: Keine Angst vor Sinnlichkeit
Gero Fallisch stellt Seifen für Männer her, die besondere Düfte wertschätzen können. Maskulinität ist für ihn eine Frage der Haltung
Von Luciana Ferrando (Text) und Toni Petraschk (Fotos)
Manche Leute stellen sich vor, wie etwas schmeckt, und kochen dann ein Gericht. Gero Fallisch stellt sich vor, wie etwas riecht, und siedet dann Seifen.
Draußen: Eine Seitenstraße nahe dem Frankfurter Tor in Berlin-Friedrichshain. Um die Ecke ein Spielplatz, auf dem Kinder toben, daneben eine Wiese, auf der Hunde frei herumlaufen. Vor den Altbauten der Jahrhundertwende blühen jetzt im Herbst noch Blumen in den Rabatten. Auch vor der mennonitischen Kirche neben Gero Fallischs Wohnhaus steht die Kapuzinerkresse in voller Blüte. Es riecht nach Gegrilltem an diesem sonnigen Sonntag. An einer Wand steht ein Graffito: „Nicht einsam, aber gerne allein.“
Drinnen: Gerne allein, das ist Gero Fallisch auch. Dann sitzt er am liebsten auf dem Balkon, der auf die ruhige Seitenstraße geht. Auf dem Balkontisch stehen ein Aschenbecher und ein Windrad, das die Tauben vertreibt, die versuchen, in seinen Pflanzen zu nisten. Im Wohnzimmer erinnert das dunkle Türkis der Wände an die Farbe einer Seife, die Fallisch herstellt, eine, die nach Rosmarin, Veilchen und Tabak riecht und den Namen „Berlin 63“ trägt. Die „63“ soll an die Rede John F. Kennedys erinnern, als er Berlin besuchte und seinen berühmten Satz „Ich bin ein Berliner“ sagte. Oben auf dem Küchenschrank stehen die Utensilien fürs Seifensieden: Töpfe, kleine Kanister und Gläser. Daneben eine Reihe halb leerer Alkoholflaschen: Rum, Gin, Aperol.
Flaschen: Es soll kein falscher Eindruck entstehen, die Spirituosen gehören zum Handwerk. Als Gero Fallisch begann, Seifen zu sieden, bekam er Lust, auch mit Gewürzen und Getränken zu experimentieren, er mischte Alkoholika mit Wohlduftendem wie Lorbeer, Bergamotte, Kardamom. Die Seife verkauft er mittlerweile – die Cocktails aber werden von ihm und seinen Freund*innen verkostet. In der Wohnung riecht es nach ätherischen Ölen.
Erinnerungen: Der Duft der Apfel-Rosen, die oft in den Dünen am Meer blühen, ist Gero Fallisch am liebsten. Sobald er diese Blüten riecht, wird er nach Ostfriesland zurückversetzt, wo er in seiner Kindheit regelmäßig die Großeltern besuchte. Als er Anfang 30 war, sein Großvater tot, seine Großmutter in einem Pflegeheim, war er wieder einmal dort und konnte diesen Geruch erneut wahrnehmen. „Ich war beeindruckt, wie viele Erinnerungen dadurch hochkamen“, sagt er. Welche? Nichts Konkretes, das Vertraute eben, „das hat mich berührt“. Und dann gibt es noch den Duft von Vanille, der ihn an seine erste Liebe erinnert. „Ich war 14, aber wenn ich heute die Augen schließe und daran denke, ist es, als sei die Zeit stehen geblieben.“
Versprechungen: „Wie ein klarer Morgen an der Atlantikküste – frisch, aromatisch, mit einem rauchigen Hauch von edlem Holz“, lautet die Beschreibung einer seiner Seifen. „Es ist ein bisschen wie bei Wein-Etiketten: eine Sehnsucht, ein Versprechen, das Menschen mit kaufen.“ Er liebt diese kleinen Definitionen, sie seien wie Poesie. Und Magie. Bilder tauchen vor dem inneren Auge auf, plötzlich sind Gefühle da.
Alles fängt im Kopf an: Was Fallisch auch mag: sich mit neuen Duft- und Farbkombinationen für seine Seifen zu beschäftigen. Das unterscheide sich nicht so sehr von seiner Arbeit als Web- und App-Designer. Bei beiden fängt alles im Kopf an, sagt er. Er überlegt, welche Düfte zusammenpassen, welche Person sie tragen würde, und dann kommt sein Lieblingsmoment: „Da nehme ich die ätherischen Öle auf meiner kleinen, feinen Waage, und meine Idee wird zu etwas Konkretem.“
Experimente: „Es hätte in der Coronazeit sein können, war es aber nicht“, sagt er. Nicht die Pandemie, sondern eine Arbeitskollegin brachte Gero Fallisch zum Handwerk. Bereits ein Jahr vor Corona, 2019, erzählte sie ihm von selbstgemachten Seifen. Er informierte sich durch Tutorials und Blogs, besuchte Onlinekurse und begann selbst zu experimentieren. Zunächst waren die Seifen für den eigenen Gebrauch, dann für Freund*innen und Familie, doch er hatte „einfach zu viele davon“. Deshalb, dachte er, sollte er sie vielleicht verkaufen. Schließlich traute er sich, eine eigene Marke zu entwickeln – nur für Männer. „Heiner Seifen“ heißt sie. Wer ist Heiner?
Heiner: Wo es schon so viel ums sinnliche Erleben geht, darf die Fantasie verrückt spielen. Heiner – ein liebster Freund? „Nein“, sagt Fallisch, keine konkrete Person sei gemeint. Der Name sei abgeleitet von Friedrichshain, dem Bezirk in Berlin, wo er lebt. Er ist Friedrichshainer. „Friedrichshainer, Hainer, Heiner!“, erklärt er.
Maskulinität: Gero Fallischs Kreationen seien nicht für alle Männer gedacht, sondern für jene, „die keine Angst vor Sinnlichkeit haben“. Seine Kund*innen seien ohnehin nicht ausschließlich männlich. „Einige Frauen kaufen die Seifen auch für sich.“ Das sei für ihn völlig in Ordnung – auch wenn die Bilder, die die Beschreibungen seiner Seifen hervorrufen, eine eher männliche Welt widerspiegeln. „Ein nächtlicher Besuch im gedimmten Jazzclub – die Luft erfüllt von Holz, Leder und Drinks“, heißt es etwa bei einer. Fallisch glaubt nicht, dass Männer nur Geld verdienen wollen oder sich zwangsläufig für Macht und Autos interessieren müssen. Maskulinität sei für ihn eine Frage der Haltung, nicht des Geschlechts. „Maskulin bedeutet für mich, genau zu wissen, was man will.“ Auch das nicht Zielgerichtete könne man wollen.
Cavaquinho: Was Fallisch will? „Experimentieren“, sagt er – und meint damit nicht nur seine Seifenwerkstatt, sondern das Leben. Er probiert gerne Neues aus: Boxen im Park mit einem Freund, Gitarre und Cavaquinho spielen, Letzteres ist eine portugiesische Vorläuferin der Ukulele. Sogar brasilianische Rhythmen wie Forró oder Samba hat er getanzt. Dazu kommen seine Lohnarbeit und eine Ausbildung im Social-Media-Management. Seine Tage seien mehr als voll.
Einfach so: Was Gero Fallisch tut, tut er „einfach um des Tuns willen, nur weil ich Lust darauf habe“. Er zuckt mit den Schultern. „Ich finde mich nicht sonderlich interessant“, sagt er. „Jedenfalls nicht interessanter als andere.“ Nach einer Pause erzählt er vom Jakobsweg – etwas, das er auch „einfach so“ gemacht und das ihn dennoch geprägt habe. Ein gerahmtes Zertifikat neben seiner Eingangstür zeugt davon.
El Camino: 2018 war das, als Fallisch rund 300 Kilometer auf dem portugiesischen Teil des Camino – von Porto nach Santiago de Compostela – zu Fuß zurücklegte. Große Ziele habe er dabei nicht gehabt, und doch sei alles schön und einfach gewesen. „Man stand morgens auf und fing an zu laufen. Unterwegs hatte man nette Gespräche, die Landschaft roch wunderbar nach all den Düften der Natur, dann ging man wieder ins Bett. Und jeden Tag begann es von vorne, nur mit mehr Muskelkater.“
Ruhe: Auch wenn Gero Fallisch ein aktiver Mensch ist und sich gerne auf neue Dinge einlässt, habe er zurzeit für vieles keine Energie mehr, erzählt er. Früher sei er regelmäßig in Berliner Clubs und auf Festivals unterwegs gewesen. „Ich fühle mich dafür jetzt zu alt. Ich möchte lieber meine Ruhe.“ Was er damit meint: „Auf dem Balkon sitzen, rauchen und lesen – das reicht mir, um glücklich zu sein.“
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