkontrolliert in den Schulen für notwendige Renovierungen oder Reparaturarbeiten versickert“, scherzt Kai Wegner.

Die Schulleiterin der Heckler-&-Koch-Grundschule winkt jetzt eine Gruppe übermüdeter Erstklässler heran, die kleine Törtchen mit dem neuen Logo der Schule an die Festgäste verteilen. Das Projekt „$chule2030“ ist ein toller Erfolg für die Senatorin. Ein Erfolg, den sie nach den Drogen- und Mobbing-Vorfällen an der Moabiter Carl-Bolle-Grundschule dringend brauchen kann.

„Schönes Beispiel“, sagt Katharina Günther-Wünsch zum Abschluss. „Wussten Sie, dass Carl Bolle lange vor Lieferando den ersten Lebensmittellieferservice in Deutschland erfunden hat? – Aber ich muss jetzt los.“ Drei weitere Schule bekommen heute in der Hauptstadt noch neue Namen: Die Ikea-Grundschule, die ISS-Bertelsmann und das Aldi-Gymnasium. Wieder ein paar Millionen Euro mehr für Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!