Keith Jarrett in Frankfurt: Verschwörung der Hüstelnden
Pianist Keith Jarrett trat in Frankfurt zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder solo in Deutschland auf - ein Desaster aus Größenwahn und Virtuosität.
D ie Erwartung hing hoch. Fünfzehn Jahre lag das letzte Solokonzert in Deutschland zurück - doch nur wenige Monate sein Rausschmiss aus Perugia, dem führenden italienischen Jazzfestival. Dort hatte er das Publikum mit F- und A-Wörtern begrüßt, und doch eigentlich nur, weil man den geliebten Star so gerne fotografiert hätte. Später brach er sogar das Konzert ab, und der Festivalchef hat mittlerweile angekündigt, dass man auf Jarrett, der in Perugia jedes Jahr zu Gast gewesen war, zukünftig gern verzichten wird. In Frankfurt nun war nach zehn Minuten zum ersten Mal Schluss. Jarrett hatte offenbar ein Hüsteln vernommen, hörte abrupt zu spielen auf und machte sich sofort in Oberlehrerpose daran, sein Publikum zu degradieren. Was es denn in den vergangenen 25 Jahren gelernt hätte, so lange würde er schließlich schon fordern, dass nicht fotografiert, telefoniert, geredet und gehustet werden darf, wenn er naht. Wer 140 Euro für eine Eintrittskarte zahlt, habe damit noch nicht das Leiden des Künstlers abgegolten, suggerierte Jarrett. Er verlange Aufmerksamkeit und Konzentration, ansonsten könne er ja gleich aufhören und in einer Hotelbar spielen.
Dabei war das Frankfurter Publikum, das sich am Sonntagabend in der seit langem ausverkauften Alten Oper versammelt hatte, äußerst brav, ja, im nachhinein betrachtet vielleicht viel zu brav. Denn Jarrett schien gerade auf ein Zeichen gewartet zu haben, um sein auffallend unkonzentriertes Spiel schnell zu unterbrechen.
Bis heute hat sich Jarretts "The Köln Concert", 1975 aufgenommen, zwar über drei Millionen Mal verkauft, doch es ist schwer zu sagen, was diesen Mann noch motiviert, künstlerisches Interesse ist es offenbar nicht. Bei Jarrett treffen sich Geschäft und Virtuosität, und seine Idiosynkrasien waren ja früher schon schwer erträglich.
In einem offenen Brief in der New York Times beleidigte Jarrett einst nicht nur den Saxofonisten Branford Marsalis, deshalb kam er in der viel beachteten Ken Burns Dokumentation über die Geschichte des Jazz vermutlich gar nicht erst vor. Im dazugehörigen Buch wurde ihm jedenfalls vorgehalten, er habe öffentlich angezweifelt, dass Wynton Marsalis einen richtigen Blues spielen könne. Im Rahmen seines Carnegie-Hall-Konzerts in jenem Sommer wetterte Jarrett dann gegen den von ihm als Jazz-Analphabeten titulierten Burns und dessen Chefberater Wynton Marsalis.
Eifersüchtig hat er wiederholt die führende Rolle, die Marsalis in Bezug auf den Jazz in Amerika zugeschrieben wird, kritisiert, schließlich sieht er allein sich in der Tradition und Nachfolge von Miles Davis - in dessen Fusion Band er von 1969 bis 1971 spielte - als den Bewahrer und Erneuerer des großen Jazzerbes. Um diese Position stritt er mit Leserbriefen und Plattenveröffentlichungen - ohne jedoch von der Musikergemeinschaft die ersehnte Anerkennung zu bekommen.
Ohne Frage hat Jarrett wunderschöne Musik aufgenommen, "At The Blue Note" (1995) zeigt sein mittlerweile leider in der Statistenpose gefangenes Standardtrio mit Gary Peacock, Bass, und Schlagzeuger Jack DeJohnette in Höchstform, "Belonging" (1974) dokumentierte seine äußerst kreative Zusammenarbeit mit Jan Garbarek, "Fort Yawuh" (1973) die mit Dewey Redman. Doch statt mit künstlerischer Professionalität und Seriosität überrascht Jarrett heute mit so kleinkariertem wie wirrem Verschwörungsgeschwafel. Es gebe einen Zusammenhang zwischen innen und außen, referiert Keith Jarrett in der Alten Oper, zwischen den hüstelnden Zuschauern und den bösen Medien: Zusammen hätten sie sich gegen ihn verbündet.
Einen perfekten Ablauf wollte man gewährleisten, so stand es auf Schildern beim Einlass, und so wurde es auch vor Beginn von der Bühne verkündet, denn das Konzert sollte mitgeschnitten werden. Ob sich der Aufwand gelohnt hat, mag bezweifelt werden. Denn neben zwei, drei kurzen Kunststückchen, die Jarrett an diesem Abend gelangen, und einigen bluesorientierten Groovefragmenten bot er vor allem Etüden und filmmusikalisch anmutende Akkordfortschreitungen am Rande der Belanglosigkeit. Das einzige inspirierte Stück, aus dem vielleicht noch etwas Fundiertes hätte entwickelt werden können, erstickte er selbst schon binnen der ersten 10 Minuten.
Dass das Publikum nach 40 Minuten Konzert vor der Pause und 30 Minuten danach stürmisch vier kurze Zugaben herbeiklatschte, kann den Eindruck nicht schmälern, dass das intellektuelle Niveau auf der Bühne kaum einmal unteres Mittelmaß erreichte. Schlimmer noch wirkt, dass es einfach nicht gut klingt, wenn ein sich maßlos selbst überschätzender Künstler kaum mehr den Weg zurückzufinden scheint. Das magere künstlerische Ergebnis überragt Jarretts enervierende Selbstherrlichkeit mit großer Not.
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