: Keine Kunst ohne Kapital
In Bern setzt sich die Berliner Konzeptkünstlerin Maria Eichhorn mit dem Selbstverständnis des Ausstellungsbetriebs auseinander, indem sie vor Ort die morsche Kunsthalle renovieren lässt
von HARALD FRICKE
Bern ist reich, Bern hat einen mittelalterlichen Stadtkern, Bern ist so mustergültig, wie man es sich von der Hauptstadt der Schweiz überhaupt nur vorstellen kann. Und doch sieht es auf dem Weg durch die Vororte nicht anders aus als in den Außenbezirken von Wien oder Warschau: Outlet-Fabriken aus Vollbeton, aseptische Hotelschachteln, rostzerfressene Bahn-Container in der Abendsonne. Bern ist grau, das ist die Farbe der Ökonomie, des Handels und der Märkte.
Von Kunst erwartet man unter solchen Vorzeichen viel. Sie soll den Menschen einen sozialen Abgleich mit der Realität bieten und zugleich die lokale Attraktivität steigern. Immer mehr wird mit dem kulturellen Angebot auch im globalen Konkurrenzkampf für den Standort geworben. Kein Konzern kann es sich heute noch erlauben, seine Angestellten, zumal im Managementbereich, in die Einöde kalter Funktionalität zu schicken: Nach Dienstschluss entscheidet nicht die gute heimische Küche oder sauberes Leitungswasser über Lebensqualität, sondern das magische Entertainment-Dreieck aus Kino, Konzert, Kunst. Bern hat zwar ein paar Schwulenbars und jede Menge Klassik, aber das Programm ist gerade in Sachen Stadtmarketing noch überaus ausbaufähig.
Es sind diese Erwartungen an eine höhere städtetouristische Rendite, die Maria Eichhorn mit ihrer Ausstellung „Das Geld der Kunsthalle Bern“ enttäuscht. Knapp 30 Minuten dauert der Rundgang durch die vollkommen leeren Galerieräume und den Verwaltungstrakt im Keller. Dort erfährt man, dass der Kamin saniert werden muss, weil seit einiger Zeit Rauch und Russ austreten. Außerdem soll ein Boiler die Damentoilette mit Warmwasser versorgen, und die Elektrik braucht neue Leitungen. Als die Führung im Untergeschoss angelangt ist, raunt eine ältere Dame ihrer Begleitung zu: „Das ist doch Hans Haacke, so aggressiv und furchtbar deutsch!“
Zuvor hat Kunstvereinsleiter Bernhard Fibicher die Gruppe auf Risse im Fußboden aufmerksam gemacht, die dringend verfugt werden müssen, damit das Haus nicht irgendwann auseinander bricht. Doch zum Glück könne die entsprechende Renovierung dank der Initiative von Maria Eichhorn schon bald ausgeführt werden. Für 5.000 Schweizer Franken, aus dem Budget der Künstlerin.
Eichhorns Projekt ist leicht zu fassen: Während der sechswöchigen Ausstellung wird das Gebäude in Stand gesetzt. Bilder gibt es keine an den Wänden; stattdessen kann man zusehen, wie Kräne auf dem Dach neue Lichtkuppeln einsetzen, Handwerker im Café eine Belüftungsanlage einbauen und Dichtungsprofile an der Eingangstür anbringen, damit es für das Kassenpersonal nicht mehr so sehr zieht. Wer keine Lust auf Baustelle hat, wird mit einem minimalistisch gestalteten Textplakat vor dem Haus darüber informiert, was alles getan wird in seinem Kunstverein.
Die gesamten Kosten für das Projekt der Berliner Künstlerin liegen bei gut 70.000 Franken, von denen 55.000 Franken aus ihrem Ausstellungsetat stammen, den Rest hat die Stadt nach anfänglichem Zögern draufgelegt. Uneigennütziger kann man sich künstlerische Arbeit kaum vorstellen, und trotzdem ist die Provokation groß. Plötzlich wird das Publikum Zeuge davon, wie hinter den Kulissen der Ausstellungsbetrieb funktioniert. Das gibt auch ohne viel Betrachtung zu denken.
Die Klarsicht, mit der Eichhorn bei ihren Eingriffen im institutionellen Raum vorgeht, kommt nicht von ungefähr. Seit bald zehn Jahren arbeitet sie immer wieder daran, die Maschinerie im Kern von Museen oder Kunstvereinen sichtbar zu machen: 1993 ließ sie für eine Gruppenausstellung im Antwerpener Museum für zeitgenössische Kunst einen „Französischen Balkon“ installieren, von dem man aus dem ansonsten fast fensterlosen Haus auf die Docks am Hafen blicken konnte. Für die Zeit der Ausstellung war die Wahrnehmung der Wirklichkeit draußen dem Innen der Exponate anderer Künstler zumindest visuell gleichgesetzt. Danach wurde das Fenster wieder entfernt, ganz so wie die übrigen Skulpturen und Gemälde auch.
Im gleichen Jahr ging Eichhorns „Wiederaufnahme der Arbeit am Nordwestturm“ in Warschau noch weiter in Richtung einer Auflösung der Grenzen zwischen Kunst und Realität. Dort wurde die Fassade des baufälligen Ujazdowski-Schlosses, das seit 1981 als Kunstzentrum dient, neu verputzt. Die Aktion war keineswegs nur eine gut gemeinte Aufhübschung der historischen Gebäudesubstanz. In der Rekonstruktion spiegelte sich auch der zweifelhafte Umgang mit Raum in postsozialistischen Gesellschaften wieder: Während mit öffentlichen Geldern vor allem prächtige Glaspaläste für ausländische Investoren gefördert wurden, lag das Engagement auf dem kulturellen Sektor einigermaßen brach. Der Denkanstoß hatte Folgen, das Projekt wurde nach der ersten Intervention durch Eichhorn von staatlicher Seite fortgesetzt.
Allerdings hat es Kunst, die Aussagen über reale Verhältnisse macht, immer noch schwer mit der Legitimation. Was der Öffentlichkeit bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen nützen soll, wird nicht immer als ästhetischer Mehrwert verstanden. Nachdem Mitte der 90er-Jahre vor allem in Österreich Kunst über soziale Praxis definiert wurde, schrieb Peter Weibel 1999 mit dem für ihn typischen Furor im Katalog zur Venedig-Biennale: „Die Kunst hat es bisher zugelassen, dass an die Stelle des Bildes, des Symbols und der Simulation reale Gegenstände treten. Sie weigert sich aber, realen Handlungen den Status der Kunst zu verleihen.“ Offenbar war Weibel als Kurator des österreichischen Pavillons zum Handeln gezwungen: Die Geschwister Christine und Irene Hohenbüchler hatten auf dem Gelände ein „Mutter-Kind-Haus“ für traumatisierte Flüchtlinge aus Bosnien bauen lassen. Das politisch motivierte Statement war kaum noch von vorbildlicher Sozialarbeit zu trennen.
Diesen Weg geht Eichhorn mit ihren Interventionen nicht. Die Anbindung an gesellschaftliche Prozesse heißt bei ihr wesentlich: die eigene Rolle im Diskurs überprüfen. Wo ist denn hier die Kunst, mag sich zwar mancher Besucher im leer geräumten Berner Kunstverein fragen, während um ihn herum das kulturelle Feld neu vermessen wird. Darin ist die Irritation, die die Arbeiten von Eichhorn hervorrufen, durchaus zielgerichtet. Denn die Wahrnehmung von Kunst erschließt sich weder über den erweiterten Rahmen sozialer Kompetenz noch über das Dargestellte allein – sondern in beiden Fällen über den Apparat der Repräsentation: Ohne den Auftritt im Museum wäre auch Duchamps Urinoir bloß ein Pissbecken unter vielen gewesen, so wie das „Mutter-Kind-Haus“ besser außerhalb der venezianischen Gärten in den Maßnahmenkatalog der UNHCR gepasst hätte.
Dagegen wird der Kontext bei Eichhorn zur Metaerzählung über den Ausstellungsbetrieb erweitert und bleibt dennoch auf die konkrete Produktion beschränkt. Schließlich ist jeder Arbeitsschritt, der während der Umbauten stattfindet, durch die künstlerischen Vorgaben festgelegt. Mehr noch, genau genommen wird in Bern der Kunstverein selbst als Skulptur im Rahmen einer work in progress fertig gestellt. Früher hätten junge Wilde an gleicher Stelle vielleicht schön expressiv die Wände mit dem Vorschlaghammer malträtiert, ohne damit die Institution groß infrage zu stellen. Dann wären nach der Triebabfuhr die Handwerker eben zum Aufräumen gekommen.
Den Mythos vom Künstler als kämpferischer Avantgarde schreibt Eichhorn um. Ihr Eingriff verklärt die bestehende Dominanz des White Cube nicht; vielmehr macht sie sichtbar, wie Kunst immer auch instrumentalisiert wird. Künstler kommen und gehen mit jeder neuen Ausstellung, das Betriebssystem aber bleibt stets das gleiche – Hauptsache, die Maschine funktioniert. Insofern sind die Reparaturen nicht nur Mängelbeseitigung, sondern ein nicht ganz unironischer Kommentar zum Selbstverständnis der damit verbundenen Institution. Dazu passt noch der kleine Fauxpas in der Eröffnungsrede des Kunstvereinsleiters: „Wir stehen auch lieber mit einem Glas Champagner vor den Bildern“, meinte Bilicher.
Nun hat er eine Künstlerin im Haus, die sich Gedanken über die Bedingungen des Ausstellens macht. Dabei gilt vor allem: keine Kunst ohne Kapital. Deshalb hat Eichhorn neben der Renovierung des Hauses in den Archiven zur Geschichte des Vereins gewühlt, hat Statuten durchforstet, alles zusammen in einem Künstlerbuch dokumentiert und als zweiten Teil ihres Projekts eine Neuauflage von Anteilscheinen initiiert, mit denen 1912 das Gründungskapital des Kunstvereins zusammengetragen wurde. Wer will, kann nun für 500 Franken Teilhaber werden, ansonsten ist das Papier zugleich auch ein Auflagenobjekt der Künstlerin.
Der Prozess, den Eichhorn mit dieser Beteiligung in Gang setzt, hat in Bern wiederum künstlerische Tradition. Damals war es der Wunsch der ansässigen Künstler gewesen, sich einen autonomen Ort zu schaffen, der nicht vom Wohlwollen der Mäzene abhängig sein sollte. Selbst Ferdinand Hodler hat für dieses Aufbegehren eine Zeichnung gestiftet, die 1917 bei einer Auktion zu Gunsten des Kunstvereins über 14.000 Franken brachte. Heute ist das Haus jedoch ständig auf Zuwendungen privater Geldgeber angewiesen, weil allein die jährlichen Zinsen für ein städtisches Darlehen keinen großen Handlungsspielraum zulassen. Selbst die so notwendigen Renovierungsarbeiten wurden bislang aufgeschoben, da Bern die zusätzlichen Kosten nicht tragen wollte. Das gibt Eichhorns zunächst eher unspektakulärer Arbeit am Ende kulturpolitischen Konfliktstoff.
Während der Kunstverein früher ein Aushängeschild für die Freiheit der Kunst in der Schweiz war, kann er mittlerweile ohne Sponsoren kaum noch existieren. Dass damit Probleme verbunden sind, wusste der Verein schon 1968. Seinerzeit hatte Philipp Morris eine Ausstellung unterstützt, und man befürchtete die Vereinnahmung durch den Konzern bei zukünftigen Kooperationen. Der Imagetransfer war dann in der Tat enorm nachhaltig: Die von Harald Szeemann kuratierte Schau „When Attitudes Become Form“ wurde für ihn zum Sprungbrett einer Karriere als weltweit hofierter Ausstellungsmacher. Mit ihrem Renovierungsprojekt hat Eichhorn nun noch einmal bewiesen, dass Attitüde Form schafft: „Das Geld der Kunsthalle Bern“ ist in neuen Lichtkuppeln und sandmattierten Glasscheiben jedenfalls gut aufgehoben.
Bis 9. 12., Kunsthalle Bern; der Katalog kostet 36 sFr.
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