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Kieler ZarendenkmalHeimaterde für die Völkerfreundschaft

Ein Verein will dem aus Kiel stammenden Zaren Peter III. die Absolution erteilen. Als verkappte Monarchisten sehen sich sich nicht, eher als Botschafter der deutsch-russischen Aussöhnung.

Dekonstruierter Monarch: Entwurf der Zarendenkmals am Kieler Schloss. : dpa

KIEL taz | Sie kommen zu fünft, um ihn zu befreien vom Gewicht der Geschichtsschreibung. Draußen spült die Ostsee in die Kieler Förde und drinnen, im Foyer des Vier-Sterne-Hotels, faltet Bernhard Mager am Tischende seine Hände über den Bauch. Am Revers seines Jacketts trägt der weißhaarige Landesbeamte a. D. eine Flaggennadel, wie es bei Staatsoberhäuptern en vogue ist. Seine ist doppelt: Deutschland-Russland. Als der Vorsitzende, Geschichtslehrer Jörg Ulrich Stange (58), die Gründungsmitglieder des Vereins aufzählt, übergeht er Mager. „Ergänzend war ich dabei“, beeilt sich dieser zu sagen. „Bei den Vorgesprächen“, erwidert Stange unbeirrt.

In diesem Verein ist die Mitgliedschaft persönlich. Und so muss sich der stellvertretende Vorsitzende an das Ohr des konsternierten Ruheständlers lehnen, um beschwichtigende Worte hineinzuflüstern. Der zweite Mann hinter Stange ist Feinmechaniker. Er trägt ein Polohemd, lacht viel und sagt, er sei der einzige Proletarier in einem Vorstand voller Akademiker. Außerdem am Tisch des in der Nähe des Schlossgartens gelegenen Hotels: eine ehemalige Kieler Staatssekretärin sowie ein „Wolfskind“ aus Königsberg und Slawistik-Experte.

Das ist die bunte Delegation des 2008 gegründeten Kieler Zarenvereins. Ihr Ziel: Gerechtigkeit. Sie wollen das geschmähte Ansehen Peter III. per Bronze-Statue ins objektive Licht rücken.

Carl Peter Ulrich von Schleswig-Holstein-Gottorf: 1728 in Kiel geborenen, lenkte er als Zar Peter III. 1762 für kurze sechs Monate Russland. Bis er unter einem mysteriösen Umstand aus dem Leben schied, von dem es heißt, seine ehrgeizige Ehefrau, die spätere Zarin Katharina II., sei Quell dieses Umstandes. Katharina II. übernahm auch die Geschichtsschreibung, auf ihren Memoiren beruht noch heute das Bild ihres Ehemanns: Sie zeichnete ihn als infantilen Trunkenbold und machte ihn zur geschichtlichen Witzfigur. Einer, der auf dem Thron nichts auf die Reihe bekam.

Und genau das ist das Problem, sagt Stange. Denn Peter III. sei tatsächlich ein Reformer gewesen. Er verbot Folter, führte eine Luxussteuer für Adelige ein, verkündete Glaubensfreiheit und verbot das Grundbesitzmonopol für Aristokraten. Ein „aufgeklärter Geist, inspiriert von den Ideen der Aufklärung“, so der Vorsitzende. Eigenhändig beendete Peter sogar den siebenjährigen Krieg, ergänzt Mager, sein nachdrückliches Nicken scheint für Peter Respekt einfordern zu wollen.

Weil aber Respekt im 21. Jahrhundert schwer beizukommen ist für einen Toten und „kaum bekannten“ Mann aus dem 18. Jahrhundert, hat der Zarenverein jetzt ein Denkmal von Peter bauen lassen. Es ist 400 Kilo schwer und kostet 100.000 Euro. Angefertigt vom russischen Bildhauer Alexander Taratynov. Im Juni soll es im Kieler Schlossgarten feierlich eingeweiht werden, gebettet auf einem Sockel aus Granit, den Blick über die Ostsee nach St. Petersburg gerichtet.

Es ist nicht die erste öffentlichkeitswirksame Festivität des Vereins. Der Vorstand reiste nach St. Petersburg, wo bereits ein Pendant der Statue thront. Vor Ort überreichten sie der russischen Empfangsdelegation frischen schwarzen Boden, ausgegraben aus Carl Peter Ulrichs Kinderspielplatz, dem Kieler Schlossgarten. Die Aktion wurde „zur besten Uhrzeit in der russischen Tagesschau“ übertragen, schwärmen die Mitglieder. Eine Person verließ daraufhin den Zarenverein. Der Akt war ihr zu symbolschwanger.

Die Furcht, als revisionistische Monarchisten abgestempelt zu werden, ist greifbar bei unserem Treffen. Stange verspricht vehement: „Wenn wir Royalisten wären, will ich nicht in diesem Vorstand sein!“ Doch die Fragen muss ausgehalten werden: Würde man ohne Verehrungskult ein Denkmal für einen König herstellen lassen? Eine wissenschaftliche Aufarbeitung in Buchform würde ebenso der historischen Gerechtigkeit dienen und wäre dazu günstiger als eine halbe Tonne Bronze.

Die Antwort führt Stange weg von Peter. Im 20. Jahrhundert, sagt er, sei viel Unglück passiert zwischen Russland und Deutschland. „Die beiden großen Völker in Europa haben einfach sehr viel aufzuarbeiten.“ Mager möchte „etwas anfügen“: Als Kind habe er im ausgebombten Berlin Unkraut vertilgt – bis im Mai 1945 die Russen kamen. Dann hieß es: „Auf die Panzer rauf, Wurst durchgeschnitten, das Brot mit dem Bajonett durchgehackt, weil es so weich war.“

Mit russischen Soldaten werde bis heute nur eines in Verbindung gebracht, sagt Mager: Vergewaltigung. Die Gräueltaten streitet der 74-jährige weder ab noch redet er sie klein, aber, und das möchte er betont wissen, „nach dem Waffenstillstand habe ich die Rote Armee so kennengelernt“: Er ballt die Hand und hebt den Daumen von der Faust. „Su-per! Freundlich, hilfsbereit, nett.“ „Was geschrieben steht ist eine Sache, aber es gibt eben auch die andere Seite“, sagt Mager und meint: die persönliche, menschliche Seite.

Feinmechaniker Studt ist mit ihm d’accord. „Es hat mich einfach genervt, wie meine Umgebung immer nur nach Amerika geschaut hat und von Ford und Burger King träumte“, sagt der 41-Jährige. Als Schüler ging er Anfang der 90er-Jahre nach Weißrussland. Die Menschen seien herzlich gewesen, ganz lieb und herzlich. Und obwohl Minsk Brachland war, Burger-Brachland sowieso, und „die Soljanka gut schmeckte“, weigerte sich seine soziale Umgebung zu Hause umzudenken. Sie sah Osteuropa weiterhin negativ. Aber die Menschen dort seien nicht negativ, versichert Studt. Man müsse einfach in Kontakt mit ihnen treten. Er ist überzeugt, der Verein ist dafür geeignet.

Geht es dem Zarenverein also primär gar nicht um die Personalie Peter III.? Stange sagt, dass er eher zufällig auf ihn stieß, durch das Buch einer deutsch-russischen Journalistin, die versuchte, gängige Vorurteile über den Zaren aus Kiel abzubauen. Der Kalte Krieg sei seit über zwanzig Jahren vorüber, gibt Stange zu bedenken. Und doch sei der Geist einer unbarmherzigen Propaganda geblieben; die Dämonisierung alles Östlichen spuke noch heute in den Köpfen der Menschen.

Der Zarenverein will diesen Geist vertreiben. Peter ist dazu das passende Gesicht, die Galionsfigur ihrer gemeinsamen Anstrengungen. Die deutsch-russische Aussöhnung voranzubringen, „die politisch nicht immer so begleitet wird, wie man es gerne hätte“, das ist das Ziel des Vereins. Nicht das Denkmal als solches, bei dem es darum gehe, für die jüngere Generation ein Symbol zu haben, erklärt Geschäftsführer Wolfgang Toerner. Der 1938 in Königsberg geborene Experte für Slawistik wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg als heimatloses „Wolfskind“ in Litauen auf, bevor er Anfang der 60er-Jahre nach Deutschland ausreisen durfte.

Niemand wolle hier eine „stinkende Leiche wieder zum Leben erwecken“, sagt Toerner, und Stange versichert: „Wir haben uns das sehr genau überlegt.“ Schließlich will man sich nicht lächerlich machen und pflegt deshalb einen streng wissenschaftlichen Austausch mit den Museen und Schlössern in St. Petersburg. Alles in der vom Verein erarbeiteten Wanderausstellung „250 Jahre Zar Peter III. von Russland“ basiere auf Archivrecherche, unter anderem persönlich durch Mager. Das Eremitage in St. Petersburg, eines der bedeutendsten Kunstmuseen der Welt, habe dem Verein dazu exklusives Bildmaterial zur Verfügung gestellt. Die Exposition sei „ein lehrreiches Stück europäischer Geschichte“, meinte das schleswig-holsteinische Ministerium für Justiz, Kultur und Europa. Es übernahm die Schirmherrschaft und bedankte sich beim Verein für das „große Engagement“.

Und das dramatische Überbringen von Erde aus Peters Sandkasten? Die Russen mögen solche Symbolik, sagt Stange. Man respektiere dies. Niemand im Verein sei ein verkappter Monarchist. Das Denkmal Peters nehme deshalb auch keine royale Pose ein. Er sei in Lebensgröße, sitze nicht, sondern stehe tatsächlich neben einem leerem Thron. Statt eines Zepters in seiner Hand habe man sich für eine Dokumentenrolle entschieden. Darauf geschrieben steht in russischer und deutscher Schrift „Frieden“.

Regierende kämen und gingen, die Völker aber müssten die Zukunft meistern, meint Stange. Er habe durch die Arbeit des Vereins gemerkt, dass ein starkes Bedürfnis nach guter Verständigung zwischen Deutschen und Russen bestehe.

„Denkmal“, sagte einmal der österreichische Kabarettist Fritz Grünbaum, sei für ihn ein lebenslanger Imperativ aus zwei Wörtern. Unter dieser Anleitung könnte Peter III. in Bronze ein Erfolg werden: als Erinnerung daran, dass persönliche Erfahrungen mehr bedeuten als machtpolitische Rhetorik.

Wer dennoch an der Ernsthaftigkeit des Vereins zweifeln sollte, für den hat Mager eine konkrete Zahl: 3.991 Stunden. So lange habe er im Landesarchiv und mit der Abschrift der altdeutschen Schriften verbracht. Knapp 500 Arbeitstage.

Er mache das gern, sagt Mager, die Belastung diene schließlich einem höherem Ziel. Verständlich, dass man da gern Gründungsmitglied wäre.

Ausstellung zu Peter III.: noch bis 28. März, Rathaus, Bordesholm

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