grünen-klausur: Keine Experimente
Würden die Grünen auf die Idee kommen, Joschka Fischer kurz vor der Bundestagswahl in die zweite Reihe zurückzuzerren? Weil er schon so lange vorne sitzt? Natürlich nicht. Er ist der Stimmenzieher und Redner Nr. 1 der Partei, auch über 16 Jahre nach seinem Einstand als Turnschuhminister. Was für Fischer gilt, wollten einige Wolfgang Wieland nicht zubilligen. Der ist zwar erst 53, gilt als Spitzenmann am Rednerpult, war Aufklärer im Bankenskandal – und sollte doch nach hinten rücken.
Kommentar von STEFAN ALBERTI
So war in dieser Woche hinter vorgehaltener Hand und von Adrienne Goehler ganz offen zu hören. Die Fraktion müsse sich erneuern, eine andere Spitze bekommen. Das ist nicht ungewöhnlich zu Beginn einer neuen Wahlperiode. Doch diese fällt ins Jahr der Bundestagswahl, die nicht nur Wieland als schicksalhaft für die Grünen bezeichnet. In dieser Lage kann sich die Partei keine Fehler erlauben, die auch ein guter Neuer am Anfang zwangsläufig macht. Es gilt der Adenauer-Slogan: „Keine Experimente!“
Offenbar sehen das auch jene in der Fraktion so, die sich vorher anders äußerten – sonst wäre Wieland nicht ohne Gegenstimme wieder gewählt worden. Er kann, wenn er will, der Mentor für Volker Ratzmann sein, als den ihn Sibyll Klotz sieht. Er kann ihn mittelfristig für die Spitzenrolle fit machen. Ein Ratzmann schon jetzt ganz vorn, gestützt auf die Hilfe anderer – das hätte wenig überzeugend gewirkt. Zumal in einer Situation, in der die Grünen mit ihrer Rolle als „andere Opposition“ eine Zwischen-Baum-und-Borke-Strategie fahren – oder fahren müssen, weil zu viel von ihren eigenen Ideen im Koalitionspapier steckt. Diese Zwitterrolle zwischen Regierung und Hau-drauf-Opposition wird schwer rüberzubringen sein. Auch wenn Klotz ihren Wählern schmeichelt, dass die differenzieren könnten und zwischen die Pole gucken: Fußball wird auch nicht auf drei Tore gespielt.
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