Kinder im Gazastreifen: Drachen steigen lassen im Krieg
Als Kind liebte ich es, Drachen steigen zu lassen. Die Kinder in Gaza heute machen das noch immer – als ließen die Drachen ihre Ängste verfliegen.
I ch erinnere mich noch gut daran, wie ich als Kind auf dem Dach stand und meinen Drachen steigen ließ. Meine Mutter sagte mir dann immer, ich solle nicht auf das Dach gehen, weil die Sonne zu heiß sei.
Ich dachte an diese Zeit zurück, als ich vor einigen Tagen durch den Hof des Krankenhauses ging und Kinder sah, die in der Mittagshitze zusammenstanden und gemeinsam ihre Drachen steigen ließen. Die Kinder hier im Gazastreifen wissen nicht, wie sie ihre Zeit verbringen sollen, seitdem ihr Leben durch die Aggression gestört wurde. Die Schulen sind geschlossen, die Erholungsgebiete auch, und alles, was nach Leben ruft, hat sich in Krankenhäuser und Schutzräume verwandelt.
Als Jugendlicher wartete ich zu Beginn der Sommerferien immer sehnsüchtig auf das UNRWA-Sommerspielelager und hatte das Gefühl, dass eine große Last von meiner Seele abgefallen war. Ich hasste die Schule, weil ich die Lehrmethoden nicht mochte. Der Unterricht und die Menge an Informationen, die auswendig gelernt werden sollten, gaben mir das Gefühl, zu ersticken.
Wenn der Sommer kam, liefen mein Bruder, meine Schwester und ich jeden Morgen zur nächstgelegenen UNRWA-Schule, um zu spielen und an verschiedenen Aktivitäten teilzunehmen. Als das Lager vorbei war und ein langer Urlaub bevorstand, versammelten meine Geschwister und ich uns im Wohnzimmer, um Drachen zu basteln.
Ich schnitt Palmwedel vom Baum meines Großvaters im Garten ab und band Schnüre um die vorbereiteten Holzstöcke, während mein jüngerer Bruder Nylon sammelte. Gemeinsam bastelten wir dann den Schwanz des Drachens und warteten auf den Nachmittag, um unseren Drachen endlich steigen zu lassen und ihn am Himmel zu bewundern. Sobald wir mit dem Drachen fertig waren, stürmten wir auf das Dach, wo uns die Sonne die Hände verbrannte.
Doch heute ist unser Dach von der Besatzungsmacht eingenommen worden. Und doch lassen die Kinder hier ihre Drachen auch heute noch steigen. Ein Junge hält den Drachen in einiger Entfernung, während ein anderes Kind losrennt, um den Drachen mit dem Wind fliegen zu lassen, immer höher und höher. Es scheint, als hätten sie das Gefühl, etwas im Himmel zu besitzen. Als ließe der Drachen ihre Ängste weit weg fliegen, in dieser kurzen Pause von allem, was um sie herum passiert. Übersetzung: Judith Poppe
Esam Hani Hajjaj (27) kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch floh er in den südlichen Gazastreifen nach al-Fuchari.
In der Reihe „Gaza-Tagebuch“ berichten unsere Autor*innen von ihrem Leben im Gazastreifen. Alle Beiträge der Reihe finden Sie hier.
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