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Kenia nach den UnruhenLand des verlorenen Glaubens

Den Wahlen vom 27. Dezember folgten die schlimmsten Unruhen, die Kenia seit der Unabhängigkeit erlebt hat. Besonders betroffen war der Westen. Ein Besuch im Kloster von Kipkelion

Im Januar 2008: Flüchtlinge aus dem Rift Valley bereiten auf offenem Feuer vor einer Katholischen Kirch in ElDoret ihr Frühstück zu. Bild: dpa

KIPKELION taz Die Stille im Kloster von Kipkelion ist absolut. Auf dem Berggipfel über den Teeplantagen, die weite Teile des kenianischen Rift Valleys bedecken, schluckt der dichte Wald jeden Ton von der nur wenige Meter entfernten Hauptstraße. Das vor mehr als fünfzig Jahren aus massivem Granit erbaute Refugium des Zisterzienserordens ragt wie ein Mahnmal in den von schwarzen Wolken durchzogenen Himmel. Wenn dieses Kloster ein Ort des Friedens ist, dann ist es ein trügerischer Frieden. So wie im Rest des Rift Valleys, das nach den Wahlen im Dezember die schlimmsten Massaker erlebt hat, ist auch in Kipkelion nie wieder Normalität eingekehrt.

Pater Stefano Rwegarulira, der das Kloster "Unsere Mutter Gottes von Victoria" leitet, liest jeden Tag die Zeitungen aus dem 200 Kilometer entfernten Nairobi. Auf einem Tisch liegen die meiste einen Tag alten Ausgaben vor dem kargen Speisesaal, in dem die zwölf verbliebenen Mönche schweigend ihre Mahlzeiten einnehmen. "Ich lese von der großen Koalitionsregierung und den Aufrufen der Politiker zum Ende des Hasses, aber hier hat sich nichts geändert." Seit drei Monaten regieren in Kenia fast 100 Minister beider politischer Lager gemeinsam. An diesem Mittwoch wird nicht weit vom Kloster entfernt wieder gewählt, es ist die Nachwahl für einen Abgeordneten, der während der Unruhen erschossen wurde. Opposition und Regierung, die jetzt in einem Boot sitzen, beschwören in diesem Wahlkampf unisono die Rückkehr der Einheit des Landes. Doch das, glaubt der Tansanier Rwegarulira, wird nicht klappen. "Die Wurzeln des Hasses zwischen den Ethnien hier gehen viel tiefer als der politische Konflikt, da spielt vor allem der Kampf um das knappe Land eine Rolle." Die Mehrheitsethnie der Kalenjin erhebt Anspruch auf die fruchtbaren Felder, auf denen nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 Kikuyu aus dem Hochland, Luhya aus dem Westen oder Luo vom Viktoriasee angesiedelt wurden. Manche haben das Land von weißen Siedlern gekauft, andere bekamen es von Kenias erster Regierung zugewiesen. Im Januar eskalierte die schon seit Jahren angespannte Lage in Pogromen. Tausende Nichtkalenjin wurden von im Wahlkampf aufgehetzten ethnischen Milizen vertrieben.

Sie flohen in die wenigen Orte, die ihnen sicher erschienen; Orte wie das Kloster von Kipkelion. "Es war am helllichten Tag, die Leute kamen aus allen Richtungen angerannt und sind auf unseren Hof geströmt", erinnert sich der Zisterzienser Rwegarulira. "Sie sind aus ihren Häusern getrieben worden, von jugendlichen Kalenjin, die mit Macheten bewaffnet waren. Dann wurden die Häuser angezündet, die meisten konnten nichts retten außer ihrem Leben." Am Ende des Tages waren es 700 Vertriebene, die die Mönche notdürftig im Stall, im Lagerraum und in der Abtei unterbrachten. Kipkelion liegt auf mehr als 2.000 Meter Höhe, nachts ist es trotz der Nähe zum Äquator empfindlich kalt. Flackernde Lichtkegel in der wolkenverhangenen Nacht zeigten den Mönchen an, wo die Milizen ihre Lagerfeuer angezündet hatten: Das Klostergelände war umstellt. "Wir haben die Polizei angerufen, und Hilfsorganisationen, damit wir die Flüchtlinge irgendwie versorgen konnten." Das Kloster von Kipkelion ist gebaut wie eine Festung, die anrückenden Polizisten konnten das Gebäude deshalb leicht verteidigen. Doch aus demselben Grund brauchten die Hilfsorganisationen mehrere Tage, bis sie sich durch den Belagerungsring bis ins Kloster durchschlagen konnten, um Decken und Lebensmittel zu bringen. Und die Versorgung war nicht das einzige Problem. "Eine Woche, nachdem die Vertriebenen hier angekommen waren, erhielten wir Nachricht von einem befreundeten Kalenjin." Rwegaruliras Stimme zittert, wenn er von der darauffolgenden Nacht erzählt. "Wie in der Nachricht vorhergesagt, zündeten die Milizen ein Haus in unserer Nachbarschaft an, die Flammen schlugen hell in den Himmel." Der Brandanschlag sollte ein Ablenkungsmanöver sein. Nur weil sie gewarnt worden waren, blieben die Polizisten im Kloster und schlugen mit ihren Maschinengewehren Hunderte zurück, die aus drei Richtungen auf die Abtei zustürmten. "Hätten wir nichts gewusst, wir wären am nächsten Morgen alle tot gewesen."

Die steinerne Abtei, in der die Luft noch ein paar Grad kälter ist als draußen, steht inzwischen wieder leer. Die Sonne scheint durch die mit Marienbildern verzierten Fenster aus Buntglas auf den steinernen Boden, auf dem sich bis Mitte Mai jeden Abend hunderte Körper zusammenrollten. "Vor zwei Wochen hat die Polizei die letzten Flüchtlinge abgeholt, seitdem können wir hier auch nachts wieder beten." Die Vigil, das erste Stundengebet des strikten Ordens, findet um drei Uhr früh statt. Um den Flüchtlingen ein wenig Ruhe zu lassen, fiel es seit Januar aus. "Wir haben irgendwann Zelte bekommen, aber das wäre noch ungemütlicher gewesen für die Familien", erklärt Rwegarulira. Die Zisterzienser sind ein nach innen gekehrter Orden, die Mönche brechen ihr Schweigegelübde in der Regel nur einmal in der Woche, sonst herrscht Stille. Anders als andere Mönche missionieren sie nicht und pflegen auch sonst kaum Kontakt zur Außenwelt. Dass sie für die Vertriebenen von Kipkelion ihren Gebetskalender umgestellt haben, kommt in den dicken Mauern der Abtei einer kleinen Revolution gleich.

Wer vor zwei Wochen noch in der Abtei lag, lebt jetzt in den Zelten, die das Rote Kreuz ins Kloster brachte. Der Weg ins Lager von Murao führt über steinige Feldwege, eine halbe Stunde entlang brachliegender Maisfelder, auf denen noch die Überreste der letzten Ernte zu sehen sind. Wer will, kann in den Feldern lesen: Wo Tee und Mais in den vom derzeitigen Starkregen genährten Feldern stolz in die Höhe ragen, leben Kalenjin. Wo in diesem Jahr die Ernte ausfällt, lebt der Rest. "Meine Farm ist dort drüben, ein Hektar Land und ein einfaches Farmhaus, aber es ist alles niedergebrannt und ich traue mich nicht zurück", klagt Jackson Ogero, ein sechzigjähriger Vater von acht Kindern. Mit seiner Frau, zwei Kindern und drei Enkeln teilt er sich stattdessen eine Art Doppelzelthälfte aus durchscheinendem weißen Plastik, in dem sich der Wind fängt. In der anderen Hälfte, die eine Plastikplane abtrennt, leben seine erwachsenen Kinder samt Familie. Insgesamt sind 200 Menschen hier, diejenigen, die keinen anderen Ausweg hatten, sagt Ogero: "Meine Kinder sind hier geboren und meine Enkel auch, ich habe keine andere Heimat, in die ich zurückkehren könnte." Die anderen 500 aus dem Kloster von Kipkelion sind in "das Land ihrer Ahnen" zurückgekehrt, wie es verbrämt heißt: In die Regionen, wo ihre Ethnie die Mehrheit stellt.

Ogero ist niedergeschlagen. "Wir sitzen von morgens bis abends hier rum und können nichts tun. Rund um uns herum sind Felder, die wir bestellen könnten, aber wir haben keine Geräte und kein Saatgut und wissen nicht, ob wir überhaupt bleiben können." Von der Regierung, sagt Ogero, hat sich im vergangenen halben Jahr noch niemand gezeigt, nur der örtliche Landrat habe einmal vorbeigeschaut und sei dann schnell wieder gegangen. "Dabei haben die uns doch Hilfe beim Wiederaufbau versprochen, aber wir haben nichts bekommen."

Wiederaufbau ist ein Wort aus dem fernen Nairobi, ebenso wie Versöhnung. In Molo, Mau Summit und all den anderen Dörfern entlang des ostafrikanischen Highways, der Kenias Küste und Uganda verbindet, liegen die meisten Hotels und Geschäfte immer noch in Schutt und Asche. Die Inhaber, die meisten von ihnen Kikuyu, trauen sich nicht zurück. Niemand weiß, ob sie jemals wiederkommen werden. So lange ragen Betongerippe auf beiden Seiten der Straße auf. Wenn es nach Joel Korir geht, sollen die Vertriebenen bleiben, wo sie sind. "Ein Schweizer kann in Europa doch auch nicht einfach nach England ziehen und dort Land beanspruchen, und so ist es hier auch." Mit abschätzigem Blick sieht der Kalenjinfarmer auf das Zeltlager von Murao, das nicht weit von seinen Feldern entfernt aufgebaut ist. "Man kann nicht mit denen zusammenleben, die dir dein Eigentum nehmen. Es ist gut, wenn sie gehen."

An Versöhnung glaubt auch Pater Stefano Rwegarulira nicht. "Die Kalenjin sehen uns immer noch als ihre Feinde, viele wollen das Land haben, auf dem unser Kloster steht", sagt er ruhig, während er in Leder gebundene Bibeln in eine Metallkiste packt. Die Bibliothek des Ordens ist schon halb leer geräumt, in wenigen Tagen kommen die Lastwagen. Nach fünfzig Jahren in Kipkelion zieht der Orden nach Uganda, "erst kommen wir als Flüchtlinge bei der katholischen Kirche unter, dann suchen wir einen Standort für ein neues Kloster." Rwegarulira fürchtet, dass die Menschen in Kipkelion bei einem neuen Pogrom keinen Zufluchtsort mehr hätten. Doch sein Urteil steht fest. "Eine Chance auf Frieden gibt es hier nicht - und man kann nicht in Ruhe beten, wenn man ständig darauf achten muss, dass man nicht von hinten erstochen wird."

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