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Keine Kunst ohne Rezipient

■ Interaktive Kunst im öffentlichen Raum an der Alster

Dies ist kein Kunstwerk im engeren Sinn. Das seit gestern an der Ecke Lombardsbrücke/Ballindamm installierte Projekt Letter-Rag fungiert als Angebot der Kommunikation und als Aufforderung zur Auseinandersetzung mit Kunst im öffentlichen Raum. An der Stelle, wo der belgische Künstler Luc Deleu bis 1994 seinen Großen Triumphbogen aus Containern ausstellte, blieben nach dem Entfernen der Konstruktion lediglich zwei Betonsockel, die eigentlich nur als Sitzgelegenheit zu gebrauchen waren. Letter-Rag unterstützt zwar diese Verwendungsmöglichkeit mit seinem Sitzbankensemble weiterhin, das gesamte Spektrum des Projektes reicht jedoch weiter. Es gilt, einen Fixpunkt für das öffentliche Interesse an Kunst zu schaffen, falls, denn das will man ebenfalls auf die Probe stellen, es das überhaupt gibt. Das Schlagwort interaktiv soll diejenigen locken, denen es zu langweilig ist, Kunstwerke auschließlich betrachten zu können. Über eine angrenzende Telefonzelle, die als lockerer Bestandteil der Installation zu verstehen ist, und eine gebührenfreie Nummer kann der Interessierte sich zahlreiche Informationen zur Kunst über einen eigens hierfür eingerichteten Telefondienst zugänglich machen, aber vor allem auch Kritik, Kommentare und Fragen anbringen.

In den zum Teil aus beinlosen Sitzflächen bestehenden Bänken befinden sich Glasvitrinen, die das „Logo“ des Projektes enthalten: Ein Druckklischee. Eben diese neutral wirkende Mustertafel steht als Ausdruck für corporate identity, was hier „eine Aussage über Zugänglichkeit ist“, so Initiator Ulrich Mattes. Seinen eigentlichen kommunikativen Sinn würde das von der Kulturbehörde unterstützte Projekt nämlich erst durch die aktive Beteiligung des Rezipienten erfahren. Ohne den Betrachter, der hier vielmehr als Nutzer zu sehen ist, wäre letter-Rag ein leeres Blatt. An diesem Experiment soll sich zeigen, inwieweit Kunst überhaupt noch tauglich ist, außerhalb von Museen und Galerien zu bestehen.

Jan-Christoph Wolter

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