Kiewer Akademie exmatrikuliert Künstler: Soldaten in Phallusform
Ein Student hatte eine Phallus-Parade aus Gipssoldaten aufgestellt. Pazifistisch sollte diese sein – der Direktor des Instituts findet sie „unmoralisch“.
Mit der Exmatrikulation hat der Konflikt zwischen dem Künstler und der Kiewer Kunstakademie einen neuen Höhepunkt erreicht. Studierende, Dozenten und Besucher staunten nicht schlecht, als sie am 19. Januar den Korridor der Kiewer Kunstakademie betraten. Einige Dutzend weiße Gipsfiguren standen aufgestellt in Reih und Glied zu einer Miniatur-Militärparade. Das Besondere: Sowohl die Soldaten als auch die Raketen auf den Lastwagen hatten alle die Form eines Phallus.
Lange stand die „Phallus-Parade“ nicht. Auch Wladimir Chartschenko, Dozent für graphisches Design, war auf die Ausstellung gestoßen. Und ihm gefiel gar nicht, was er vorfand. Kurzerhand zerstörte er das Kunstwerk, beschimpfte den Künstler, drohte ihm mit einer Einberufung zum Militär. Was er hier sehe, so erboste sich Chartschenko, sei eine Verunglimpung der ukrainischen Armee.
Er selbst sei neun Monate an der Front gewesen. Er werde alles tun, dass Spartak Chatschanow aus der Akademie entlassen werde. Chatschanow sei kein Student, sondern ein Feind. Und der Rektor der Kunstakademie, Andrij Chebykin, hatte sofort den Inlandsgeheimdienst SBU von dem „unmoralischen Vorfall“ an seiner Akademie berichtet.
Gegen jeden Krieg
Bildhauer Spartak Chatschanow kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Er sehe sein Kunstwerk als antimilitaristisch. Er sei gegen alle Kriege. Und er habe nur zeigen wollen, dass Phallussymbole beim Militär und vor allem bei Militärparaden eine prägende Rolle spielen, überall auf der Welt. Mit seinem Werk habe er gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft ein Zeichen setzen wollen.
Auch den Vorwurf, er sei prorussisch, so der Künstler, lasse er nicht gelten. Er habe sich an dem Maidan beteiligt, habe Unterstützerbriefe für den in Russland inhaftierten ukrainischen Regisseur Oleg Senzow geschrieben. Er wisse, was Krieg sei, komme selber aus dem Donbass. Sein Elternhaus sei bereits in den ersten Kriegstagen durch Raketenbeschuss schwer beschädigt worden.
Spartak Chatschanow hat durch seine Gipsfiguren nicht nur seinen Studienplatz verloren. Er hat Angst. Seit Bekanntwerden des Vorfalls erhält er Morddrohungen. Zehn Rechtsradikale der Gruppe „C14“ hatten die Akademie aufgesucht, „um mit mir spazieren zu gehen“. Nur durch ein beherztes Eingreifen von Elektrikern war ihm eine Flucht vor den Rechtsradikalen mit einem Taxi geglückt.
Doch Chatschanow hat auch Unterstützer. In einer Aktion trugen seine Kommilitionen einen Kranz mit schwarzen Schleifen und der Aufschrift „Kunst“ im Innenhof der Kunstakademie die Freiheit der Künste symbolisch zu Grabe. Direkt neben dem Kranz stand eine Flasche Wodka mit einer Scheibe Brot auf dem Flaschenhals – traditionell das Gedeck bei ukrainischen Beerdigungen für den Toten.
Nur pazifistisch
Spartak sei weder antiukrainisch noch unmoralisch, empört sich ein Mitstudent. Er sei einfach nur pazifistisch. Er könne sich jedenfalls noch gut an die Zeit erinnern, als Dozenten in Charkiw ihre Schüler zu Antimaidan-Demonstrationen aufgerufen hatten. Und damals hätte Spartak spontan die ukrainische Fahne hoch gehalten.
Unterdessen machte der ukrainische Sender STB eine „schreckliche“ Entdeckung. Bei einem Rundgang durch das Gelände der Kunstakademie entdeckte eine Reporterin des Senders zahlreiche Statuen halbnackter Frauen und splitternackter Männer. Der moralische Niedergang der Kiewer Kunstakademie scheint unaufhaltsam voran zu schreiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?