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„Kind mit Spielzeug“

■ Absolute Giganten eröffnet das Filmfest: Regisseur Sebastian Schipper über Kinoträume, X-Filme und die John Woo-Ecke

Noch fünf Tage bis zum Start des Filmfest Hamburg: Der Countdown läuft, mit ihm der Vorverkauf, Programme liegen überall aus – allein: die Qual der Wahl kann dem Publikum niemand abnehmen. Und eine Technik gibt es erst recht nicht:

Zu umfangreich ist das Programm dann doch, um tatsächlich einen Überblick zu bewahren – mit der Chance auf Überraschungen, die eben die Festivaleuphorie vom normalen Kinoalltag unterscheidet. Abgesehen von den größeren Namen der vier „Farb-reihen“ – und neben einem Kurzfilmprogramm der Filmwerkstatt Hamburg, Abschlussfilmen der Filmakademie Ludwigsburg und den „TV movies made in Hamburg“ – verspricht gerade das neue „tesafilm festival“ interessant zu werden, in dem internationale Debüts zu sehen sind, die noch keine offiziellen Starttermine haben.

Uneingeschränkt empfehlen wir deshalb z.B. Hélène Angels Locarno-Gewinner Skin of Man, Heart of Beast in der härteren, neorealistisch-französischen Tradition von La haine oder I Stand Alone, das israelische Episodendrama Yana's Friends oder den kargen, indessen ungeheuer visuell-inszenierten Ratcatcher der britischen Regisseurin Lynne Ramsay. Unter den deutschen Produktionen fällt die Auswahl hingegen leichter. Da ist es vor allem Absolute Giganten, von dem sich endlich wieder lohnt, vom Kino zu sprechen und nicht nur von Zeitzeugnissen.

Absolute Giganten, der am kommenden Montag das Filmfest Hamburg eröffnen wird, ist nicht nur der Debütfilm des Schauspielers Sebastian Schipper, sondern auch der erste Film von Tom Tykwers, Wolfgang Beckers und Dani Levys Produktionsfirma X-Filme, der nicht von einem Mit-Gesellschafter inszeniert wurde. Über die Hintergründe und seine Regie-Ideen berichtet Sebastian Schipper im Gespräch mit Malte Hagener.

Wie kam die Zusammenarbeit mit X-Filme zustande?

Ich habe bei Winterschläfer eine kleine Rolle gespielt und mich mit Marie-Lou Selem angefreundet, der ich erzählt habe, dass ich einen Kurzfilm gemacht habe und meinen zweiten plane. Mit der Straightheit einer Frau hat sie mir gesgt, „geh doch zu Tykwer“, aber ich hab mich geziert. Da hat sie Tykwer zur Seite genommen und gesagt, „der Schipper will auch, traut sich aber nicht so richtig“. Tywker hat mich dann angesprochen und den entscheidenden Satz gesagt: „Schreib ein gutes Buch, dann wird ein Film daraus.“ Er hat auch gesagt, X-Filme würde den Film auf keinen Fall machen, da solle ich mir keine Hoffnungen machen.

Und dann hat X-Filme ihn doch gemacht.

Ich habe die erst Fassung in zehn Tagen geschrieben, weil ich die Story schon lange mit mir herumgetragen habe. Am Neujahrstag 1997 war Tywker auf meinen Anrufbeantworter und hat gesagt: „OK, vielleicht machen wir doch was.“ Die eigentliche Arbeit war dann super. Ich bin selten Leuten begegnet, die so viel können, und du machst es das erste Mal. Es ging immer nur um das Gespräch und die besseren Argumente.

Du hast mit Frank Griebe als Kameramann gedreht, der alle Tykwer-Filme und „Zugvögel“ gedreht hat. Die von ihm fotografierten Filme sind visuell sehr stark und genau durchgeplant, aber je nach Story so unterschiedlich, dass man nicht von einem Griebe-Look sprechen kann.

Frank hat nie eine Haltung, das mache ich immer so. Er hört erst sehr viel zu, man kann mit ihm eine neue Vision, einen Kino-Traum entwickeln. Aber er ist nicht nur in der Lage, sich zu einer gemeinsamen Vision hinreißen zu lassen, er ist auch in der Lage, das umzusetzen. Erst am Schneidetisch merkt man, wie dicht die Atmosphäre ist. Es ging darum, die Geschichte mit den Schauspielern zu erzählen, denen wir viel Raum geben mussten. Unsere Spezialeffekte sind in erster Linie die Schauspieler. Daneben ist es natürlich auch Kino, ich liebe die ganz großen Bilder. Klar, der Film ist ein Film über die ganz große Sehnsucht – da müssen auch ganz große Bilder drin sein. Und Action liebe ich auch. Unsere kleine John Woo-Ecke ist eben die Kicker-Szene.

Das Team von X-Filme wechselt sich in den Funktionen ab, man schreibt gemeinsam und produziert so gegenseitig. Einerseits behält die Firma dadurch die völlige Kontrolle, andererseits werden künstlerische Amokläufe eines einzelnen Autorenfilmers vermieden.

Filmemachen ist Team, geht nicht ohne Team. Ich kann noch so ein toller Visionär sein und noch so viele Sehnsüchte in mir haben, wenn ich nicht Schauspieler und eine Produktion habe, die das verstehen und tragen, weil der Regisseur nur danebensteht und quatscht. Manchmal kam ich mir vor wie ein Kind mit einer Spielzeugallergie. Ich habe ein Riesenzimmer voller Spielsachen, aber darf nichts anfassen. Und dann gab es immer große Auseinandersetzungen, weil ich den Granada mit dem V8 umparken wollte. Das war ein großes Drama: „Nein! Der darf nur von der Ausstattung gefahren werden.“ Bei der Regie geht es um Reden und Zuhören und darum, Leute zu begeistern, wovon man selber begeistert ist.

Und wovon ist Sebastian Schepper begeistert?

Es gibt Momente, die man im Kino erlebt, die man nie wieder vergisst und die fast wie eine Lebenserfahrung sind. Mir geht es um die Liebe zu diesen unvergesslichen Momenten – wenn man die Zeit vergisst, sich halbtot lacht oder das Thema Menschen in seiner Brüchigkeit oder Absurdität unglaublich berauschend dargestellt wird. Und so entsteht dann eine Geschichte von drei Freunden, die ihre letzte Nacht verbringen – zwischen der Melancholie, dass morgen alles vorbei ist, der Euphorie, dass es das letzte Mal, ist und der Blödelei, die auf einmal anhält und verstummt. Ich habe den Film gemacht aus der Sehnsucht nach solchen Momenten.

Mo, 27. 9., 19 Uhr, Cinemaxx1

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