piwik no script img

■ Kiel: Die SPD feuert ihren Pressesprecher – warum eigentlich?Die Panik der Sozialdemokraten

Es hätte einen guten Grund für die Kieler SPD gegeben, sich von ihrem Pressesprecher zu trennen. Wer in einer Examensarbeit über Unterschiede zwischen amerikanischem und britischem Englisch aus dem Jahr 1970 Material für einen Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein im Jahr 2000 sucht, der sollte in diesem Wahlkampf wohl besser nicht an einer Schaltstelle sitzen. Aus professionellen Gründen.

Pressesprecher Thomas Röhr ist aber aus moralischen Gründen fristlos entlassen worden. Der Kieler CDU-Fraktionschef Martin Kayenburg hat Recht, wenn er der SPD vorwirft, in ihrer Angst vor dem Verlust der Macht offenbar alle Maßstäbe verloren zu haben. Allerdings ist der Beweis dafür nicht der gescheiterte Versuch, sich die Arbeit des CDU-Spitzenkandidaten Volker Rühe zu beschaffen, sondern die sozialdemokratische Zerknirschung darüber. Nicht einmal gegen Vergleiche mit der Barschel-Affäre setzt die SPD sich noch zur Wehr.

Damals hatte die schleswig-holsteinische CDU versucht, das Privatleben des sozialdemokratischen Herausforderers Björn Engholm auszuspionieren. Der jetzt geschasste SPD-Sprecher hat aber nicht bei Rühes durchs Schlüsselloch geschaut, und eine wissenschaftliche Arbeit ist kein Liebesbrief. Dem trägt übrigens auch das Archivgesetz Rechnung. Wer in Hamburg für seine Examensarbeit beispielsweise das Staatsarchiv benutzt, muss dort ein öffentlich zugängliches Belegexemplar hinterlegen. Nur das von Thomas Röhr bemühte Lehrerprüfungsamt darf Arbeiten eben nicht herausgeben, weil sie dort mit persönlichen Daten wie den Abschlussnoten versehen sind.

Der CDU ist nicht vorzuwerfen, dass sie die Sache möglichst hoch zu hängen versucht. Wenn der politische Gegner freiwillig zu einem derartigen Kotau bereit ist, dann wäre es ja blöd, daraus kein Kapital zu schlagen. Interessant wird der Vorgang erst durch einen Blick über die Grenzen von Schleswig-Holstein hinaus.

Journalisten, die Einsicht in Stasi-Akten nehmen, erfahren viel über das Privatleben der Betroffenen, und zwar unabhängig davon, ob sich ein Verdacht auf IM-Tätigkeit durch die Lektüre bestätigt oder nicht. Das finden westdeutsche Spitzenpolitiker über Parteigrenzen hinweg völlig in Ordnung. Bei einem Politiker aus Hamburg beginnt die schützenswerte Privatsphäre dagegen nach übereinstimmender Ansicht in Kiel bereits beim Inhalt der Examensarbeit. Merkwürdige Einheit. Bettina Gaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen