Kennedy-Besuch in Berlin: Richtig rostrotes Haar
Vor 50 Jahren kam John F. Kennedy nach Berlin. Der Sender Freies Berlin berichtete sieben Stunden lang live. Unser Autor hat die Bilder angesehen.
BERLIN taz | Am Ende kommt man zu einem Beschluss: Der RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) sollte nachts – es gab da mal einen großen Erfolg mit endlosen S-Bahn-Fahrten – unkommentiertes Nachrichtenmaterial senden, für die Schlaflosen ein idealer Meditationsstoff.
„Am schönsten ist doch das Warten.“ Der Flughafen Tegel, damals nur die leere Fläche des Flugfeldes und ein paar Baracken, wo sie herumstanden, Willy Brandt und der schildkrötenhafte Bundeskanzler Adenauer, der junge Walter Scheel und der junge Rainer Barzel und Egon Bahr. Ein windiger Tag. Ausgiebig zeigt die Kamera die anfliegende Präsidentenmaschine. Wie sie landet.
Und dann ist er da, der berühmte junge Mann, und es beginnt ein schwer verständliches Hin- und Herlaufen. Die Ehrenformationen der französischen, britischen und amerikanischen Streitkräfte müssen abgeschritten werden.
Richtig, wir befinden uns ja im französischen Sektor Berlins, und der uniformierte Herr an der Seite des Präsidenten, das ist der französische Stadtkommandant. Richtig, die alliierten Stadtkommandanten übten die eigentliche Herrschaft über die ehemalige Hauptstadt des Deutschen Reichs aus.
Kennedy spricht frei
Erst nach dem militärischen Zeremoniell spricht der Präsident. Dann der Regierende Bürgermeister. Kennedy, so scheint es, spricht frei; Willy Brandt liest ab.
Er schaut dick aus – wie alle deutschen Politiker – im Gegensatz zu dem jungen Präsidenten und dem alten General Clay, der später immer wieder extra umjubelt wird von den begeisterten Westberlinern und das mit Winken und verlegenem Lächeln quittiert. Er hatte ja 1948 die Luftbrücke für die blockierte Teilstadt organisiert.
Dann ist ein anderer dicker Mann im Bild, Harald Karas, ein verdienter Moderator des Westberliner Fernsehens, onkelhaft vertrauenerweckend, mit einem dicken Ring am kleinen Finger. Mittels einer handgemalten Karte und eines Stöckchens erläutert er die Tour des Präsidenten durch Westberlin.
Die Kongresshalle; das Brandenburger Tor; der Checkpoint Charlie; das Rathaus Schöneberg (wo die Westberliner Stadtregierung residiert); die Freie Universität; das US-Hauptquartier. Dann flink zurück nach Tegel und zur Abschiedszeremonie.
Im offenen Wagen durch die Stadt
Ja, der Präsident fährt im offenen Wagen durch die Stadt, links neben ihm Brandt, links neben Brandt Adenauer, die Westberliner jubeln und winken an den Straßenrändern. Man sieht das unweigerlich im Licht der Zukunft: dass er vier Monate später, links neben ihm Jackie, in einem solchen offenen Wagen erschossen wird.
Ich habe den Präsidenten damals bei seiner Rede auf dem Römer in Frankfurt gesehen (die Freundin wünschte es dringend), und mir blieb sein rotes Haar in Erinnerung, richtig rostrotes Haar. Man kannte ihn doch nur von Schwarz-Weiß-Bildern.
Der dicke Herr Karas hatte auch vertrauenerweckend erklärt, wie das Fernsehen die Tour aufzeichnet, durch fixe Kameras an gewissen Knotenpunkten und durch „drahtlose Kameras“, die ihre Bilder an „Relais-Stationen“ funken. Toll. Das Fernsehen präsentierte sich selbst sogleich als Akteur neben den Politikern.
Der Präsident schaut ernst, ja grimmig. Er lächelt und winkt, eine knappe, standardisierte Geste, die militärisch anmutet. Ja, der Präsident war Kriegsteilnehmer, schwer verwundet. Vermutlich trägt er wieder sein Korsett; die hochgezogenen Schultern wirken schmerzhaft verkrampft.
Ansturm vor dem Rathaus Schöneberg
Aber er steigt schwungvoll die Treppe des Holzgerüsts hinauf, von dem man am Checkpoint Charlie nach Ostberlin hinüberschauen kann. An der Leipziger Straße stehen Ostberliner Bürger und schauen ruhig-neugierig her, von keinen Vopos kujoniert. Hier hört man auch Reste eines Off-Kommentars, und dass im Übrigen das Material bei der Wiederaufführung im Zeughaus Kino in Berlin ohne den gewohnten Textschleim zu apperzipieren ist, man lernt es erst recht zu schätzen.
Die Massen vor dem Rathaus Schöneberg bilden das sprichwörtliche Meer. Ihre Bereitschaft zum Jubeln scheint unbegrenzt, und die „Kennedy“-Rufe bewegen ihn immer wieder zu einem amüsierten, auch dankbaren Lächeln. Die berühmte Rede ist im Gestus wie im Inhalt kriegerisch. Nach ein paar amerikanischen Sätzen hört (und sieht) man immer wieder den Übersetzer, einen korrekten Herrn mit Brille, der einen öligen und gleichzeitig schmetternden Sound pflegt.
Wir befinden uns auf einer Insel der Freiheit. Ringsum regiert der Feind und lauert auf Gelegenheiten zum Angriff. Wir dürfen uns über seine Absichten keine Illusionen machen. Aber die Insel ist mit den Vereinigten Staaten von Amerika innig verbunden …
Die Lage war verzwickt. Die Westmächte hatten zwei Jahre zuvor den Mauerbau hingenommen – was wäre die Alternative gewesen? Dass die Rote Armee Westberlin besetzt? Aber der Mauerbau schien die Schwäche und Unentschlossenheit der Westmächte zu bekräftigen. „Wann fällt die Mauer?“, fragt vorwurfsvoll ein Transparent vor dem Rathaus Schöneberg. Der Präsident weiß es nicht zu sagen.
Die aggressive Wiedervereinigungspolitik Adenauers war stecken geblieben. Die Entspannungspolitik, „Wandel durch Annäherung“, den dann der Bundeskanzler Brandt verfolgte, lag verhüllt in der Zukunft.
Vor der Freien Universität
Der offene Wagen fuhr dann zur Freien Universität nach Dahlem, vorneweg die ganze Zeit eine Kavalkade „weißer Mäuse“, wie man sie nannte, Motorradpolizisten in weißen Uniformjacken. Anhaltender Jubel – er war ja ein Star, der junge Präsident.
Den Massen bereitete es Vergnügen, ihren Star zu feiern, darin feierten sie sich selbst – ein Mechanismus, den man gerade an den Popstars erlernte. Ängstlichkeit erfüllt die Massen, dass womöglich doch noch die Sowjetunion Westberlin übernimmt.
Sie schienen mir etwas weniger enthusiastisch, die FU-Studenten, aber massenhaft traten auch sie in Erscheinung. Die Professoren präsentierten sich in den sprichwörtlichen Talaren, und die Studenten störten sich noch nicht an dem Muff darunter, dem Muff von tausend Jahren. Allerdings liest der Rektor die Urkunde, die den amerikanischen Präsidenten zum akademischen Ehrenbürger macht, in toto auf Latein vor.
Der Präsident hält vor der Universität eine richtige Universitätsrede. Er verweist darauf, dass die Vereinigten Staaten Gelehrte zu ihren Gründern zählen; er feiert die Universität als Ort der Freiheit – die USA wirkten großzügig mit am Aufbau der FU als Gegengründung zur stalinistischen Humboldt.
Studenten stören sich nicht an Muff
Der Präsident erläutert Truth, Justice and Liberty als Grundprinzipien der Bildung – die Studenten applaudieren. Was sie vier Jahre später gegen ihre Universität, die Bundesrepublik, den Spätkapitalismus und den amerikanischen Imperialismus in höchster Wut vorzubringen haben, nichts deutet jetzt und hier darauf hin.
Ganz in der Nähe der FU siedelte ja das Hauptquartier der Berlin Brigade, und der Präsident muss vor dem Abflug seinen Leuten seine Reverenz erweisen. In mir kam Nostalgie auf, ja, dort lag das amerikanische Dorf, wie häufig ist man auf der Clayallee hindurchgefahren, um zur FU zu gelangen, zur Gelehrsamkeit, zur Revolte …
Was die Ermordung Kennedys zum Aufstand der sechziger Jahre beigetragen hat, ich neige dazu, das Ereignis zu überschätzen. Aber gewiss existiert ein Zusammenhang. Die grimmige Miene, das gelungene Lächeln, das militärische Winken, der Handgriff, mit dem er den Haarschopf wieder aus der Stirn schiebt, der versteifte Gang: Man erwartete ja so viel von ihm – und dann war der Kopf mit dem rostroten Haar zerschossen.
Das Berliner Zeughauskino zeigt die siebenstündige Live-Fernsehberichterstattung des Berlinbesuchs von John F. Kennedy am Mittwoch ab 10.30 Uhr. Info unter: www.dhm.de/kino
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers