: Keine Göre
■ In Atlanta will Sandra Völker aus dem Schatten von Franziska van Almsick schwimmen Von Martin Sonnleitner
An Pfingsten dieses Jahres erinnert sich Sandra Völker gerne. Bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig, gleichzeitig auch Olympia-Qualifikation, war nicht wie erwartet Franziska van Almsick der Star gewesen, sondern die 22jährige von der SG Hamburg. Während Franzi fast unterging, erschwamm sich Völker gleich drei Plätze für Atlanta: über 50 bzw. 100 Meter Freistil und 100 Meter Schmetterling.
Dennoch gehörten nach dem Wochenende dem Berliner Teenie-Idol die Schlagzeilen: Außer der Hamburger Lokalpresse waren die Medien mehr am Scheitern der Franziska van A. interessiert, als daß sie groß über Völkers Erfolge berichtet hätten. Die mangelnde Aufmerksamkeit störe sie nicht, sagt die gebürtige Lübeckerin. Es gehöre einfach dazu: „Steffi Graf wird in den Medien auch Anke Huber vorgezogen.“ Und den Wunsch, „den großen Sprung in Richtung Popularität machen zu wollen“, habe sie schon mit 18 abgelegt.
Angefangen hat die Schwimmkar-riere von Sandra Völker nicht im blauen Becken, sondern an der Ostsee. Als Vierjährige wäre sie beinahe ertrunken, woraufhin ihre Eltern sie schleunigst in den Schwimmverein steckten. Es sollte sich lohnen: Mit 14 wurde die damalige Aktive der SG Norderstedt Dritte bei den Jugendeuropa-meisterschaften – nach nur einem Jahr Leistungssport. „Eigentlich habe ich damit viel zu spät begonnen“, resümiert Sandra Völker das erste Kapitel ihrer bisherigen Laufbahn, „andere fangen mit fünf oder sechs an.“
Doch so geradlinig sollte es für die zwölffache Sprinteuropameisterin, die die meisten ihrer Erfolge auf der 25-Meter-Kurzbahn erzielte, nicht weitergehen. Das vergangene Jahr war der bisherige Tiefpunkt. Krankheit und Motivationsprobleme ließen die 1,82 Meter große und 71 Kilogramm schwere Athletin in ein Formtief stürzen: Völker wurde aus dem Nationalkader gestrichen, die EM in Wien fand ohne sie statt. Wie die „letzte Niete“ habe sie sich damals gefühlt, blickt sie zurück: „Ich habe meine ganze Person in Frage gestellt.“
Nach vielen Gesprächen und mit Hilfe von Dirk Lange, ihrem Freund und Trainer, schwamm sich Völker wieder frei. Die Deutschen Meisterschaften waren nur ein Zwischenziel, in Atlanta sollte es schon Edelmetall werden. Ihre jüngsten Erfolge in Braunschweig, die ihr erstmals Bestätigung auf der 50-Meter-Bahn einbrachten, will die Schwimmerin deshalb nicht überbewerten. „Ich habe noch keine olympische Medaille gewonnen“, weiß auch die passionierte Surferin, was zählt. Zu oft hatte sie schon bei nationalen Wettkämpfen Titel gleich reihenweise ersprintet, um bei den wirklich wichtigen Auftritten schwache Nerven zu zeigen.
Damit dies bei ihrer ersten Olmypiateilnahme nicht wieder passiert, trainiert die dreimalige Hamburger Sportlerin des Jahres vier bis fünf Stunden täglich. „Bei idealen Bedingungen knüppeln und Wettkämpfe einstreuen“, gibt Dirk Lange die Marschroute vor. Der 31jährige gehörte selber einmal zur nationalen Schwimmer-elite. Völkers Lebensab-schnittsgefähr-te erweitere auch ihr Trainingsprogrammum zwei Stunden Kraftraum täglich. Obwohl Völker für die SG Hamburg startet und im Olympiastütz-punkt Dulsbergbad trainiert – dort, wo einst auch Stefan Pfeiffer sein Olympiasilber erarbeitete –, ist es reines Einzeltraining.
Mit Verstecken habe das nichts zu tun, sagt Völker, die sich in dieser Saison noch nicht den starken Gegnerinnen aus China und den USA gestellt hat: „Ich kann mich so einfach besser auf die Wettkämpfe vorbereiten.“ Dennoch werfen ihr manche vor, sich zu drücken: Sandra Völker habe zwar in diesem Jahr überraschend gute Ergebnisse erzielt, aber eigentlich zähle nur der direkte Vergleich. Daran wird die Modellathletin bei Olympia nicht vorbeikommen: Nur wenn sie die internationale Konkurrenz hinter sich läßt, kann die Endlaufteilnahme ein realistisches Ziel bleiben.
Nach einem etwaigen sportlichen Erfolg soll endlich auch der Rubel rollen, der bislang nur kullerte. An die millionenschweren Sponsorenverträge wie sie every-body's darling van Almsick einstreicht, reichen die Werbegelder Völkers noch lange nicht heran. Eine Medaille wäre die beste Empfehlung für besser dotierte Kontrakte. Leichte Fortschritte sind schon jetzt zu verzeichnen. „Seit ihren jüngsten Erfolgen hat das Interesse zugenommen“, weiß Lange, der kürzlich seine Manager-Aufgaben an eine Sportmarketing-Firma abgab.
Am 12. Juli beginnt für die Hanseatin, die aufgrund der Spiele ihr Abitur im Herbst nachholen darf, das Abenteuer Olympia. Ihr Flieger landet in South-Carolina, von wo aus es weiter nach Atlanta geht. Die Spiele 96 sind wohl ihre letzte Chance, sich noch einmal in den Vordergrund und vielleicht auch an Franzi vorbei zu schwimmen. Zu den besten deutschen Schwimmerinen gehört sie bereits, doch um auf den Sportolymp zu gelangen, bedarf es etwas mehr als nur wuchtiger Armschläge und perfekter Wenden.
Später möchte sie gerne Journalistin werden, bekennt die junge Frau, die nicht gerne viele Worte über ihre Leistungen verliert. Ist es Bescheidenheit? Namen sind nur „Schall und Rauch“, sagt sie. Von Verbitterung oder Neid will Sandra Völker nichts wissen. Vielleicht wäre sie einfach gerne einmal die freche Göre Almsick, nur für einen Tag – und im Mittelpunkt.
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