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Keine Perestroika für die sowjetischeen Frauen?

■ Auch auf der zur Zeit in Moskau stattfindenden Allunionskonferenz, die über die Zukunft des Reformkurses in der Sowjetunion entscheidet, bleibt die Frauenfrage ausgeklammert / Wohin gehen die sowjetischen Frauen - an den Herd und zu Modenschauen, oder nehmen sie den Kampf mit ihren Paschas auf?

Mechthild Jansen

Durch die Sowjetunion geht revolutionäre Bewegung. Umgestaltung in der Wirtschaft und in der Sozialpolitik, Demokratisierung, eine neue Außen- und ökologische Politik stehen bevor. In einer Hinsicht aber soll revolutionäre Entwicklung nicht gelten: in der Frauenfrage. Die Suche nach Veröffentlichungen zu Fragen der Frauenemanzipation in der 'Prawda‘, in 'Moskau News‘ beziehungsweise in über westliche Medien zugänglichen anderen sowjetischen Quellen ist bislang - von raren Glücksfällen abgesehen - ergebnislos. Ähnliches gilt für Film und Kunst.

Partei- und Staatsführung äußern - sofern das Thema überhaupt der Rede wert ist - programmatische Vorstellungen, die von Rita Süssmuth spielend überholt werden und in denen Helmut Kohl mehr als in irgendeiner anderen Frage mit der KPdSU einig sein könnte. Entdeckt werden Frauen als Werbeobjekte, Frauenräte wurden eingerichtet, die seitdem kaum mehr etwas von sich hören lassen. Frauen, ihre Interessen und ihr Wollen - sie spielen keine Rolle. Sensibilität für das Thema und seine Bedeutung gibt es nicht. Stumpfsinn herrscht.

Dabei besteht - das hat Glasnost immerhin zum Vorschein gebracht - Anlaß, die These von der im Sozialismus „verwirklichten“ und „erledigten“ Gleichberechtigung der Frau heftig in Zweifel zu ziehen. Die Oktoberrevolution hat für die Verhältnisse des Landes den Frauen qualitative Fortschritte gebracht. Ein „Geschenk des Sozialismus“ an die Frauen waren sie deshalb nicht. Fortschritte für Frauen gab es nur, wenn sie von Frauen erkämpft wurden oder für die ökonomische, politische und ideologische Entwicklung eines patriarchalen Sozialismus nötig waren. Berufsarbeit, soziale Rechte, Bildung, öffentliche Kindererziehung, Schwangerschaftsabbruchmöglichkeiten brachten den Frauen mehr ökonomische Selbständigkeit und Selbstbewußtsein, eine verringerte Abhängigkeit vom Mann. Aber die zentralen Probleme sind die gleichen wie überall: die doppelte (Erwerbs- und Haus-)Arbeit zu besonders schlechten Bedingungen, die Alleinzuständigkeit für Kinder und Familie, der alltägliche Sexismus und Gewalt, der Ausschluß aus den Sphären der (Männer-) Macht. Ausbeutung ist es, die da immer noch stattfindet. Männer auf Kommandoposten

Schon das berühmte Recht auf Erwerbsarbeit wurden den Frauen nie aus bloßer Uneigennützigkeit gegeben. Um im Weltkonkurrenzkampf mitzuhalten, griff der Sozialismus nach allen Reserven und Extra-Reserven. So sind nicht nur 98 Prozent sowjetische Frauen erwerbstätig mit einem Anteil von 50,8 Prozent an allen Beschäftigten. Sie haben das höchste Bildungsniveau und finden sich überproportional in den untersten Positionen wieder. Sie leisten bevorzugt körperliche Schwerstarbeit und unqualifizierte Tätigkeiten bei ungleichen Löhnen unter gesundheitsschädigenden Bedingungen, zum Beispiel in Nachtarbeit. Obwohl verboten, sind diese Schichten überwiegend zu Frauenschichten geworden, und in den mit modernen Anlagen ausgerüsteten Männer-Betriebe nicht bekannt. Frauen arbeiten, wo Mechanisierung und Automatisierung am weitesten zurückgeblieben sind, und in jenen pädagogischen und medizinischen Bereichen, die das geringste Sozialprestige und Lohnniveau haben. Drangen Frauen in traditionell männliche Berufszweige ein, folgte nach kurzer Zeit der Prestigeverlust für diesen Beruf. Die Frauen haben erheblich niedrigere Löhne, die Männer die Kommandoposten. In der Industrie ist die Lohngruppe der Frauen im Durchschnitt eine Stufe niedriger als die der Männer.

Zu Hause mimen die Herren in besonderer Einzigartigkeit die Paschas, während die Frauen die zweite Schicht der Haus-, Familien- und Kinderarbeit ohne Haushaltsgeräte, in engen Wohnungen und mit endlosem Schlangestehen beim Einkaufen bewältigen. Für das Wort Heirat gibt es in der russischen Sprache zwei Wörter. Der Mann heirat „auf“ seine Frau, die Frau „hinter“ ihren Mann. Daß Verhütung Frauensache ist, versteht sich von selbst. Daß es keine Verhütungsmittel gibt, ist bekannt. Daß es statt dessen „Massenabtreibungen“ gibt, ist nicht länger ein Geheimnis. Daß die Gesundheit der Frauen dabei ruiniert wird, auch nicht. In der Kinder- und Säuglingssterblichkeit ist die Sowjetunion Weltspitze. Prostitution gibt es allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz, bestraft werden statt der Männer die Frauen. Von alltäglicher Gewalt gegen Frauen ist sicherlich auszugehen. Die Medien kann all das nicht hindern, ein Bild häuslichen und mütterlichen Glücks in schönster Idylle zu zeichnen. Die Scheidungszahlen sprechen vom Gegenteil. Seit 1960 haben sie sich verdreifacht. In den Großstädten wird die Hälfte der Ehen wieder geschieden. In 70 Prozent der Fälle geht die Initiative von den Frauen aus.

So kann es nicht weitergehen, dämmert den Beteiligten. Aber wie reagiert die Politik? An der Oberfläche fällt auf: die Entdeckung der Frau als Hort der Schönheit, die das triste Leben bunter und den kranken Sozialismus anziehender machen soll. Raissa Gorbatschowa, hochgebildete Philosophie -Professorin, ist es gestattet, an der Seite ihres Mannes (bislang war dies ein absolutes Tabu!) für den neuen Politikkurs schöne und charmante, ganz auf der Höhe der westlichen Zeit befindliche Botin zu sein, Mittel der Werbung für das Land. Zum Dank wird sie auf Fotos abgebildet, in der Öffentlichkeit wird ihr Name nicht mehr unterschlagen. Das verlangt der internationale Wettbewerb um die öffentliche Meinung, dessen Regeln von den westlichen Marktgesetzen bestimmt werden.

Auf der Basis ebendieser Spielregeln versucht das Land auch Anschluß an den „internationalen“, sprich US-amerikanischen und westeuropäischen Konsumstandard zu finden. Deshalb ist es Raissa Gorbatschowas zweite Aufgabe, auszukundschaften, was sich mit westlicher Hilfe für Schönheit und Charme der sowjetischen Frau tun läßt. Nach so langer Zeit der Unterdrückung weiblicher „Triebe“ im Sozialismus nämlich soll es hier „Freiheit“ geben. Westlichen Investoren winken neue Märkte im Osten. Aenne Burda zeigt sich mit den „sowjetischen Burda-Moden“, Pierre Cardin mit seinem Moskauer Kaufhaus „Lux“ hochzufrieden. Die zuvor eher behinderten (wie meinen???? d. s.in) sowjetischen Mode -MeisterInnen dürfen sich endlich entfalten. Laut Slawa Saizew, dem Star sowjetischer Haute Couture, heißt der Zeitgeist: „Jetzt hat jede russische Frau endlich das Recht, schön zu sein.“ Wer wollte einem Menschen dieses Recht bestreiten? Doch warum fangen die Männer nicht bei sich selbst an, wenn sie ihre Bedürfnisse nach Ästhetik befriedigen wollen? Es muß die Kür der ersten „sozialistischen“ Schönheitskönigin, der 17jährigen „Miß Wilna“, der zwischenzeitlich weitere folgten, herhalten, um den Konsumhunger sowjetischer Männer nach „echter Weiblichkeit“ zu befriedigen. Frauen sollen nicht länger in erster Linie als „Arbeiterinnen, Politikerinnen, Funktionärinnen wahrgenomen“ werden, läßt eine der Bewerberinnen wissen. Glasnost als Fleischbeschau? Perestroika, die Lustobjekte schafft statt erotischer Subjekte?

Der Generalsekretär meint, die Stellung des weiblichen Geschlechts gebe Aufschluß über den Grad der Emanzipation einer Gesellschaft. Doch begriffen hat er den Inhalt seiner Aussage nicht. Im Bericht an den XXVII. Parteitag verlangte er von der Frau die Festigung der Familie als Keimzelle des Staates. „Eine Voraussetzung für die Lösung vieler Familienprobleme besteht in der Schaffung solcher Arbeits und Lebensbedingungen für die Frauen, die es ihnen ermöglichen, die Mutterpflichten mit der aktiven Teilnahme an der Berufs- und Gesellschaftstätigkeit erfolgreich zu verbinden.“ Er denkt dabei an „verkürzten Arbeitstag oder -woche wie auch Heimarbeit, bezahlten Urlaub der Mütter...“ Moderne flexible Vereinbarkeit zur „Gesundung des sittlichen Potentials der Familie“ als Sozialismus? Selbstlose Friedensengelchen

Die berühmte Rede Gorbatschows vom Janaur 1987 schmückte ein Satz zur Frauenfrage. Es „geht auch um eine stärkere Einbeziehung der Frauen in die Leistungstätigkeit“. Zu welchem Zweck das geschehen soll, offenbarte er auf der Weltfrauenkonferenz im Juni 1987: „Zu allen Zeiten hoben die besten Geister die friedensstiftende Rolle der Frau hervor, ihre Fähigkeit, erbitterte Herzen weicher zu machen. Kein Wunder, daß heute die Idee des Friedens gerade in den Frauen, denen es von Natur bestimmt ist, das Menschengeschlecht zu wahren, ihren uneigennützigsten, selbstlosesten (Hervorhebung d.V.) Massenverteidiger findet.“

Auf zwei von 343 Seiten erläutert Gorbatschow Ende 1987 in seinem Buch „Perestroika“, daß die Frauen „nicht mehr genügend Zeit haben, um ihren täglichen Pflichten zu Hause nachzukommen - dem Haushalt, der Erziehung der Kinder und der Schaffung einer familiären Atmosphäre“.

Wenige Tage vor der Allunionskonferenz forderte Tatjana Sasslawskaja, Beraterin Gorbatschows, Maßnahmen, um die Beschäftigungsrate der Frauen zu senken. Der Anstieg der Jugendkriminalität könne auf eine Vernachlässigung der Kinder durch ihre Eltern zurückgeführt werden. Der Präsident des neugegründeten sowjetischen Kinderfonds, Albert Lichanow, will angesichts des großen Problems „moderner Waisenkinder“, deren Eltern leben, aber sich um die Kinder nicht kümmern, den „Kult der Familie“ wiederherstellen. Nachdem an der sowjetischen Art der Staatserziehung überfällige berechtigte Kritik angemeldet wird, beschwört man jetzt die „Natur“ der Frauen. Väter bleiben zwar nicht gänzlich unerwähnt, aber „die Natur hat Mutter und Kind mit so vielen Fäden verbunden, daß sie nicht zerrissen werden können“. Beanstandet wird, daß „Mädchen immer seltener 'Mutter und Kind‘ spielen“ und „langjährig nicht geschlechtsspezifisch erzogen worden sind“. Lösungsvorschläge

aus der Mottenkiste

Die Probleme sind kaum zu leugnen. Die Lösungsvorschläge greifen allerdings ins vorige Jahrhundert zurück. Das strukturelle Problem der doppelten Arbeit der Frau, deren Arbeit im Haus und an den Kindern in die gesellschaftliche Definition von Arbeit nicht einfließt (und damit patriarchalische Herrschaft ausdrückt), wird nicht aufgedeckt. Seine Auflösung durch private und gesellschaftliche Neugestaltung beider Arbeits- und Lebensbereiche für beide Geschlechter wird nicht ins Auge gefaßt.

Allerdings scheinen sehr viele Frauen diesen Tendenzen zuzustimmen. Umfragen zufolge würden 40 Prozent der berufstätigen Frauen lieber zu Hause bleiben, wenn das Geld ihrer Männer reichen würde. Viele machen sich Sorge um ihre Weiblichkeit und identifizieren sich mit der Zuständigkeit für Gefühle und Fürsorge für Männer und Kinder, als Hüterin privater Wohligkeit. Überraschen kann das kaum. Der materielle Entwicklungsstand der sowjetischen Gesellschaft ließ den Frauen nie viel Zeit zum Leben. Seit vielen Generationen haben sie hart geschuftet. Die Oktoberrevolution war für sie eine halbierte, abgebrochene Revolution. Im großen „vater„ländischen Krieg wurde ihnen die ganze Überlebenslast aufgebürdet. In geduldiger Aufopferung trösteten und heilten sie die Wunden des Landes. „Mütterchen Rußland“, die Mamuschka, ist die Seele des Landes. Das öffentliche Erziehungssystem ähnelt einem Kasernenhof, das private wird von gläubigen Großmüttern getragen. Die Rolle der Kleinfamilie ist unangetastet. Der Grad an Demokratieentwicklung und Öffentlichkeit behinderte bislang die eigene Willensbildung der Frauen nachhaltig. Wer könnte das Bedürfnis nach weniger Arbeit, mehr Konsum, Mode, Schönheit und freier Zeit den Frauen verdenken? Ihre Unzufriedenheit ist allemal berechtigt.

Doch nicht überall gibt es Zustimmung zur offiziellen Entwicklungsrichtung. Unter den Frauen in Wissenschaft, Literatur und Politik gibt es eindeutig eine Tendenz, die die Männergesellschaft aufs Korn nimmt. Diese Frauen wollen hinein in die Spitzenpositionen und alle bislang verschlossenen gesellschaftlichen Bereiche. Sie verlangen von den Männern Beteiligung an der Haus- und Familienarbeit. Soja Puchowa, Vorsitzende des „Komitees der Sowjetfrauen“, keineswegs Spitze der Frauenbewegung, erteilt der „Nostalgie über die gute alte Zeit, als die Frauen noch 'ihren Platz kannten'“ eine Absage. Instrumente in Frauenhand

So zeigt sich Gorbatschows Frauenpolitik widersprüchlich: es ist ein Fortschritt, daß die Diskussion über die unerledigte Frauenfrage nicht mehr vollständig tabuisiert ist, daß Frauen - und sei es zur Zeit noch minimal - auf der Bühne der Politik wieder erscheinen. Die Diskussion kann neu eröffnet werden und wird neue Widersprüchlichkeiten freisetzen. Mit Frauenräten wird ein Instrument geschaffen, das Frauen auch eigenständig, sich autonom emanzipierend nutzen können.

Für die Frauen sind zwei Entwicklungstrends denkbar: eine (Teil-)Wiederbelebung der Rolle der Hausfrau und Mutter, wobei Frauen auch als gehobene Lust- und Werbeobjekte behandelt werden. Der Druck der materiellen Lebenslage der Frauen, die Dauerkrise in den Familien und das völlige Unvorbereitetsein der Männer auf eine andere Verantwortung sprechen dafür. Dagegen sprechen die Erfahrungen, die Frauen mit ihrer Berufstätigkeit und der Zuständigkeit der Gesellschaft in Form des (schlecht arbeitenden) Staates für Kinderbetreuung gemacht haben. Sie haben nach Soja Puchowa einen „neuen sozialen Frauentypus“ hervorgebracht. Dagegen sprechen ebenfalls die Bedeutung der Frauen für die (wirtschaftliche) Perestroika, die selbstgestellten emanzipatorischen Ansprüche auch eines „zurückgenommenen“ Sozialismus und der Einfluß des internationalen Feminismus. Eine weltoffene Sowjetunion wird sich von ihm nicht länger abschotten können. Wenn der Streß um zu wenig Geld und zu enge Wohnungen und zu schwere Arbeit ein wenig nachgelassen hat, wird der „Kampf der Geschlechter“ erblühen.

Die Schriftstellerin Maja Ganina meint: „Solange die Perestroika nicht ins Erdgeschoß des Lebens, zu jeder einzelnen Frau vordringt, wird sich ebenfalls kaum etwas ändern. Wenn wir schon im Ernst von einer Revolution sprechen wollen, müssen wir unverzüglich auch die schiefe Lage des Menschen Frau geraderücken.“

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