piwik no script img

Kein Wattspaziergang

■ Oldenburg wird „Zentrum der Flachmeerforschung“ / Was hält das Watt im Innersten zusammen?

Das Watt verändert sich ständig, und das macht es für diejenigen, die verstehen wollen, was es im Innersten zusammenhält, so kompliziert. Ein Sturm genügt, um dezimeterdicke Sedimentschichten zu verfrachten. Wenn die See friert, können ganze Muschelbänke koppheister gehen, weil sie am Eis festkleben. Die Tiden bringen Erde, Wasser und Luft in Kontakt, alles ist im Fluß. „Es ist viel einfacher, im offenen Ozean zu forschen“, sagt Prof. Jürgen Rullkötter, Koordinator des neuen Forschungsprojekts „BioGeoChemie des Watts“ an der Universität Oldenburg.

Das ist vielleicht auch die Ursache dafür, dass man über die Grundlagen dieses Ökosystems noch so wenig weiß. Bisher sei vor allem empirisch beschrieben worden, was und in welcher Zahl im Watt zu finden ist, so Rullkötter – Vögel, Muscheln, Würmer beispielsweise. Die rund 50 Forscher des BioGeoChemie-Projekts, das diese Woche der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, wollen nun gewissermaßen in die Tiefenschichten dieses variablen Systems vordringen: Sie wollen Mikroben untersuchen, ermitteln, wie sich die festen „Partikel“ des Watts biochemisch verhalten, Strömungen analysieren und den Stofftransport bestimmen – alles, um ein prognosefähiges, mathematisches „Ökosystemmodell“, zu entwickeln.

Ein Watt-Spaziergang ist das Vorhaben, an dem sich auch Bremer und Wilhelmhavener Institutionen beteiligen und das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft allein in den ersten drei Jahren mit sechs Millionen Mark gefördert wird, offenbar nicht. Da sind zum Beispiel die Bakterien, die milliardenfach jeden Kubikzentimeter Wattsediment bevölkern: Laut Rullkötter, seines Zeichens Spezialist für organische Geochemie, ist es schon schwer genug, festzustellen, ob die untersuchten Exemplare lebendig sind oder tot. Und erst die Spezialisierung! Mit „Gen-Sonden“ werden die Forscher in den nächsten Jahren versuchen, herauszufinden, welche Bakterien im Watt was bewerkstelligen: Ob sie zu den Methanbildnern zählen oder zu den Fermentierern. Oder zur Schwefelfraktion. Das Leben im Watt wird von den Prozessen auf dieser Ebene fundamental beeinflusst.

Per Schiff oder zu Fuß wollen die Wissenschaftler ihr Untersuchungs-gebiet – das Watt zwischen der Insel Spiekeroog und dem Festland – erkunden. Ein Messpfahl und eine fest installierte Messboje sollen Datenmaterial liefern. Das mathematische Modell, das am Ende des auf sechs Jahre angesetzten Projekts stehen soll, hat Sprecher Rullkötter zufolge folgenden Sinn. Man wolle verstehen lernen, wie das System Watt reagiert, wenn sich einzelne Faktoren ändern: Wenn die Nährstoffbelastung durch die Landwirtschaft ansteigt oder der Druck durch Touristen, die – künstliche – Strände wollen oder als Wattwanderer „mechanischen Druck auf“ das Ökosystem ausüben. Und: Welche Folgen hat es auf die Lebewesen, wenn es immer mehr Sand im Watt gibt und weniger Schlick, weil die Stürme heftiger werden und die Sedimente keine Muße haben, sich ordentlich abzulagern? Man wolle ein Modell entwickeln, das sich auch auf die Folgen des Klimawandels anwenden lasse, so Rullkötter. Um auch diese Veränderungen – wenigstens – zu verstehen. hase

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen