Kinder als Hoffnungsträger: Nur hier, um erinnert zu werden?
Sind Kinder Kerkerkugeln an den Beinen der Eltern? Lohnen sie den Aufwand? Kinder sind vor allem eines: Wesen, die die lange Reise des Lebens noch vor sich haben.
Neulich mal wieder im Kino gewesen. Seit ich Vater bin, seit sechs Jahren, war ich nicht mehr im Kino. Filme langweilen mich eigentlich. Diesmal aber drängte die Frau, daheim hütete unsere syrische Babysitterin die Kinder. Also Kino. Der Film hieß „Interstellar“ und häufte gefühlte drei Stunden lang Unsinn auf Unsinn.
Ein alleinerziehender Vater steigt in eine Rakete, fällt in ein schwarzes Loch und rettet die Menschheit. Gähn. Auf einmal jedoch sagte der Hauptdarsteller einen elektrisierenden, weil illusionslosen Satz: „Now we’re just here to be memories for our kids“.
Sind wir Eltern nur noch hier, um Erinnerungen für unsere Kinder zu sein? In dieser Zeitung gab es mal einen Kolumnisten, der über seine Kinder schrieb. Nette Schmunzelstücke waren das, die wir kinderlosen Redakteure, als klebe angetrockneter Babybrei zwischen den Zeilen, nur mit spitzen Fingern redigierten. Eine Kollegin, früh Mutter geworden, konnte unsere Abscheu nicht teilen. Sie sagte: „Zwischen Leuten mit Kindern und Leuten ohne Kinder verläuft eine Grenze. Sie kann nicht überschritten werden.“ Außer eben, man überschreitet sie. Dann kann man nicht mehr zurück.
Wer keine Kinder hat und sich auch keine wünscht, dem erscheint allein der Gedanke an eigenen Nachwuchs völlig zurecht als lähmende Kerkerkugel. Wer dagegen die Grenze einmal überschreitet, der blickt völlig zu recht auf sein kinderloses Leben zurück wie auf einen rauschhaften, tendenziell sinnlosen Tanz im Kreis.
Die taz erscheint an Weihnachten als Sonderausgabe mit Geschichten, Interviews und Gedanken zum Thema Hoffnung. Am 24. Dezember am Kiosk oder direkt im eKiosk.
Unser Dasein bleibt bis zuletzt Projekt
Fortpflanzung und das freiwillige Einlassen auf eine dauerhafte Fürsorgebeziehung sind der Tribut, den unsere Gattung von uns fordert. Indem wir ihn entrichten, willigen wir in das Programm aller höheren Säugetiere ein – und flutende Hormone belohnen uns mit glühendem Glück.
Unser Dasein bleibt bis zuletzt Projekt, also Wille und Vorstellung, auch wenn es seinen biologischen Sinn bereits erfüllt hat. Diese Tatsache allerdings ist für den Einzelnen ein Abgrund, in den jeder Blick sich verbietet. Neugeborene wissen das noch nicht, ihr Brüllen ist existenzielles Entsetzen. Wir aber schauen angestrengt in die entgegengesetzte Richtung. Erwehren uns weiter unverdrossen der Arschlöcher, schreiben Bestseller, reiten Steckenpferdchen, machen Geschäfte und kassieren Boni, gehen Joggen und zum Arzt, damit er die Muttermale untersucht, buchen Reisen, unterstützen die jeweils „gute Sache“, gewöhnen uns das Rauchen ab und horten edle Weine, lernen kochen und lassen uns die Sache mit dem Bausparvertrag erklären. Was kostet ein Wohnmobil? Was ein Platz im Heim?
So schrumpft mit jeder Entscheidung die Fülle der Möglichkeiten. Führt uns diese Hoffnung am Ende an der Nase herum?
Aber da kommt uns auch schon mit flatternden Talaren die Kirche entgegen! Sie hat nur auf uns gewartet. Jetzt baut sie sich vor uns auf, riecht nach Weihrauch und deutet auf die berühmte Stelle im Paulusbrief: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.“
Das Christentum kreist um ein Kind
Nicht zufällig kreist das komplette Christentum in seinem Kern um ein Kind, an das wir glauben, das wir lieben und auf das wir hoffen sollen. Das Angebot ist dubios. Es besteht, bei Licht betrachtet, in einem Aufschub, bei dem wir nicht den Verstand verlieren. Gerade so, wie wir unseren Kindern den Rucksack umschnallen, gefüllt mit der erdrückenden Hypothek unserer Hoffnungen, und es auf jene aussichtslose Reise schicken, die wir schon hinter uns haben, besser: auf der wir uns lange schon befinden.
Aussichtslos, weil Pandora schon ihre Büchse geöffnet, Unheil und Krankheit und Tod in die Welt entlassen hat. Als auch die Hoffnung entwich, wurde alles noch schlimmer: „Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: Sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.“
Der das schrieb, ein zerquälter Mensch, umarmte am Ende weinend Pferde.
„Ich lebe, ich weiß nicht, wie lang. Ich sterbe, ich weiß nicht, wann. Ich fahre, ich weiß nicht, wohin. Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.“ Ein fröhlicher Mensch, der dies schrieb, er wurde später auf der Straße von einem herabstürzenden Ast erschlagen. Hoffnung aber ist immer noch da. Ein lästiger Imperativ, wie die Karotte vor der Nase des Esels. Ein unsichtbarer élan vital, der manchmal in beiläufigen Redewendungen wie „Muss ja!“ oder „Wird schon!“ kenntlich wird.
In letzter Linie hoffen wir nichts anderes als das Kind, das in tiefster Nacht aus seinen illuminierten Albträumen hochfährt in die abgründige Dunkelheit des Zimmers. Wir hoffen auf eine weiche, weiße Lüge und darauf, dass sie eines Tages wahr werden könnte. Wir hoffen, dass plötzlich das Licht angeht und jemand flüstert: „Alles, alles, alles wird gut.“
Jemand, der es wert ist, dass wir uns an ihn erinnern.
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