Kiew beschliesst Bodenreform: Schlupflöcher für Nichtukrainer
Das Parlament hat das Verbot des Verkaufs von Agrarflächen aufgehoben. Kritiker fürchten eine Konzentration von Land in den Händen weniger.
Bei der Abstimmung waren die „Diener des Volkes“, die mit 251 Abgeordneten von insgesamt 450 Sitzen eigentlich über eine bequeme Mehrheit verfügen, auf die Stimmen der Poroschenko-Partei „Europäische Solidarität“ und der patriotischen „Golos“ angewiesen.
Zuvor hatte Kristalina Georgiewa, Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, erklärt, die Verabschiedung der Landreform sei eine Voraussetzung für neue Kredite an die Ukraine.
Mit dem Ende der Sowjetunion hatten alle Republiken der früheren UdSSR große Teile des Staatseigentums verkauft. Ausgenommen von diesen Verkäufen waren in der Ukraine Privatwohnungen und landwirtschaftliche Nutzflächen. Wer auf landwirtschaftlichen Nutzflächen arbeitete, erhielt damals einen Teil des Bodens geschenkt. Per Gesetz hat außerdem jeder Bürger der Ukraine Anrecht auf 2,28 Hektar Boden.
Leichtes Spiel für die Agroindustrie und Strohmänner
Es geht um viel: von 42,7 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche, so der ukrainische Dienst von BBC, sind 31,1 Millionen in privaten Händen, also etwa drei Viertel. In Kraft treten wird die Bodenreform erst am 1. Juli 2021. Und dann dürfen nur Ukrainer Land erwerben, maximal 100 Hektar pro Person.
Ukrainische Firmen kommen erst 2024 zum Zug, dürfen dann bis zu 10.000 Hektar erwerben. Das Gesetz sieht zudem ein Vorkaufsrecht für die derzeitigen Pächter vor. Dies bedeutet, dass 2024 Agroholdings das Land, das sie pachten, zu einem Preis kaufen dürfen, den staatliche Schätzer und nicht die Besitzer festlegen.
Kritiker befürchten, dass sich das Kaufverbot für Ausländer leicht umgehen läßt. Es sei nicht schwer für agroindustrielle Betriebe, einheimische Strohmänner zu finden, sagte der Gewerkschaftsaktivist Wolodimir Chemeris zur taz.
Auch Tageszeitung „Vesti“ sieht in der Bestimmung, dass ukrainische Bodenbesitzer auch bei ausländischen Banken eine Hypothek auf ihr Land aufnehmen können, ein Schlupfloch für Nichtukrainer. Denn wenn diese Bodenbesitzer eines Tages zahlungsunfähig seien, gehe das Land in den Besitz dieser Banken über, so die „Vesti“.
„Das Land und der Himmel gehören allen“
Die Kritiker befürchten eine Konzentration von Land in den Händen weniger. In der Folge werde die Landflucht zunehmen, die Landbevölkerung weiter verarmen. 2024 würden dann, so die Befürchtung, Oligarchen viel Land aufkaufen und anschließend die Produktion den Exportvorschriften in die EU anpassen. Bei einer Steigerung des Exportes werden jedoch die Lebensmittelpreise in der Ukraine selbst steigen.
„Das Land und der Himmel gehören allen“ zitiert Wolodimir Chemeris eine Weisheit der Indianer. Den Indianern hätte man das Recht gegeben, ihr Eigentum zu verkaufen. Und sie leben nun in Reservaten auf ihrem eigenen Land, so Chemeris.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen