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Archiv-Artikel

Keine Heimat

Lidokino (9): Neue Filme von Edgar Reitz und Wim Wenders sowie die alte Frage: Wer schützt uns vor Amerika?

Für die „Heimat“ bin ich nicht gemacht. 1984, als die ersten elf Folgen von Edgar Reitz’ monumentaler Chronik ausgestrahlt wurden, war ich 16 und zu sehr an der Ferne interessiert, als dass mich ein Dorf im Hunsrück interessiert hätte. 1992, als die Serie fortgesetzt wurde, war ich auf dem Sprung zum Auslandsstudium. Heute, da die „Heimat“ zum dritten Mal nach Venedig kommt, sehe ich zwar das Leuchten in den Augen der Kollegen, sobald sie sich an die ersten beiden Teile erinnern. Klar, dass sie einen Pflichttermin für die deutsche Presse bildeten. Doch jedes Mal, wenn ich es mit einer der sechs neuen Folgen versuchte, konnte ich Schönheit und Modernität darin nicht entdecken.

Stattdessen sind die Figuren und ihre Konflikte in der ersten Episode, „Das glücklichste Volk der Welt“, und in der dritten, „Die Russen kommen“, enorm vorhersehbar. Romantik-Verweise auf Friedrich Hölderlin, den Loreley-Felsen und Franz Schubert sind in großer Zahl vorhanden, wirken aber wie angeheftet: eine echte Reflexion über das Verhältnis von Romantik, Landschaft und Nationenbildung bleibt aus.

Einmal, zu Beginn der Neunzigerjahre, reist Hermann nach Osten, und gleich rücken dekorativ ein paar Skins ins Bild, sodass jeder merkt: Zu dieser Zeit gab es in den neuen Ländern ein Problem mit Nazis. Vielleicht gibt es an „Heimat 3“ etwas, das mir entgangen ist. Vielleicht muss man alle Teile am Stück schauen, elf Stunden und 20 Minuten, bis sich Intimität und Hypnose der longue durée einstellen. Dann würden die Figuren zu so etwas wie der eigenen Verwandtschaft, die Hunsrücker Stuben und Zimmer, Straßen und Feldwege wären vertraut. Man würde die Protagonisten bald besser kennen als Mutter Beimer, und das hätte etwas Tröstliches. Etwas Klebriges aber auch: Heimat eben.

Wie jedes Festival hat die Mostra Termine, auf die man sich freut, und solche, die man wahrnehmen muss. Wim Wenders’ Wettbewerbsbeitrag gehörte zur zweiten Kategorie. „Land of Plenty“ ist ein Zwischenprodukt, aus einem Zeitloch geboren. Die Dreharbeiten für den ursprünglich geplanten Film, „Don’t Come Knockin’“, verzögerten sich. So habe er „einen ganzen Sommer“ vor sich gehabt, schreibt Wenders im Presseheft, „mehrere Monate, in denen ich tun konnte, wozu immer ich Lust hatte“.

Das Resultat ist ein Film, der sich als Kommentar auf eine seit 9/11 zutiefst veränderte USA versteht. Ein älterer Mann, Paul (John Diehl), verdingt sich auf eigene Faust in Sachen Homeland Security. In einem mit Überwachungsequipment hochgerüsteten Wagen patrouilliert er durch Los Angeles und führt dabei paranoide Selbstgespräche. Als seine Nichte Lana (Michelle Williams) nach zehn in Afrika und Nahost verbrachten Jahren in die USA zurückkehrt, will er zunächst nichts von ihr wissen, denn ihre verstorbene Mutter, seine Schwester, war eine der ihm verhassten „Liberals“. Nach und nach kommen sich Onkel und Nichte trotzdem näher. Am Ende nehmen sie die klassische Filmroute: Sie durchqueren das Land von Los Angeles bis New York, bis sie am Ground Zero zur Ruhe kommen.

Leider sind die digitalen Bilder des Kameramanns Franz Lustig so verhuscht, bleiben die Figuren so plakativ und zugleich vage, wird das Politische des Films so laut ausgesprochen, dass „Land of Plenty“ in keinem Augenblick etwas anderes als ein Pflichttermin ist. CRISTINA NORD