Kein Prozess um entführte Mauerkreuze: Denkmäler ausleihen ist erlaubt
Sie hatten am Bundestag ein ganzes Denkmal abmontiert, dann ermittelte die Staatsanwaltschaft. Nun wurden die Ermittlungen eingestellt. Leider.
BERLIN taz | Es wäre so ein schöner Rechtsstreit geworden: Irgendwo in einem piefigen Gerichtssaal in Berlin, vorne die Richter in ihren Roben und auf der Anklagebank diese Horde ganz bestimmter Experten: Kunstaktivisten. Haben Sie oder haben sie nicht Tag im Herbst letzten Jahres das Denkmal gestohlen, als sie ungeniert am Fuße des deutschen Bundestages die Gedenkkreuze abmontierten, die dort an Flüchtlinge erinnern sollten, die bei Ihrer Flucht aus der DDR ums Leben kamen?
Es wäre ein Prozess um die Kunstfreiheit gewesen und um die Gedenkkultur in Deutschland. Und ganz besondere Gäste hätten in den Zeugenstand treten können, um die Frage zu beantworten: Wieso fiel eigentlich dem Sicherheitspersonal des Deutschen Bundestages nicht auf, was da vor seinen Augen geschah?
Es war ein medialer Coup als das Zentrum für politische Schönheit anlässlich des 25-jährigen Gedenkens an den Mauerfall die Mauerkreuze entführte – und kurz darauf Fotos von Flüchtlingen an Europas Außengrenzen auftauchten, die just diese Kreuze in den Händen zu halten schienen. Menschenrechtsaktivisten feierten die Aktion, Konservative verurteilten sie zutiefst und Bundestagspräsident Norbert Lammert zog in einer Bundestagsrede über die aus seiner Sicht zynische Aktion her. Dann nahm der Staatsschutz die Ermittlungen auf. Alles war bereitet, um vor Gericht eine große Frage zu klären: Was darf die Kunst?
Dazu wird es leider nicht kommen, denn die Berliner Staatsanwaltschaft entschied nun: Weil die Künstler offenbar nie die Absicht gehabt hätten, die Kreuze dauerhaft zu behalten, lägen auch keine Anhaltspunkte für einen Diebstahl vor. Schließlich wanderten die Gedenkkreuze nach Abschluss der Mauerfallzeremonien wieder zurück an ihren Ausgangsort. Ergo: Es kommt nicht vor Gericht. Das ist natürlich äußerst schade. Denn dort hätten Staatsschutz und Menschenrechtsaktivisten sicher richtig gestanden.
Dass Gerichtsprozesse auch die öffentliche Debatte beflügeln können, haben schließlich nicht nur der Hoeneß- oder Kachelmann-Prozess gezeigt. Die Debatte darüber, was die Kunst im Namen der Menschlichkeit darf, hätte auch angesichts der dramatischen Lage tausender Flüchtlingstoter im Mittelmeer sicher gut getan. Andererseits ist sie nunmehr schon beantwortet: Denkmäler ausleihen darf sie offenbar. Das ist gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht