Kerner sendet aus Afghanistan: Der falsche Deckel aufm Topf
Da kann Kerner noch so viel aus Afghanistan senden - bei Sat1 hat er keine Chance. Denn die Zuschauer sind von Informationen entwöhnt und mögen keine Systemwechsel.
BERLIN taz | Der viel gescholtene Besuch von Johannes B. Kerner bei unseren Soldaten in Afghanistan ist einfach großartig. Vielleicht nicht als "öffentliche Liebeserklärung an unsere Soldaten: Wir sind eine Familie", wie Franz Josef Wagner im großen Familienkampfblatt Bild schreibt. Aber dafür ist er öffentlich-rechtliche Truppenbetreuung im besten Sinne.
Denn die Bundeswehr ist im Grunde ja auch nicht anderes als eine große öffentlich-rechtliche Anstalt. Dass nun ausgrechnet ein TV-Moderator des Privatfernsehens hier gemeinsam mit den Bundesverteidigungs-Eheleuten zu Guttenberg einschwebte, um seine Sat.1-Show für den Donnerstag aufzuzeichnen, zeugt von der Lücke, die ARD und ZDF hier lassen: Wo bleiben Beckmann, Plasberg, Illner und die anderen? (Anne Will ist ausdrücklich ausgenommen, sie wird ja demnächst unsanft auf den Mittwoch abgeschoben und ist damit genug gestraft).
Doch grundsätzlich gilt: Wenn Deutschland schon am Hindukusch verteidigt wird, kann das deutsche Fernsehen auch von dort unterhalten - auch das ist schließlich ein Stück Normalisierung des Kriegsalltags.
Für Kerner geht es dabei allerdings um mehr. Das erste Nahkampfziel, mehr Aufmerksamkeit für seine dahindümpelnden Talk, der immer noch mit dem ungewohnten Sat.1-Umfeld fremdelt, hat er erreicht. Die veröffentlichte Meinung kräht mit Begeisterung "Darf der das?" und meint wahlweise Kerner oder Guttenberg. Sogar die alte RTL-Nase Peter Kloeppel, der ja sonst mit dem Aus-aller-Welt-Moderieren immer ganz vorn mit dabei ist, hat Kerner ausgestochen.
Jetzt muss bloß noch das Publikum einschalten, und hier liegt der Etappenhase vielleicht doch wieder im Graben. Sat.1 hat seinen Zuschauern Information so gründlich abgewöhnt wie sonst kein anderer (Privat-)Sender. Dabei könnte Kerner problemlos auch in der neuen ARD-Spättalk-Schiene ab 2011 mitlaufen. Oder wieder ins ZDF wechseln, wo er mal erfolgreich war.
Doch anders als für "heute-journal"-Journalisten, die Regierungssprecher werden, gibt es beim ZDF für fahnenflüchtige Moderatoren kein Rückkehrrecht. Weshalb Günther Jauch, der nächstes Jahr den ARD-Polittalk am Sonntagabend revolutionieren muss, ja seinem RTL auch nicht so ganz Adieu sagt. Dass die ARD - wie erst recht Jauch - hier ein gehöriges Risiko eingehen, mag im Anstaltsverbund niemand so laut sagen.
Natürlich ist ein "Tatort" vorweg in Sachen Quote immer netter als das mal von Europa League, mal von Katastrophen-TV, Liebesschmonzes oder Erdsäulen bespieltes Vorprogramm, das Kerner bei Sat.1 geboten wird. Und Jauch eben weiterhin Everybody's Darling, der es gar nicht nötig hat, in Afghanistan den Truppentroubadour zu geben, coole Fotos mit dem coolen Verteidigungsminister hin oder her. Trotzdem ist die Gefahr für Jauch, sich als zweiter Kerner zu entpuppen, höchst real: Systemwechsel straft der Zuschauer eher ab, weil er Veränderung nicht mag. Also gucken sie beim ZDF den Lanz, statt Kerner zu Sat.1 nachzuhecheln.
Das Copyright auf den Irrtum, es käme doch nur auf die Nase an, haben ohnehin die ARD und Harald Schmidt. Dass Schmidt im Ersten 2011 sang und klanglos aufhört, hat eben nicht nur mit dem urplötzlich ergrauten Bart und Intellekt des Sendesystem-Umsteigers zu tun.
Aber die Bundeswehr zieht ja frühestens 2013 aus Afghanistan ab. Da ist also auch für Günther Jauch immer noch alles drin.
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