„Keine Randnotiz“ in Bremen: Rechte Taten im Visier
Zwei Beratungsstellen wollen rechte Vorfälle in Bremen und Umland dokumentieren. Unter „Keine Randnotiz“ können Betroffene selbst Erlebnisse melden.
2018 hat rechte Kriminalität im Land Bremen laut Verfassungsschutz stark zugenommen. Vorfälle wie die oben beschriebenen fanden schon zuvor Beachtung, jetzt wollen zwei Bremer Beratungsstellen gegen rechte und rassistische Gewalt sie auch zentral erfassen, archivieren und strukturiert für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Projekte Soliport und „Pro aktiv gegen rechts“ haben dafür am Mittwoch die Plattform „Keine Randnotiz“ online gestellt, nach einem Jahr Planung.
Bis zurück in den Januar 2017 haben die Macher rechte Vorfälle dokumentiert. Von nun an soll die Webseite ständig aktualisiert werden. Bis Redaktionsschluss waren 101 Vorfälle aus Bremen, Bremerhaven und der näheren Umgebung auf der Plattform versammelt.
Mit bisher unbekannten Informationen zum Ausmaß rechter Gewalt in Bremen sollten die Nutzer*innen der Webseite zunächst nicht rechnen: Ein Großteil der dokumentierten Meldungen wurde bereits über Polizeimeldungen oder Presseberichte verbreitet. „Man vergisst die Fälle aber wieder, auch wenn man davon gehört hat“, glaubt Josef Borchardt von Soliport.
Rechte Straftaten sichtbar machen
Die Initiativen wollen zeigen, dass es sich nicht um isolierte Ereignisse handelt: „Wir machen die Kontinuität rechter Straftaten sichtbar“, so Max Wengel von „Pro aktiv gegen rechts“. Rechte Taten, auch dass zeige sich durch die Dokumentation, kämen nicht nur von einem rechten Rand, sondern seien überall in der Gesellschaft zu finden.
Auch Ereignisse unterhalb des Straftatbestandes werden deshalb aufgenommen. „Wenn ich ausgelacht oder diskriminiert werde, verändert das mein Sicherheitsgefühl“, so Wengel. Viele Meldungen betreffen aber handfeste Beleidigungen, Bedrohungen und Gewaltanwendungen. Prominent vertreten sind mit 49 Meldungen auch Propagandadelikte wie Hitlergrüße und Wandparolen.
Angst, Hakenkreuzschmierern durch die Webseite erst eine Öffentlichkeit zu geben, haben die Initiatoren nicht: „Die Erfahrung zeigt, dass sich rechte Aktivitäten eher verstärken, wenn Kommunen versuchen, sie durch Wegschauen auszutrocknen“, sagt Wengel. „Wer das Problem nicht sieht, wird sich nicht im Kampf gegen Rechts beteiligen.“
Wer recherchieren möchte, kann sich Vorfälle chronologisch anzeigen lassen, über eine Karte Meldungen aus einzelnen Stadtteilen oder Straßen suchen oder rechte Aktivitäten nach Schlagwörtern ordnen – „Sachbeschädigung“ und „Körperverletzung“, „Antisemitismus“ und „Ableism“, „LGBTIQ“ oder „Hatespeech“ heißen die etwa.
Die Bandbreite ist groß – und bildet doch nur einen Teil der Realität ab. Viele Ereignisse werden gar nicht bei der Polizei angezeigt, die Betroffenen hätten Angst, dass ihnen dort nicht geglaubt wird.
Obwohl Soliport auch Vorfälle aus seiner Beratungsarbeit in das Projekt einfließen lassen möchte, lässt sich das Problem der Dunkelziffer nicht einfach lösen: Da Diskriminierungserlebnisse geradezu alltäglich seien, würden viele Erfahrungen nicht gemeldet. Und nicht alle, die bei Soliport vorsprechen, so Borchardt, wollen ihre Geschichte veröffentlicht sehen.
Helfen soll eine Meldefunktion auf der Webseite. Betroffene und Zeug*innen können über ein Onlineformular von Vorfällen berichten; sie dürfen anonym bleiben – allerdings brauchen die „Keine Randnotiz“-Betreiber einen Kontakt, um die Geschichte nachrecherchieren zu können.
Josef Borchardt, Soliport
„In der Beratungsarbeit gibt es für uns keinen Grund, an den Aussagen zu zweifeln“, erklärt Borchardt. Doch für das Dokumentationsprojekt bedürften alle Vorfälle einer zusätzlichen Validierung, etwa durch Zeugen: „Wir veröffentlichen nur, was wir für sicher halten – wir wollen ernst genommen werden.“
Bisher gibt es die Webseite ausschließlich auf Deutsch – eine potenzielle Hürde für Betroffene. Zumindest beim Meldeformular soll das möglichst bald geändert werden. Die Berichte zu übersetzen sei aber „mit unseren Ressourcen nicht zu schaffen“, bedauert Borchardt. Für das „Keine Randnotiz“-Projekt hat der zuständige Mitarbeiter etwa acht Wochenstunden zur Verfügung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind