: Keine Zeit mehr für Spiele
■ Aufgrund der verläßlichen Halbtagsgrundschule sollen Erzieher-Stellen in Kinder-Horten eingespart werden – auch in sozialen Brennpunkten Hamburgs
„Kinder haben eben keine Lobby“. Birgit Kohrn ist sauer. Als Leiterin der evangelischen Kindertagesstätte im Hamburger Stadtteil St. Georg hat sie seit Jahren ohnehin zu wenig Personal. Nun sind weitere Kürzungen geplant, die die Einrichtungen in sozialen Brennpunkten doppelt treffen: Zusätzlich zu 11,5 Wochenstunden, die in allen Hort-Gruppen Hamburgs gestrichen werden, sollen nach dem Willen der Stadt in Problemvierteln wie St. Georg, Veddel und St. Pauli noch weitere Erzieherstunden wegfallen. Offizielle Begründung ist die sogenannte verläßliche Halbtagsgrundschule, in der die Kinder bis 13 Uhr unterrichtet werden.
Für Kohrn sind die Kürzungen der falsche Schritt: „Wir machen hier in den Stadtteilen Präventionsarbeit“, sagt sie. „Zu uns kommen Kinder aus sozial schwierigen Familien, die häufig zu wenig Zuneigung bekommen, und Ausländerkinder, die oft noch nicht einmal deutsch können. Um sie müssen wir uns besonders kümmern. Das geht nur, wenn wir genügend Mitarbeiter haben.“
Prostitution und Gewalt gehören zu den täglichen Erfahrungen im Umfeld der Kinder, die in dem Stadtteil direkt am Hauptbahnhof zu Hause sind. „Gerade hier darf die pädagogische Arbeit nicht zu kurz kommen“, sagt Kohrn. Ihre Kollegin von einer benachbarten Kindertagesstätte, Juliane Heine, pflichtet bei: „Politiker werden erst aktiv, wenn es zu spät ist – wenn die Kinder bereits drogensüchtig oder kriminell geworden sind.“Die für den Sommer geplanten Kürzungen in St. Georg greifen zu kurz, glaubt die Pädagogin. „Es kommt die Stadt doch wesentlich teurer, später die Drogensüchtigen zu therapieren, als jetzt eine gute Betreuung sicherzustellen.“
In Mümmelmannsberg im Osten Hamburgs sind die Kürzungen schon Realität, die Halbtagsgrundschule ist eingeführt. „Die entlastet uns bis mittags. Danach ist die Personal-Decke dann jedoch viel zu dünn“, meint der Leiter der Tagesstätte, Bernd Wischmann. Mit 202 Plätzen gehört die von ihm geführte Einrichtung zu den größten der Hansestadt. Mit den Kürzungen kamen Veränderungen: Anstelle einer Gruppeneinteilung nach Alter spielen, lernen und toben nun alle – vom Klein- bis zum Schulkind – in altersgemischten Gruppen. Wischmanns Kritik: „Früher haben wir mit den Kindern intensiver arbeiten können. Jetzt besteht die Gefahr, daß Hortarbeit am Nachmittag zu einer reinen Essensausgabe und Hausaufgabenbetreuung verkommt.“Für Theaterspielen oder Sport gebe es kaum noch Raum – nicht zuletzt, weil die Kinder nach der Schule erstmal Ruhe brauchten. Die Folgen dieser Situation seien schon sichtbar, erzählt eine Erzieherin: „Die Kinder sind unruhiger und zappeliger.“ Marion Kraske
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