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Keine Hilfe für Übersiedler

■ Übersiedeln soll erschwert werden / BRD-Politiker initiieren Gesetzesvorlage mit Leistungskürzungen / 70 Prozent der Übersiedler arbeitslos

Bonn (adn) - Politiker aller in Bonn vertretenen Parteien haben am Dienstag ihre Forderungen nach einem Kurswechsel bei der Aufnahme von Aus- und Übersiedlern in der Bundesrepublik bekräftigt. Sowohl die von Oskar Lafontaine geführte Regierung des Saarlandes als auch Bayern wollen in die für den 16. März anberaumte Sitzung des Bundesrates Gesetzent- würfe und Entschließungsanträge einbringen, mit denen das Notaufnahmeverfahren und die Sonderleistungen abgeschafft werden sollen. Freiwerdende Finanzmittel sollten zur sozialen Absicherung der Menschen in der DDR umgelenkt werden. In der vom saarländischen Ministerpräsidenten eingebrachten Vorlage wird AP zufolge auch das grundlegende Überdenken des Fremdrentenrechts angeregt. Lafontaine begründete diesen Schritt unter anderem damit, daß die sozialen Probleme immer größer würden, wenn Kohl „störrisch und uneinsichtig an seiner Tatenlosigkeit“ festhalte. Ein Beispiel sei die Sozialversicherung, in der ein Dreiklassensystem entstehe. So nehme die Zahl der Bürger mit Ansprüchen aus Fremdrenten, die höher lägen als die in der Bundesrepublik erworbenen Renten, immer mehr zu. Dies werde später auch zu einer Verärgerung bei den Menschen führen, die in der DDR blieben.

Die Forderungen nach einer Wende in der Übersiedlerpolitik unterstützten am Dienstag Nordrhein-Westfalens Regierungschef Johannes Rau (SPD) sowie der rot-grüne Westberliner Senat. Der Senat argumentierte, Vertreibungsdruck und politische Verfolgung seien entfallen. Die Übersiedlung von Halle nach Berlin sei heute nicht anders zu bewerten als die von Hamburg. Für eine Schließung der Auffanglager nach den Wahlen in der DDR sprach sich am selben Tag die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Christa Thoben aus. Bundesinnenminister Schäuble vertrat die Auffassung, bei einer Abschaffung des Notaufnahmeverfahrens und einer Schließung der Übersiedlerlager müßten sich DDR -Bürger, die noch in die Bundesrepublik übersiedeln wollen, entweder auf eigene Faust Wohnung und Arbeit suchen oder sich bei den Kommunen als Obdachlose oder Sozialhilfeempfänger melden.

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