Kerners neue Talkshow: Willkommen zu Hause
Journalismus, dem es reicht, ein Nicken hervorzurufen: "Kerner" in Sat.1 versucht seit Montag die Redundanz und Anspruchslosigkeit von "stern TV" zu imitieren.
Mario Barth ist lustig. Gerade hat er Johannes B. Kerner die Geschichte mit seiner Stimmbandoperation erzählt, und Kerner hat ihn gefragt: "Ihr habt ja praktisch zur Erholung nach dem Eingriff eine Form von Kurzurlaub gemacht in einem … war das ein Esoterik-Hotel?" Und Barth macht nun einen erstaunten Schnaufer und sagt: "Ihr seid sehr gut informiert, ihr habt ne geile Redaktion!", was Kerner nickend bestätigt.
Um den Witz zu verstehen, muss man wissen, dass ungefähr alles, was Mario Barth in der knapp fünfzehnminütigen Gesprächssimulation erzählt, aus seinem aktuellen Bühnenprogramm stammt. Wer die gerade erschienene Live-CD hat, hätte sie parallel zur Sendung mitlaufen lassen können. Kerner hatte mit der Frage nach dem Esoterik-Hotel nichts anderes getan, als einen neuen Track anzuwählen. Und Barth schmeichelt dem falschen Oberschmeichler Kerner, indem er ohne erkennbare Ironie die Recherchekünste der Redaktion lobt. Lustig.
Der Stand-up-Comedy-Auftritt, der so tut, als wäre er ein Gespräch - das wäre jedenfalls mit Witzen, die man nicht schon Dutzende Male gehört hat, eine gute Marktlücke für Kerners neue Sat.1-Show, denn das kann er: Ein Gespräch simulieren, nicken, lachen und alle paar Minuten das nächste Stichwort geben.
Anders als Jörg Pilawa, der sich (und uns) den Senderwechsel von der ARD zum ZDF mit einer fast einjährigen Auszeit versüßt, machte Kerner ohne zu blinzeln weiter. Dieter Bohlen schrieb ihm noch mal fast die gleiche Erkennungsmusik, Florian Wieder baute ihm noch mal fast das gleiche Studio, nur gibt es jetzt lange Filmteile wie bei Günther Jauchs RTL-Magazin "stern TV". Kerner hatte zuvor im Rahmen einer Bescheidenheitsdemonstrationstournee gesagt, dessen Schuhe seien ihm eine Nummer zu groß, dabei sind sie in Wahrheit nur ausgetreten. "stern TV" hat herausgefunden, wie wenig man sich anstrengen muss, um wöchentlich zwei Stunden Sendezeit zu füllen, und "Kerner" versucht seit Montag dieses Prinzip der Redundanz und Anspruchslosigkeit zu imitieren - bis hin zu dem Trick, die Protagonisten aus den Beiträgen im Studio noch einmal dasselbe sagen zu lassen.
Vielleicht hätte sich nach den Wochen, die die Diskussion um Bagatellkündigungen tobt, sogar noch etwas Interessantes zu dem Thema beitragen lassen - wenn sich "Kerner" nicht damit begnügt hätte, die Zuschauer in ihrem Gefühl zu bestätigen, dass das alles irgendwie ungerecht ist.
Es ist eine Form von Journalismus, der es reicht, beim Publikum ein Nicken hervorzurufen. Gefühlte Monate lang widmete sich die Sendung den Staus durch Baustellen auf deutschen Autobahnen, und man konnte fast spüren, wie die Redaktion das Gefühl hatte, ein richtiges Knallerthema entdeckt zu haben. Und so begleiteten wir die womöglich letzte Polizeistreife, die noch kein Kamerateam im Auto hatte, und sahen eine Pendlerin, die sehr engagiert vorspielte, wie es aussieht, wenn sich eine Pendlerin ärgert, dass sie im Stau steht. Doch die Botschaft, dass es echt ganz schön viele Staus gibt gerade und es echt schöner wäre, wenn es weniger wären, obwohl es auch gut ist, wenn die Straßen schöner werden - das war selbst dem "Kerner"-Publikum zu schlicht. Von den wenigen, die eingeschaltet hatten, schalteten viele ab.
Die Redaktion hat sich so wenig einfallen lassen, dass man schon vermuten muss, dass das Absicht war: bloß niemanden durch ungewöhnliche Gedanken verschrecken. Und doch ist der Sat.1-Kerner in einem entscheidenden Punkt besser als der ZDF-Kerner: Er macht nur irgendeine Sendung in einem Programm, das auch sonst sehr egal ist. Kerner ist wieder da, wo er hingehört. Willkommen zu Hause.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe